SOLID 03/2015 : Europa am Bau - Probleme und Chancen in Österreich
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Es ging darum, endlich einmal Klartext zu reden, endlich die vielen Fäden auseinander zu bekommen und zu hören, was Sache ist an dem Kuddelmuddel rund um "Die ausländischen Billigstbieter nehmen uns die Aufträge weg", "Die arbeiten um kein Geld und wir schauen durch die Finger" etc.So fand sich Ende Jänner in den Räumlichkeiten der Bau-Landesinnung Wien eine hochkarätige und praxisgestählte Expertenrunde, um mit den vielen Interessierten im Publikum das Thema von allen Seiten zu betrachten und Licht ins Dunkel zu bringen:• Mag. Manfred Katzenschlager vertrat als Geschäftsführer der Bundes-Bauinnung die Positionen des Gewerbes und brachte die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ein,• Ing. Peter Außerlechner von der Geschäftsführung von Spezialtiefbau Bauer beleuchtete die Seite einer von der Ausländerthematik von beiden Seiten betroffenen Baufirma,• Mag. Manfred Essletzbichler erklärte als nationaler und internationaler Vergaberechtsspezialist die rechtliche Seite und vertrat sehr pointierte und aus der Praxis erwachsene Standpunkte und • Maria Epple, die Landesinnungsmeisterin aus dem Burgenland, erzählte sehr Anschauliches und Praktisches aus einer von der Thematik extrem betroffenen Region.Katzenschlager: "Österreichische Firmen wurden doppelt geschädigt"
Zunächst eröffnete Manfred Katzenschlager mit einem allgemeinen Statement zur Dinetsleistungsfreiheit in Europa und der Arbeitsteiligkeit der Branche und sagt: "Ohne Ausländer würden viele Baubetriebe überhaupt nicht mehr arbeiten können." Katzenschlager erinnerte auch an die Anwerbeaktionen vor Jahrzehnten in der Türkei und daran, dass es gerade in Österreich schon in der Monarchie ausländische Arbeitskräfte gegeben hat. "Das Wort Polier kommt ja nicht vom Polieren, sondern vom Parlieren, also dem Sprechen und dem Übersetzen. Worum es aber geht, ist das immer stärkere Phänomen von ausländischen Anbietern auf dem Markt, die zu Konditionen angeboten haben und anbieten, wo inländische Anbieter, die reell kalkulieren, nicht mitgekommen sind. Das sind zum Teil Firmen, die gar keine richtigen Firmen sind und nach kurzer Zeit die Sozialtöpfe geplündert haben und sich dann wieder aufgelöst haben. Und da haben die korrekt arbeitenden Firmen durch die Finger geschaut. Sie hatten nicht nur den Auftrag verloren, sondern mussten dann noch einmal via Sozialtöpfe und Insolvenzentgeltsicherungsfonds noch einmal einzahlen und waren doppelt geschädigt." Und dazu kommt auch noch die Schädigung der Endkunden durch mangelnde Qualität und deren Folgen.In der Praxis hat es darüber hinaus noch das Problem gegeben, dass die Kontrollorgane der Sozialversicherung nur dort prüfen und etwas finden hätten können, wo korrekte Unterlagen vorgelegen seien - und das betrifft wiederum die ordnungsgemäß arbeitenden Firmen.Für die Bundesinnung sei gerade letzteres eine sehr zwiespältige Situation, "weil wir einerseits Kontrollen wollen müssen, andererseits aber auch schauen müssen, dass wir die Firmen nicht durch zu viel Bürokratie umbringen."Es seien allerdings gerade in letzter Zeit doch einige Maßnahmen gesetzt worden, zuletzt auch das Sozialrechtsänderungsgesetz und gerade in Arbeit die Durchsetzungsrichtlinie, nach der Strafen auch gegen ausländische Firmen an deren Ursprungsort überhaupt duchgesetzt werden können. Vergaberechtsexperte Essletzbichler: "Österreichische Unternehmen haben mehr profitiert als gelitten - und das Bestbieterprinzip löst das Problem nicht" Als "eierlegende