SOLID 10 / 2014 : Felix Friembichler im Interview - „Bringschuld liegt bei der Wirtschaft“

SOLID: Eine der Hauptaufgaben der VÖZ ist neben der Vertretung der Mitglieder nach außen der Bereich Forschung & Entwicklung. Welche Bedeutung hat das in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit verringerten Bauvolumina im Hochbau und aktuell weniger Infrastrukturprojekten?Felix Friembichler: Gerade wenn die Zeiten schwieriger und die Herausforderungen größer werden, darf man da nicht die Arme in den Schoß legen. Meist sind es gar nicht die großen Innovationen, sondern schon Kleinigkeiten, die einen weiterbringen – und die ersten Erfolge animieren zum Weitermachen. Im Vorstand der VÖZ herrscht deshalb auch die einhellige Überzeugung, dass man die Aktivitäten in Richtung Forschung und Entwicklung nicht einschlafen lassen darf. Wie schafft man diese kleinen Erfolge?Friembichler: Es braucht eine klare Zielsetzung und gleichzeitig das kritische Hinterfragen, ob die gesteckten Ziele durch den Egoismus der eigenen Branche getrieben sind oder sich an den Bedürfnissen der Gesellschaft und der Kunden orientieren.Und was sind die relevanten Trends für die Beton- und Zementindustrie?Friembichler: Wir wissen, dass die Verstädterung weiter zunimmt, dass sich die Altersstruktur ändert, und es ist absehbar, dass auch die Verkehrs- und Transportleistungen weiter wachsen werden. Daraus lassen sich schon einige Dinge ableiten. Da ist man gut beraten, sich schlau zu machen. Wie wird sich der Verkehr in der Stadt verändern? Innerstädtisch wird die Straße immer mehr in den Untergrund verlagert – da kommt eine Fülle an infrastrukturellen Maßnahmen auf uns zu, die es zu identifizieren gilt, um die Branche bestmöglich darauf vorzubereiten. Dabei wird es neben den Verkehrswegen selbst auch um die gesamte Ver- und Entsorgungsinfrastruktur wie Wasser, Strom, Gas oder Abwasser gehen.Was wird sich im Bereich des Wohnbaus verändern?Friembichler: Hier wird es ganz klar zu einer Verdichtung kommen müssen. Sprich: kompaktere Bauwerke und weniger Flächen- und Grundverbrauch. Wie werden Bauwerke in der Zukunft aussehen? Wir sind überzeugt davon, dass auch in Zukunft massiv gebaut wird. Da sind wir sehr schnell beispielsweise bei der Betonkernaktivierung, denn Energieeffizienz wird weiterhin und immer mehr ein großes Thema sein – und zwar nicht nur in puncto Beheizung, sondern auch Kühlung. Vor allem ist es notwendig, dass die Betonkernaktivierung auch Einzug in Normen und Regelwerke findet. Dafür brauchen wir zu den bereits vorhandenen noch ergänzende Forschungsergebnisse. Wir müssen enger mit Partnern aus der Wissenschaft zusammenarbeiten. Und da sind wir bei einem Thema, wo die Bauwirtschaft in der Vergangenheit zu vorsichtig oder zu zurückhaltend gewesen ist.Braucht es hier noch mehr Initiative?Friembichler: Es wird nach wie vor zu wenig in Forschung investiert. Wobei Investitionen nicht rein monetärer Natur sein müssen. Es geht auch darum, Zeit aufzuwenden, beispielsweise für die Ausbildung junger Mitarbeiter. In jedem Fall braucht es so wie fast überall auch in unserem Bereich noch mehr Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft – die einen haben den Forschungsbedarf und die anderen vielfach brachliegende Kapazitäten. Wobei ich die Bringschuld eindeutig auf Seiten der Wirtschaft sehe. Diese muss vermehrt auf die Universitäten zugehen. Das bedeutet vermehrten Mitteleinsatz – und eben nicht nur Geld, sondern vor allem auch Humanressourcen. Sprich, man müsste auch wieder vermehrt gute Leute aus der Praxis an die Universitäten zurückschicken – und zwar als Lehrer, sonst haben wir irgendwann die gleiche Situation wie in der Politik, wo es nur noch Berufspolitiker und kaum noch Praktiker gibt.Welche sind die großen Bereiche, in denen die Forschung und Entwicklung in naher Zukunft noch weiter vorangetrieben werden müssen?Friembichler: Im Straßenbau die Lärmproblematik oder das Thema Sicherheit. Beim Lärm durch den Straßenverkehr geht es darum, welche Rezepturen bzw. Oberflächen weniger Geräuschentwicklung verursachen oder auch welche Möglichkeiten es im Hinblick auf die nachträgliche Behandlung von Fahrbahnbelägen zur Lärmreduktion gibt. Da muss man noch Erfahrungen sammeln und vor allem das Langzeitverhalten bzw. die Auswirkungen auf die Lebensdauer von Lärmschutz-Oberflächen untersuchen.Bei der Sicherheitsthematik sind wir schon einen Schritt weiter, beispielsweise im Tunnelbau. Helle Tunnelinnenschalen und Fahrbahnen vermitteln nicht nur ein subjektiv erhöhtes Sicherheitsgefühl, sie helfen auch tatsächlich die Unfallhäufigkeit zu vermindern. Diese Dinge muss man aber wissenschaftlich nachweisen, denn für einen Investor zählen in erster Linie die Kosten. Mehrkosten muss man begründen können und dafür braucht man in der Regel fundierte Forschungsergebnisse.Ein zweiter Bereich ist die Erforschung und Weiterentwicklung von Baumethoden. Wir werden in naher Zukunft noch viel mehr in die Automation hineingehen müssen. Ich glaube, dass wir hier noch bei weitem nicht alle Möglichkeiten bzw. das gesamte Potenzial ausgeschöpft haben. Vergleichen Sie nur den Vorfertigungsgrad in der Automobilindustrie. Die ist uns diesbezüglich weit voraus. Ich denke, es ist höchst an der Zeit, hier ein Stück nachzuziehen. Wir müssen unsere Baumethoden und Materialien an die gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Veränderungen und Rahmenbedingungen anpassen. Da führt kein Weg daran vorbei.

(SOLID 10 / 2014)