Österreich : "Für Trockenbau neuen Beruf erfinden"
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SOLID: Als der Trockenbau zuletzt in den Schlagzeilen war, ging es um den Vorwurf kartellwidriger Absprachen, auch Lohndumping ist immer wieder ein Thema. Wie geht es ihnen mit diesen Dingen, wie sehen sie den Zustand des Trockenbaus?
Gregor Todt: Wir als Verband mischen uns ja nicht ins Tagesgeschäft ein, sondern haben andere Aufgaben, Probleme und Themen. Was sehr wohl unser Aufgabe ist, ist unser Image als Branche, aber da geht es vor allem um Weiterbildung und Lehrlingsausbildung.
SOLID: Was schadet denn ihrer Meinung nach dem Image am meisten? Todt: Das Lohndumping ist nach wie vor eine Katastrophe! Die Situation ist zwar besser geworden, weil derzeit extrem viele Aufträge auf dem Markt sind, aber wir haben da trotzdem großen Nachholbedarf. Unser Handwerk hat sich ja in den letzten Jahren extrem entwickelt, was die Technik und das Angebot der Industrie als Systemgeber betrifft. Und wir sind auch zusätzlich zur klassischen Gipskartonplattenverarbeitung in Felder vorgestoßen, die von den Firmen zwar teilweise wahrgenommen werden, in denen aber die Weiterbildung fehlt. Das müssen wir in den Griff bekommen. SOLID: Welche Felder sind das?
Todt: Es geht da um Brandschutz, Schallschutz, Bauphysik, zum Teil Statik - und ganz wesentlich ist die Schnittstellenproblematik mit der Haustechnik, dem ganzen HKLS-Bereich.
SOLID: Herr Allesch, woran merkt die Industrie das?
Michael Allesch: Der einfachste Indikator sind die Anfragen auf der Hotline. Das wird bei uns statistisch ausgewertet und die Vertriebsmitarbeiter dann auf die gestellten Fragen geschärft. Die Hotline kommt ja relativ frühzeitig zum Einsatz - also dann, wenn es noch relativ harmlos ist. In weiterer Folge werden dann die Mitarbeiter schon auch von der Bauaufsicht etc. geholt oder wir müssen eine schriftliche Stellungnahme abgeben - und da kommt schon immer mehr zum Tragen, dass die jetzt mögliche kompakte Bauweise, die aber gut geplant sein muss und bei der sehr viele Gewerke aneinander anschließen, andere Fragestellungen aufwirft als früher. Neue Produkte erzeugen eben auch neue Fragen. Und je hochwertiger und platzsparender wir bauen, desto mehr Schnittstellen gibt es und desto mehr Fragen, wer die Dinge schall- oder brandschutztechnisch abprüft.
SOLID: Heißt das, dass man eigentlich auch Menschen schulen muss, die gar nicht nur Trockenbauer sind?
Todt: Unter anderem. Man kann sich aber vor allem heute nicht mehr so einfach auf die Personen berufen, die selber seit 30 oder 35 Jahren im sogenannten Trockenbauhandwerk sind. Die sind einfach sehr oft diesen Schritt nicht mehr mit gegangen. Wenn wir alleine an Kühldecken mit Metall und Gipskarton denken: da gibt es von seiten der Schulen oder der Ausbildung keine Möglichkeit, sich das anlernen zu können. Wir haben zwar den Lehrling, den Gesellen und den Meister - aber da kommt das alles nicht vor. Das geht alles nach dem ursprünglichen Plan, was bisher üblich war. Das Thema ist unserer Branche mehr oder weniger ein bisschen entglitten.
SOLID: Heißt das, dass man die Lehrlingsausbildung völlig umstellen müsste?
Todt: In Wirklichkeit müsste man ein neues Berufsbild schaffen für unseren Beruf! Das herkömmliche Gipskartonarbeiten ist zwar nicht überholt - es entwickelt sich ja auch weiter und weiter -, aber wir haben da einen extremen Sprung gemacht und entsprechend riesigen Aufholbedarf. Wenn man offenen Auges durch die Baustellen geht, sieht man ja, dass schon in der Planung oft große Fehler gemacht werden. Das sieht die Industrie ja auch. Nachdem aber alle aus Kostengründen das Personal reduzieren, wird auch nicht mehr so auf das geachtet, was eingebaut wird. - Früher gab es einen Bauleiter pro Großbaustelle, heute macht dieser eine 7 Großbaustellen.
