Erneuerbare Energie : Geothermie: Hitzeschlacht im Wiener Becken
Ende August war es endlich so weit. Im Rahmen der traditionellen Barbaraweihe kam es zum erfolgreichen Durchstoß der ersten geologischen Sektion in 750 Metern Tiefe. Bis Spätherbst dringen jetzt die Bohrmeißel durch verschiedene Gesteinssektionen in fünf Kilometer Tiefe vor. Mit 40 Megawatt thermischer Leistung soll Wiens erste Geothermieanlage ab 2015 40.000 Wiener Haushalte mit Fernwärme aus Erdwärme versorgen.
Grundlage für die Bohrung nach Erdwärme war eigentlich die Suche nach Erdöl im Eßlinger Untergrund Anfang der siebziger Jahre. „Die OMV hat sich damals auf Schatzsuche begeben", berichtet Fritz Kittel, Leiter der Abteilung Immobilien in der Wirtschaftsagentur Wien, die zu 20 Prozent an der Geothermiezentrum Aspern GmbH beteiligt ist. Es wurde zwar nicht das erhoffte Erdöl- und Gasvorkommen gefunden, dafür brachten die Probebohrungen das Wissen um einen anderen Schatz zu Tage: „Thermalwasservorkommen wurden entdeckt“, so Kittel.Preisstabile VersorgungDie Idee der Wirtschaftsagentur Wien im Jahr 2002, das von der OMV entdeckte heiße Wasser wirtschaftlich zu nutzen, war die Geburtsstunde der Geothermie in der Seestadt aspern. Mit dem Geothermie-Kraftwerk Aspern will Wien Energie nun den Anteil an erneuerbarer Energie im Fernwärmenetz auf 20 Prozent steigern. Durch das Geothermie-Kraftwerk können jährlich rund 130.000 Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. Die Wärmeversorgung aus Erdwärme ist kohlendioxidneutral, effizient und preisstabil. Die Energie ist unabhängig von äußeren Einflüssen wie Wind und Sonne und kann direkt vor Ort gewonnen werden.
Insgesamt wird das Geothermiepotenzial im Wiener Becken auf rund 300 MW Wärmeleistung geschätzt. Allein in der Bundeshauptstadt würde die volle Ausschöpfung des Geothermiepotenzials den Anteil der erneuerbaren Erzeugung im Bereich Fernwärme von heute 18 auf rund 46 Prozent steigern. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Geothermiezentrum errichtet die Wirtschaftsagentur Wien das Technologiezentrum „aspern IQ“ als Plus-Energie-Gebäude und als „Zukunftshaus“ für die ersten Unternehmen in der Seestadt aspern.„Sanfte“ EnergiegewinnungDank der günstigen Geologie im Wiener Becken kann mit der hydrothermalen Geothermie eine sehr sanfte Form der Energiegewinnung angewendet werden. Dabei werden bei der ersten Bohrung wasserführende Gesteinsschichten im tiefen Untergrund in rund 5.000 Metern Tiefe direkt angebohrt und das im Gestein enthaltene Thermalwasser wird an die Oberfläche gefördert. Die Energie, die das Wasser aufheizt, stammt aus Restwärme aus der Zeit der Erdentstehung bzw. aus Zerfallsprozessen, die in der Erde stattfinden. Mit einem Wärmetauscher wird dem Heißwasser die Wärmeenergie entzogen und ins Fernwärmenetz gespeist. Über eine zweite Bohrung wird das abgekühlte Wasser zurück in etwa 3.600 Meter Tiefe geleitet. Mit der Rückführung des abgekühlten Wassers entsteht ein erneuerbarer Energiekreislauf.
Die hydrothermale Geothermie hat somit einigen Charme: „Wir schaffen keine künstlichen Risse, sondern nehmen nur, was natürlich vorhanden ist, nämlich heißes Thermalwasser“, erklärt Michael Kotschan, Geschäftsführer der Geothermiezentrum Aspern GmbH. Seismische Aktivitäten seien so minimal, dass sie zwar mit hochsensiblen Geräten gemessen werden können, für Anrainer aber nicht spürbar sind. Kotschan: „Das gesamte Vorhaben ist wissenschaftlich gründlich geprüft. Der ordnungsgemäße Bau und Betrieb wird von Experten der Technischen Universität Wien mit Messungen vor Ort laufend beobachtet und kontrolliert.“45-Millionen-InvestitionDie Investitionskosten für die Anlage in Eßling betragen rund 45 Millionen Euro. Insgesamt sollen die Bohrarbeiten inklusive Pump- und Reinjektionsversuch rund ein Jahr dauern. Der Bohrung sind in den vergangenen Monaten intensive Bau- und Vorbereitungsarbeiten vorangegangen. Nach der Errichtung des Fundaments und dem Aufbau der Lärmschutzwand auf einer Länge von rund 60 Metern wurde der Bohrturm fertiggestellt. Mit insgesamt 80 LKWs und Schwertransporten wurde dabei in wochenlanger Arbeit die gesamte Bohranlage des Bohrspezialisten Daldrup & Söhne von Deutschland nach Wien transportiert. Bei der Bohranlage handelt es sich um eine elektrohydraulische Anlage, die geräuscharm und umweltfreundlich arbeitet, da in den Stromaggregaten kein Diesel zum Einsatz kommt.Technische Meisterleistung„Die Erdwärme-Bohrung ist eine technische Meisterleistung, denn pro Tag stoßen die Bohrer der Anlage mit einer Hakenlast von 350 Tonnen ins Erdinnere vor“, sagt Gerhard Fida, Geschäftsführer von Wien Energie Fernwärme. Fida: „Wenn unsere Prognosen zutreffen, kann ab 2015 Thermalwasser mit einer Temperatur von 150 °C und einer Schüttung von bis zu 100 Litern pro Sekunde zu Tage gefördert werden. Der erfolgreiche Start dieses Pilotprojekts wird damit auch einen Investitionsschub für diese erneuerbare Energiequelle auslösen.“ Geothermie in Aspern: Die Meilensteine- 1974: Erste Bohrungen der OMV in Aspern, zufälliger Fund von Thermalwasser, erstes hydrogeologisches Modell des Untergrundes wird erstellt- 2006: Wien Energie knüpft an die damals gewonnenen Erkenntnisse an und führt die Erforschung des geologischen und hydrologischen Systems in Aspern weiter- Mai 2010: Positive Umweltverträglichkeitsprüfung und damit grünes Licht der Stadtregierung für die Entwicklung des Südwestteiles der Seestadt aspern- Frühjahr 2011: Erste Vorbereitungsarbeiten in Eßling für die Bohrungen im Herbst- November 2011: Spatenstich für das Geothermie-Kraftwerk Aspern/Eßling und Start der Errichtung des Bohrplatzes- Juli 2012 – Juni 2013: Bohrung I und II (inkl. Pump- und Reinjektionsversuch)- Herbst 2012: voraussichtlicher Abschluss der Bohrungen, Fertigstellung des „aspern IQ“- Ende 2013: Fertigstellung der ersten Wohnungen, Eröffnung der beiden neuen U2-Stationen in der Seestadt- 2014: Inbetriebnahme des Geothermie-Kraftwerks Aspern, Anschluss der Seestadt ans Fernwärmenetz