In der „Tagespresse“ gab es vor ein paar Jahren eine Satire-Story über eine Familie, die trauernd Abschied von ihrem Sohn nimmt, da der in die Seestadt zieht. Können Sie darüber lachen?
Ernst Nevrivy: Die Tagespresse ist ok. Ich würde den Witz nicht machen, aber die Tagespresse ist lustig-ironisch. Inhaltlich stimmt der Witz aber nicht. Der Weg in die Seestadt ist keine Verabschiedung aus Wien – im Gegenteil. Man ist mit der U-Bahn innerhalb kürzester Zeit im Stadtzentrum. Von der Seestadt zum Rathaus sind es 27 Minuten. Das ist bei weitem zentraler als so manch anderer Ort in der Stadt.
Werden Sie öfter mit solchen Aussagen konfrontiert, dass die Seestadt so weit weg und nicht mehr Wien ist?
Ernst Nevrivy: Nein, ich werde eher damit konfrontiert, dass man immer wieder höre, dass man in die Seestadt nicht ziehen möchte. Weil sie zu dicht besiedelt wäre und dergleichen. Aber wenn ich mit den Menschen spreche, merke ich, dass die meisten gar nicht wissen, wie die Seestadt aussieht. Gemessen an anderen Gegenden in der Donaustadt, wo etwa Einfamilienhäuser stehen, ist die Situation natürlich eine andere. Aber andere Wohnhausanlagen, etwa Rennbahnweg und Großfeldsiedlung, sind viel dichter besiedelt.
Jetzige Bewohner der Seestadt sehen also keine zu dichte Besiedlung?
Ernst Nevrivy: Ich glaube, die jetzigen Bewohner der Seestadt haben eine viel höhere Zufriedenheit als der Rest des Bezirks und auch der Rest Wiens. Das hängt auch damit zusammen, dass die Menschen in der Seestadt bewusst diese Art des Lebens wählen. Natürlich gibt es in den Anfangsjahren mehr Probleme, weil die Infrastruktur noch nicht in dem Ausmaß vorhanden ist wie schlussendlich geplant. Aber man sieht bereits jetzt bei 7.000 Bewohnern und mit einem großen Teil des Projektes realisiert, dass die Leute einfach zufrieden sind. Wir hatten auch bereits die 500. Geburt in vier Jahren.
Glauben Sie, dass die Menschen bewusst die Seestadt wählen, wenn sie bereits in der Familienplanung sind?
Ernst Nevrivy: Wir wissen, dass vermehrt junge Familien in die Seestadt ziehen – mit viel mehr Kindern als im normalen Schnitt des Zuzuges im Rest der Donaustadt und auch in Rest-Wien. Das spüren wir auch dadurch, dass die Kindergarten- und Schulplätz weit mehr benötigt werden als ursprünglich in der Planung vorgesehen. Bei den Kindergartenplätzen haben wir in der ganzen Donaustadt immer wieder Probleme, aber gerade in der Seestadt haben wir viel zu wenige. Das wird aber bei den zukünftigen Neubauten berücksichtigt. Es geht nur nicht so schnell. Die Seestadt ist in ihrer Infrastruktur ja durchplant – wenn dann in der ursprünglichen Planung keine weiteren Kindergartengruppen vorhanden sind, dann ist das nicht so schnell reparabel. Aber ich gehen davon aus, dass die Entwicklung, die wir beobachten können, bei der zukünftigen Planung bereits berücksichtigt wird.
https://youtu.be/_dzHphXs0jk
Gibt es einen Punkt, der für Menschen bei der Wahl, in die Seestadt zu ziehen, besonders heraussticht?
Ernst Nevrivy: Das Moderne, das Neue, das Innovative – davon bin ich überzeugt. Aber auch gleichzeitig das Naturverbundene, wie zum Beispiel der Teich. Die Seestadt ist umgeben von Wald und hat in der Mitte den See. Es ist diese Konstellation eines eigenen Paradieses gekoppelt mit einer unheimlich guten Infrastruktur. Die U-Bahn-Verbindung wurde noch gebaut, bevor die ersten Bewohner in der Seestadt waren. Das war lustig, wie dann damals wirklich niemand in den Wagons war.
Schreckt das nicht auch manche ab, dieser riesige Komplex, der eine eigene kleine Stadt ist?
Ernst Nevrivy: Ich glaube nicht. Wer das nicht will, zieht einfach nicht hin. Wer hinzieht, begibt sich ja bewusst hin. Es ist ja nicht so, als würde man eine Wohnung in Wien suchen und plötzlich in der Seestadt landen. Im Gegenteil, was ich von den Bauträgern weiß, ist der Andrang in die Seestadt viel größer als der Wegzug. Das erkennt man auch daran, dass es dort keine leerstehenden Wohnungen gibt. Auch die Geschäftslokale sind meines Wissens vollständig ausgebucht.