SOLID: Das klingt nach einem unlösbaren Problem.
Todt: Aus heutiger Sicht oft ja - und nicht nur in fachlicher, qualitativer Hinsicht, sondern auch in sprachlicher. Das ist einfach so und wird natürlich immer schwieriger, je komplexer die Produkte und Vorgänge sind.
SOLID: Wie wollen sie dieses neue Berufsbild schaffen?
Todt: Wir versuchen, die Industrie, verschiedene Institutionen, aber auch Händler mit ins Boot zu holen. Wir wollen da tatsächlich einen neuen Beruf aufmachen.
SOLID: Wie wird dieser neue Beruf heißen? Todt: Das wissen wir nicht. Aber wir sind mittlerweile meines Erachtens ein Ingenieurberuf.
Allesch: Da sind wir ganz dabei. Das jetzige Berufsbild trägt dem gelebten Alltag in keiner Weise Rechnung. Dazu kommt das Problem, dass man ja derzeit als halbwegs begabter und arbeitswilliger Handwerker aufgrund des niedrigen materiellen Aufwands schneller zu einer Selbständigkeit kommt als in anderen Baunebengewerben. Der Eintritt ist zu einfach. Wir haben zwar für die Arbeit selber sehr gute Kompendien, aber wir müssen uns überlegen: wie bringen wir das bei der erwähnten Sprachproblematik zum Kenntnisstand aller, die auf der Baustelle tätig sind? Sind das Comics, sind das Kurzfilme? Die Bauleiter kommen ja sehr gerne in unsere Seminare und die Teilnehmerzahl steigt Jahr für Jahr. Aber man schöpft von der Hierarchie her hier im Grunde nur die oberen ab. Diejenigen, die das Material in die Hand nehmen und die auch die Fehler machen können, bekommen wir da schwierig hin. Das hat ja auch Kostengründe. Da brauchen wir eine Lösung - niemand macht ja gerne und absichtlich Fehler.
SOLID: Wir wissen ja zB aus dem Schalungsbereich, dass Hersteller solche Applikationen für Tablets und Smartphones anbieten, aber die sind halt auf die Produkte einer Firma bezogen und bei der Schalung ist es möglicherweise etwas einfacher - Stichwort Anschlussproblematik. Ist so etwas übergreifend überhaupt denkbar?
Todt: Unsere Betriebe sind ja Systemverarbeiter und dabei sollte es auch bleiben. Dessen sind sich auch viele nicht bewusst und mischen sich in Details und Planungen ein, wo die Systemanbieter ja die Arbeit bereits gemacht haben und genau wissen, was zu tun wäre. Aber die Digitalisierung gibt uns da sicher Chancen. Wenn wir etwa an Essen auf Autobahnraststätten denken: da gibt es ein Buffet und sie müssen nicht groß kommunizieren, sondern können sehen, was das ist, das sie da essen wollen. Wenn also die Systemanbieter etwas erfinden, das es den Verarbeitern erleichtert, an die wesentlichen Informationen zu kommen, wäre das schon sehr hilfreich. Ich bin überzeugt, dass sich unser Gewerbe in Firmen teilen wird, die da mitmachen und in das, was ich Gipsplattenschrauber nenne. Das meine ich jetzt nicht herabwürdigend, das hat seinen Platz zum Beispiel im Wohnbau, wo sich die Leistungen immer wiederholen. Auf der anderen Seite des Spektrums steht der Dachausbau, der enorm diffizil ist. Da wird oft schon falsch geplant und dann Katastrophen eingebaut.
SOLID: Wie kann ein Planer das heutzutage bei der rasanten Entwicklung überhaupt lösen?
Todt: Indem er sich im Detail bei den Systemgebern informiert - da führt kein Weg vorbei.
SOLID: Kann die Industrie diese vielen Anschlussproblematiken für die Planer überhaupt systematisieren?
