Österreich : Enteignung von Bauland wird Thema
Zur Mobilisierung von Bauland für neue Wohnhäuser wären im äußersten Fall Maßnahmen bis hin zur Enteignung möglich - oft hilft aber schon eine Nachverdichtung bestehender Bauten ohne zusätzlichen Verbrauch von Grünflächen oder Bedarf an neuer Infrastruktur, das zeigen Musterprojekte. Über den Bogen der Möglichkeiten diskutierten Fachleute bei einem Wohnsymposium.
Bei der Frage des Einsatzes härterer Maßnahmen - etwa gegen ein Horten oder Spekulieren mit Bauland - geht es immer um eine Abwägung zwischen den Rechten privater Eigentümer und öffentlichen Interessen, betonte Verfassungsrechtler Heinz Mayer. "Enteignet werden darf, wenn es ein ganz dringendes Bedürfnis an Bauland gibt und es keine anderen zivilrechtlichen Möglichkeiten einer Einigung gibt", sagte er. So müsse sich etwa eine Gemeinde schon erst um einen Kauf einer Fläche bemühen. Gebe es in einer Region zu viele ungenutzte Flächen, so könnte es vielleicht doch ein erhebliches öffentliches Interesse geben, diese dem Bauen zuzuführen, verwies Mayer auf Vorarlberg mit einem angeblich hohen Rückstau. "Öffentliches Interesse" bedeute, dass etwas im Interesse der Allgemeinheit liege, wiewohl dies schon "ein wertausfüllungsbedürftiger Begriff" sei, wie Mayer meinte. Über das öffentliche Interesse komme man im übrigen auch zu einer gewissen Sozialbindung.
Natürlich brauche es "Eingriffe" zur Mobilisierung von Bauland für den Wohnbau, meinte AK-Ökonom Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunalpolitik in der Arbeiterkammer Wien. Es gebe eine Reihe von Instrumenten, die abgesichert werden müssten, meinte er bei dem Symposium von "Standard", dem Wohnfonds Wien und dem Fachmagazin "Wohnen Plus". Erste Gehversuche dazu gebe es in der Vertragsraumordnung. Und die Wiener Bauordnung sehe durchaus Enteignungen vor, auch wenn diese kaum angewendet würden. Sehr viel Potenzial biete die Nachverdichtung in bestehenden Wohnanlagen, speziell bei Gemeinde- und Genossenschaftsbauten. Noch größer sei das Potenzial bei klassischen Altbauten, doch entstehe dort kein sozialer Wohnbau. Die Errichter von privaten Luxusdachwohnungen sollten zu einem Drittel-Anteil an geförderten Wohnungen verpflichtet werden, forderte Ritt. Diese Drittel-Pflicht sollte in Wien auch für Gebiete innerhalb des Gürtels gelten. Und in Großwohnbauten aus den 1970er und 1980er Jahren, deren Wohnungen teils für heutige Ansprüche zu groß seien, könnte man die Einheiten verkleinern und auch altersgerecht machen. "Sie müssten dann aber auch billiger werden als das, was aufgegeben wird."
Auf die Stadt-Land-Unterschiede verwies der TU-Wien-Professor und Bodenmanagement-Spezialist Arthur Kanonier. Sanktionen, um eine fristgerechte Verbauung von gewidmetem Bauland zu erzwingen, würden Gemeinden ungern setzen, das sei "unpopulär". Viele Kommunalen würden sich "scheuen, angedrohte Sanktionen auch zu realisieren". Daher überlege Kärnten, solche Gemeinden ihrerseits zu sanktionieren, "das wird dann aber relativ kompliziert", so der Experte. Und den Plan Salzburgs, ab 2019 jede Widmung nur noch befristet vorzunehmen, hält er für "eventuell ebenfalls überschießend". Die Steiermark sehe vor, dass bei jeder Widmungsrevision eine Frist fürs Bauenvorgegeben wird, NÖ nur bei Neufestlegungen. Auch zu Strafabgaben ist der Bogen breit: OÖ setze auf einen Erhaltungsbeitrag, Salzburg ziehe ab 2023 mit einer 10-fachen Belastung nach. Der alte Enteignungs-Tatbestand im Bodenbeschaffungsrecht gelte zwar noch, sei aber totes Recht und werde vielleicht abgeschafft, auch weil nicht ideal formuliert. Trotzdem sollte man über diese Möglichkeit für Städtebau oder Wohnzwecke nachdenken, plädierte Kanonier. So lang wie möglich sollte man bei dem Thema im öffentlichen Recht bleiben und erst so spät wie möglich aufs Zivilrecht ausweichen.
In Wien wären Enteignungen wohl nicht zielführend, meinte Sozialbau-Chef Josef Ostermayer - da der Wohnfonds Wien 2,7 Mio. m2 Flächen habe, die gemeinnützigen Bauträger jedoch nur einige 100.000 m2 Grundflächen. Derzeit gebe es in Wien noch ausreichend Reserveflächen, die den Wohnbau ermöglichen würden, jedoch benötige Wien wohl 10.000 zusätzliche Wohnungen pro Jahr. Es gebe zwar viele Flächen, die rechtzeitig angekauft worden seien - wo aber die Widmung fehle. Das liege etwa auch an zu langen UVP-Verfahren, meinte der Wiener Landesobmann der gemeinnützigen Bauvereinigungen. Im Städtebau sei die Umweltverträglichkeitsprüfung eventuell "überschießend umgesetzt" worden, es gebe ein "Goldplating", also Übererfüllung der EU-Vorschriften.
Der Chef der Linzer WAG Wohnanlagen, Wolfgang Schön, rief die Politik dazu auf, die Gewinnung von Bauland in bestehenden Bauten - im Einklang mit den jetzigen Mietern - zu unterstützen. Schön nannte Pilotprojekte in Linz, wo etwa im Stadtteil Bindermichl der Bestand von 1.900 Wohnungen um ein Drittel oder 650 neue Einheiten wächst, samt barrierefreien Liften und privaten loggia-ähnlichen Freiflächen. Durch Ersatz eines EKZ und die Modernisierung einer Siedlung samt neuen Dachwohnungen soll in Oed der Bestand von 2.600 Wohnungen um ein Zehntel wachsen.