Wollmilchsau der Hoffnungen" gilt derzeit das neue Bundesvergaberechtsgesetz, das eben in Ausarbeitung ist und das eine zumindest teilweise Rückkehr des verpflichtenden Bestbieterprinzips anstelle des Billigstbieterprinzips bringen soll. Doch der Vergaberechtsexperte Essletzbichler ist (im Gegensatz etwa zu seinem Berufskollegen Dr. Stephan Heid - siehe dessen Gastkommentar in SOLID 2/2015) einerseits skeptisch und eröffnet andererseits eine zusätzliche Perspektive: "Richtig ist, dass wir ausländische Firmen im Land haben. Aber auch richtig ist, dass noch viel mehr österreichische Firmen im Ausland aktiv sind und dort - im öffentlichen Sektor - auch wesentlich mehr Aufträge bekommen als umgekehrt. Österreichische Bauunternehmen haben meiner Erfahrung nach von der Öffnung mehr profitiert als gelitten." Das Thema des Lohn- und Sozialdumpings sei davon unabhängig. Und bei der Vergaberechtsnovelle wird Essletzbichler deutlich: "Mit der Novelle werden ja sehr viele hehre und richtige Ziele verfolgt. Die Frage ist nur: mit welchen Mitteln? Mit einer verpflichtenden Einführung des Bestbieterprinzips schaffe ich nicht das Lohn- und Sozialdumping ab. Das ist nicht die Aufgabe der Auftraggeber, sondern die der Behörden." Die Frage ist letztlich: wer ist tatsächlich auf der Baustelle? "Ob ich da aber tatsächlich die Sub-Sub-Vergabe - die ein Riesenthema ist - verbieten muss? Da bin ich skeptisch." Außerlechner: "Kennen Sie zum Beispiel einen österreichischen Eisenbieger?" Aus der Praxis des Spezialtiefbaus unterstrich Peter Außerlechner beide Perspektiven: die Konfrontation mit ausländischen Bewerbern im Inland und die Notwendigkeit, selber auch im Ausland aktiv zu werden, um das Unternehmen übers Jahr auszulasten. "Es ist ja nur logisch und menschlich, seine Pfründe im Inland so gut wie möglich zu schützen. Aber wir leben in einem vereinten Europa und Österreich hat gerade in Südosteuropa nach wie vor gewaltige Chancen. Österreich ist ja zu großen Teilen gebaut." Allerdings, sagte Außerlechner, ist im Spezialtiefbau die technische Komponente wesentlich größer. "Und man muss schon sehen, dass es manche Professionen in Österreich nicht mehr gibt. Kennen Sie zum Beispiel einen österreichischen Eisenbieger? Da gibt es keinen Nachwuchs mehr." Österreich müsse sich einfach auf Knowhow, zB im Tunnelbau, konzentrieren.Die Diskussion über das Bestbieterprinzip bezeichnete Außerlechner "schon allein des öffentlichen Bildes wegen als wichtig", auch wenn man "die Erwartungen nicht allzu hoch ansetzen dürfe". Man könne sich ja im schlechten Fall "und in Ländern wie zB Italien" über das Bestbieterprinzip und die geforderten Kriterien "den aussuchen, den man von Anfang an haben will." Aber "unter großem Druck und wenn sonst die Maschinen stehen" gehe fast jeder mit dem Preis sehr weit hinunter. Epple: "Seid's doch nicht alle so blauäugig!" Und dann ging es los. Die burgenländische Landesinnungsmeisterin Maria Epple setzte zu einem Rundumschlag aus der Praxis an. "Wir sind ja mit dem Herüberarbeiten sowohl aus Slowakei, Ungarn und Slowenien belastet. Es gibt auch immer mehr rumänische und bulgarische Firmen, die sich hier ansiedeln. Die Gewerbe erhält man in Österreich um etliches rascher als in den Nachbarländern. Der Nachweis, ob sie tatäschlich unsere Qualitäten herstellen können, wird überhaupt nicht überprüft! Ich werfe der Politik vor, dass hier äußerst nachlässig gearbeitet wird - und draufzahlen tun nicht nur unsere Firmen, sondern vor allem der Konsument! Die Menschen sitzen auf Schäden bis zu 100.000 Euro und kommen zu uns in die Innung, weil sie die Firmen