Allesch: Das ist natürlich aufgrund der enormen Kombinationsmöglichkeiten schwierig. Daher ist die Planer- und Architektenbetreuung so wichtig. Wir haben da flächendeckend in Österreich Personal im Einsatz. Wir sehen aber auch, dass die mehreren tausend Planer und Architekten, die bei uns gelistet sind, schwer zu erreichen sind. Das hat sowohl mit der reinen Anzahl zu tun, aber auch damit, dass es oft gar nicht leicht ist, weil die Planer sich auf ihren hohen Erfahrungsgrad und ihre langjährigen Mitarbeiter verlassen. Das gilt wahrscheinlich nicht nur für die Gipskartonindustrie. Auch da sind digitale Lösungen sicher ein großes Thema, das können Apps, normale Internet-Seiten, aber etwa auch Webinare sein.
SOLID: Muss man nicht auch an die Bauträger heran?
Allesch: Das versuchen wir natürlich auch. Wir haben jetzt zum Beispiel eine neue Platte, die da ganz neue Möglichkeiten der Befestigungen ermöglicht und damit zukünftige Umwidmungen von Räumen leichter macht. So etwas ist bei den Bauträgern am richtigen Platz, weil es ja die Dinge sehr grundlegend verändert.
Todt: Ich muss jetzt leider ein Thema ansprechen, das uns auch unter den Nägeln brennt und sich zum Negativen verändert hat: Früher war es so, dass man als Verarbeiter von den Systemgebern auf der Baustelle selber relativ intensiv betreut wurde. Das ist ganz stark verloren gegangen. Meines Erachtens ist die Industrie dazu übergegangen, sehr viel zu verkaufen und am grünen Tisch zu schulen - was ja auch in Ordnung ist. Aber die Präsenz vor Ort fehlt großteils.
Allesch: Wir sind ja hier, um offen zu sprechen. Ich kann das - obwohl ich selber der Branche noch nicht Jahrzehnte angehöre - durchaus nachvollziehen. Es gab früher auch mehr Niederlassungen der Firmen, etwa in den Landeshauptstädten. Zwei Dinge aber dazu: Wir haben unseren Vertriebsstab im Innen- und Außendienst über die letzten Jahre gleich gehalten und eher ausgebaut als verkleinert. Wir fördern das auch, dass die Mitarbeiter auf die Baustellen gehen und statten sie dazu etwa mit persönlicher Sicherheitsausrüstung aus etc. Wir sehen dabei aber auch auf der anderen Seite, dass diese Besuche oft nicht mehr so gewünscht sind, wie das früher einmal war. Wir bekommen dann den Hinweis, auf der Baustelle nicht zu neugierig zu sein, die Leute dort nicht von der Arbeit abzuhalten etc. Es ist oft der ausdrückliche Wunsch der Chefs dort, dass wir zwar am besten innerhalb einer Stunde am besten mit den Planungsunterlagen in der Hand vor Ort sein sollen, aber nicht proaktiv vorbei zu schauen.
SOLID: Wenn wir schon so offen reden: es gibt ja auch die Vermutungen, dass man dann noch schnell auf der Baustelle etwas spart, indem man andere Produkte verwendet als ursprünglich geplant.
Allesch: Wir wollen da niemanden pauschal verdächtigen, aber es kann zum Beispiel auch sein, dass man bei dem großen Zeitdruck, der heute herrscht, da und dort eine Abkürzung nimmt.
Todt: Ich bin da schon bei Herrn Allesch, dass das nicht allein seine Aufgabe sein kann. Es haben sich ja auch die Vertriebsstrukturen geändert. Heute kommt den Händlern wesentlich stärkere Bedeutung zu. Eigentlich sind heute die Händler, über die wir noch gar nicht geredet haben, dafür verantwortlich, dass das richtige Material zur Baustelle kommt. Glücklicherweise haben wir da schon die eine oder andere flächendeckende Kooperation eingehen können. Die Händler müssen vor allem die kleineren und mittleren Verarbeiter stützen und brauchen dann natürlich auch die Schulungen. Die Industrie sollte ihren Schwerpunkt bei Architekten, Planern und Bauherren haben und die Händler sollten sich mehr um die Verarbeiter kümmern, weil sie die unmittelbaren Ansprechpartner sind. Aber die haben ja auch zu wenig Personal und unser Handwerk hat sich eben explosionsartig vergrößert. Wir kommen in jedem Bauwerk vor, das war ja früher nicht so. Da hilft es dann auch nicht, wenn der Personalstand gleich bleibt, wenn es so viel mehr zu tun gibt. Aber das Grundproblem ist, dass wir in den Schulen und HTLs nicht vorkommen. Wenn sie dort als Trockenbaumensch hinkommen, schämen sie sich beinahe, weil die von ihnen nichts wissen wollen. Wir müssen da wirklich sensibilisieren und sagen: ihr müsst was tun für die Zukunft, sonst haben wir wirklich nur mehr Sub-Sub-Sub-Unternehmer.