Eine etwas spekulativere Frage: Wenn so viele Menschen nun in der Seestadt geboren werden und sich der Ort, an dem sie aufwachsen, wirklich wie eine eigene Stadt anfühlt – könnte es dann nicht irgendwann zur Nestflucht kommen und junge Menschen wollen von dort weg, wo sie aufgewachsen sind? Dann wäre die Seestadt plötzlich ein alternder Bezirk.
Ernst Nevrivy: Die echte, richtige Stadt ist die Donaustadt. Ich bin überzeugt davon, wer hier aufwächst, wird nicht so gerne freiwillig wegziehen. Wir haben letztes Jahr einen Zuzug von 5.000 gehabt, die prognostizierten Zuzüge liegen bei 3.000 pro Jahr. Wir haben die Prognosen jedes Jahr überschritten, glaube ich, einmal hatten wir sogar über 7.000. Und die Kinder und in nächster Folge Enkelkinder werden versuchen, irgendwo in der Donaustadt, wenn nicht sogar in der Seestadt zu bleiben. Die Attraktivität der Donaustadt wächst auch zusehends. Wir haben moderne, neue, innovative Projekte. Und die Wohnprojekte sind schon fertig vermietet und verkauft, noch bevor das Bauvorhaben fertig ist.
Bleiben wir beim Bevölkerungszuwachs. Ganz Wien sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert. Steht die Donaustadt vor den größten Herausforderungen, da sie auch den größten Bevölkerungszuwachs hat?
Ernst Nevrivy: Die größte Herausforderung – mag sein. Wir haben riesige Probleme mit der Verkehrssituation. Wir brauchen zusätzliche Investitionen in den öffentlichen Verkehr. Meine Position im Individualverkehr, also beim Lobautunnel etwa, ist klar – diese Lösungen brauchen wir, um den Verkehr aus der Donaustadt herauszubekommen und um Wien zu leiten. Den Zwischenverkehr im Bezirk selbst müssen wir auf ein hochrangiges Straßennetz, nämlich die Stadtstraße Aspern, bringen. Die anderen Herausforderungen sind Schul-, Kindergarten- und vor allem Arbeitsplätze. Es ist sinnvoll und notwendig, dass die Menschen auch in Betrieben in der Donaustadt arbeiten können. Auch hierzu bedarf es ausreichender Verkehrsmöglichkeiten.
Was ist der aktuelle Stand bei der Stadtstraße?
Ernst Nevrivy: Das Thema liegt beim Verwaltungsgericht und es wird hoffentlich noch dieses Jahr eine positive Entscheidung geben. Aber auf hoher See und vor Gericht liegst du in Gottes Hand.
Ist die Nachverdichtung in der Donaustadt ein Thema?
Ernst Nevrivy: Immer. Wobei natürlich Stadtentwicklung in der Donaustadt etwas anderes bedeutet als im innerstädtischen Bereich. Stadtentwicklung innerhalb des Gürtels sind meistens Dachgeschoßausbauten und irgendwo wird im Sinne der Nachverdichtung ein Haus hineingestellt. Bei uns ist es aufgrund der Widmungen in vielen Bereichen möglich, dass, wenn ein Grundstück verkauft wird, anstelle eines Einfamilienhauses durchaus mehrere Wohnungen gebaut werden können. Das passiert auch immer wieder. Aber die großen Herausforderungen sind nicht diese einzelnen Wohnhausanlagen mit ein paar Wohnungen, sondern die größeren Stadtentwicklungsgebiete, wo tatsächlich hunderte oder tausende Wohnungen geschaffen werden. Man merkt in Gebieten wie der Donaustadtstraße oder Wagramerstraße, wo viele alte Gebäude noch stehen, dass aufgrund der bestehenden Flächenwidmung durchaus viel mehr Wohnraum möglich wäre als das jetzt der Fall ist. Und wenn dort Grund verkauft wird, dann kauft logischerweise der, der am meisten dafür zu zahlen bereit ist. Und je mehr jemand zahlt, desto mehr Wohnraum wird er schaffen wollen.
Wie derzeit eines der größten Energieforschungsprojekte Europas in der Seestadt verschiedene Energielösungen im Gebäudebereich austestet, lesen Sie in der heute brandneuen Ausgabe von bau.briefing.one!
Folgen Sie der Autorin auch auf Twitter!
Holen Sie sich jeden Morgen das Neueste aus der Branche – im Solid Morning Briefing!