einfach nicht mehr finden!" Epple brachte dann erschütternde Beispiele, wie schief das gehen kann - und das alles sogar mit Fördergeldern des Landes. "Unsere eigenen Firmen sind unterbeschäftigt - diese Leute stehen auf der Straße, das Geld geht ins Ausland ("Es bleibt kein Cent hier!") und die Politik versteht nicht, dass die heimische Bauwirtschaft die Konjunktur antreibt. - Drüben haben sie einen Stundenlohn von drei Euro, bestenfalls 380 bis 400 Euro im Monat. Wenn diese Firmen herüberkommen und offiziell Kollektivvertrag zahlen, dann müssen die die Differenz nachher wieder zurück zahlen. Seid's doch nicht alle so blauäugig! Die wissen schon, wie's geht!" Sie kämpfe seit 2011, sagte Epple. "Bis jetzt hat man mich ausgelacht. Jetzt hört man mich und jetzt wissen's ned, wie man damit umgeht!" Zeigt Ungarn die Lösung? Für Lösungsansätze empfahl Epple, einfach über die Grenzen zu schauen. In Ungarn zB müsse man als allererstes mit allen Mitarbeitern zum Amtsarzt. "Dann muss man sich sofort in der ungarischen Kammer melden und dort Einschreibungsgebühr bezahlen. Drittens muss er sich einen ungarischen Zivilingenieur als Koordinator der Baustelle nehmen und dieser ist verpflichtet, täglich ein Bautagebuch mit sämtlichen Mitarbeitern und allen Gewerken zu führen und es täglich digital an die Behörde zu melden. Wenn Sie länger als 30 Tage dort arbeiten, fallen 2 Prozent Gewerbesteuer an. Und schlussendlich muss man für sämtliche eingebauten Materialien die Garantie übernehmen, dass sie nach ungarischen Gesetzen und Normen passend sind."In Deutschland sei es ähnlich streng mit hohen Strafen für Meldefehler und -nachlässigkeiten.Katzenschlager nahm den Ball auf und sagte, es könne schon rein rechtlich nicht um das Schließen der Grenzen gehen, sondern um faire Rahmenbedingungen für alle. Da würde durch die Initiative "Faire Vergabe" schon sehr viel an Bewusstsein geschaffen. "Zu 95 Prozent ist man sich da ja einig und es werden sich schnell sinnvolle Standards auch für das Bestbieterprinzip ergeben."Die Vergaberechtsnovelle betrifft zwar offiziell "nur" öffentliche Auftraggeber, aber auf dem Weg über die Krankenkassen sei schon der Pfad in Richtung der gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften gebahnt, die ja auch mit öffentlichem Geld arbeiten, für die aber das öffentliche Vergaberecht nicht gilt. Und letztlich - darüber waren sich alle einig - ginge es immer wieder darum, wer letztlich auf der Baustelle steht und wie seine Arbeit macht. Problem SV-Differenz und Ausreizen der Grenze Als großes Problem zeigte sich im Lauf der weiteren Diskussion auch noch die Lohnnebenkostendifferenz zwischen Österreich und den Staaten, aus denen die Firmen respektive die Arbeiter kämen. "Mit dieser Differenz können sich die Firmen ganz gut spielen." Das wirkliche Problem wäre aber, so Katzenschlager, wenn ausschreibende Firmen ein solches Preistreibespiel nach unten spielen würde, dass man nur mit solchen "ja völlig legalen" Maßnahmen an einen Auftrag kommen könne. "Wenn ich das will, dann bin ich als österreichischer Auftraggeber auch Schuld, wenn ich dann keine österreichischen Firmen und Fachkräfte mehr habe. Wir riskieren dann, innerhalb weniger Generationen unsere Kompetenz zu verlieren und haben dann auch keine Wertschöpfung im Inland mehr."Daran schloss sich eine lebhafte Diskussion zwischen Podium und Publikum, an deren Ende noch der Hausherr das Wort ergriff. Der Wiener Landesinnungsmeister Dr. Rainer Pawlick plädierte für eine auch gesetzlich festgeschrieben Verantwortung und Haftung der Auftraggeber für das Bauwerk und erntete damit Applaus.