Allesch: Mir hat da kürzlich ein ganz anderes Beispiel die Augen geöffnet, und zwar der Wechsel einer Windschutzscheibe am Auto. In der Vergangenheit war das ganz einfach und ein rein mechanischer Prozess. Jetzt geht es aber in die Richtung, dass Windschutzscheiben mit eingebauten Head-Up-Displays zu Informationsdrehscheiben werden. Beim Einbau geht es dann auf einmal um ganz andere Dinge, Sensorik etc. Der Mechanikerjob ist zu einem Elektronikjob geworden. Und etwas ähnliches kommt meines Erachtens auch auf unsere Industrie und unser Gewerbe zu. Warum sollen in eine Trockenbauwand keine Sensoren etc. integriert sein? Warum soll sie keine Informationen anzeigen? Das wird noch ziemlich spannend. Und die Frage der Schnittstellen der Gewerke wird damit noch größer.
SOLID: Hat der Trockenbau eigentlich die meisten Schnittstellen aller Baugewerbe?
Allesch: Auf jeden Fall.
Todt: Das hat schon allein damit zu tun, zu welchem Zeitpunkt sie im Zuge eines Baus drankommen. Wir kommen ja fast am Schluss und haben dann logischerweise mit allen Schnittstellen zu tun. Wenn alles dann fertig ist, sieht man ja diese High-Tech-Situation nicht mehr - und damit heißt es in den Köpfen nach wie vor: der schraubt halt eine Gipsplatte drauf. Das stimmt aber einfach nicht mehr. Allein der Begriff Bauneben- oder gar Bauhilfsgewerbe ist ja ein Horror für unser Handwerk!
Allesch: Ein Hohn, ja.
Todt: Lassen sie einmal überall das sogenannte Bauhilfsgewerbe weg und schauen sie, was dann raus kommt. Für mich ist der Begriff allein eine Provokation! Aber wenn sie das lernen wollen, müssen sie zur Industrie gehen - zur Trockenbauakademie zB - oder auf eine FH nach Deutschland. In Österreich kommen wir in den öffentlichen Ausbildungen nicht vor, was einfach eine Schande ist. Man kann es ja ganz einfach formulieren: wenn ein Projekt eine Million Euro kostet, macht der Innenausbau davon zwischen sechs und zehn Prozent aus. Und zu wieviel Prozent kommen wir in der Schule vor? Gar nicht. Damit ist doch alles gesagt.
SOLID: Aber grundsätzlich wäre es gerade eine günstige Zeit, wenn es wirtschaftlich gut geht, oder? Todt: Ja - und noch eins kommt dazu: In unserem Handwerk haben wir genau jetzt den großen Generationswechsel. Viele von denen, die mit Beginn des Einsatzes von Trockenbau diesen Beruf begonnen haben, gehen jetzt in Pension. Und ein guter Teil hat die Entwicklung der letzten zehn Jahre nicht mehr mitgemacht. Darum haben wir jetzt eine große Chance. Die Nachkommenden denken ganz anders und wachsen mit den neuen Medien und neuem vernetztem Denken auf. Aber wir müssen uns da schon selber an der Nase nehmen und aktiv werden, wenn wir etwas ändern wollen. Wir müssen bei uns selber beginnen und nicht nur zuschauen, was die anderen machen oder nicht machen.
Allesch: Genau - automatisch stolpert ein Gewerbe nicht nach vorn. Wir brauchen einen breiten Konsens zwischen Industrie, Händlern und Verarbeitern - und da sind wir dran. Und die wirtschaftliche Situation und die guten Aussichten helfen uns natürlich dabei, uns zu rühren.
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Reden über Strategie und Taktik - VÖTB-Forum
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