Pleitegeier : Die Pleite-Story von Bogner Edelstahl

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Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Und manchmal klingt Robert Broermann, als hätte er ihn schon verloren. „Spezialist für höchste Stahlgüten“, „Anarbeitung bis in die dritte Wertschöpfungsstufe“, „Lagerhaltung bis auf den elektronischen Abruf“. Hastig, manche Endungen verschluckend, arbeitet der Finanzchef des Wiener Traditionsunternehmens Bogner Stahl seine „Unique Steel Propositions“ vor den Zuhörern ab.

Die Unruhe ist an jenem Junimorgen auch im persönlichen Gespräch greifbar. Vielleicht liegt das daran, dass der gebürtige Hannoveraner vor einer ziemlich dringenden Aufgabe steht. Im Rahmen eines groß angelegten Investorensuchprogramms spricht Broermann mit seinem Geschäftsführerkollegen Unternehmen an, die an einer Beteiligung an Bogner interessiert sein könnten. Die Eigentümerfamilie Bogner hat sich zu Jahresbeginn aus dem Management des Unternehmens zurückgezogen und hat die neue Mannschaft vor eine Alternative gestellt: Angesichts der Skaleneffekte in der Branche ist man zu groß zum Sterben und zu klein zum Überleben.

Ein strategischer Investor, ein Stahlverarbeiter oder ein Händler mit komplementären Produkten und Synergien soll einen Anteil an der Gruppe übernehmen und das Kapital für weiteres Wachstum zur Verfügung stellen. Oder – aber das ist an jenem sonnigen Junimorgen noch keine Option, an die Broermann denken will – das Unternehmen schrumpft auf einen Nischenanbieter zurück.

Tristesse

Nur zwei Monate später ist Bogner Edelstahl, lange Jahre der Musterschüler der Branche, insolvent. Das Verfahren über den Familienbetrieb, der seit den 50er Jahren Stahl für den Maschinenbau liefert und mit seiner Bogner Academy ganze Jahrgänge erfolgreicher Stahlhändler ausbildete, wurde am 4. September eröffnet.

Es ist ein Fanal für die Branche: Die Hoch-Zeit des Stahlhandels ist längst vorbei, das Business ist zum Schmuddelkind der Industrie geworden. Große Produzenten wie die voestalpine haben sich längst aus dem wachstumsschwachen Groschengeschäft zurückgezogen.

Die lahmende Konjunktur der letzten Monate, die Überkapazitäten am Stahlmarkt (mehr dazu im Kasten „Strukturkrise?“) und der daraus resultierende stetige Preisverfall setzen den heimischen Händlern kräftig zu. Fast alle großen Häuser schreiben – teilweise schon jahrelang – rote Zahlen:

Die ehemalige voestalpine-Tochter Cognor Stahlhandel GmbH, die jetzt im Eigentum einer polnischen Gruppe steht (Umsatz 2011: 180 Millionen Euro, Bilanzverlust: 24,6 Millionen Euro); die Stahlhandelstochter des Commodity-Stahlproduzenten ArcelorMittal, Eisen Wagner (Erlöse 2011: 111 Millionen Euro, Bilanzverlust: 11 Millionen Euro); die Österreich-Tochter des Schweizer Weltmarktführers für Langstahl, der Schmolz + Bickenbach GmbH (Umsatz 2011: 46 Millionen Euro, Bilanzverlust: 9 Millionen Euro) – die Bücher der heimischen Stahlhändler sind an Tristesse kaum zu überbieten.

Gift für die Kassen

Gegen die Zahlen der Konkurrenz nimmt sich das Dokument, das am 20. März dieses Jahres beim Landesgericht Wien hinterlegt wird, fast überirdisch aus: Einen minimalen Jahresgewinn von 45.000 Euro weist die Bilanz von Bogner Edelstahl dem 93-Millionen-Euro-Umsatz-Unternehmen für 2011 aus.

Doch das wahre Problem des Unternehmens ist in dieser Bilanz nicht ersichtlich: Es ist das Geschäftsmodell. Bogner handelt mit Edelstahl und übernimmt die Lagerhaltungsfunktion für den Kunden. Während die Preise für niedrigere Stahlqualitäten, so genannten Schwarzstahl, in den letzten 18 Monaten nur leicht sanken, gaben die Preise für Edelstahlqualitäten seit März 2011 um fast 20 Prozent nach. Bei einem durchschnittlichen Lagerumschlag von nur drei oder vier Mal pro Jahr schmelzen die geringen Margen seit Jahresbeginn in sich zusammen. Die laxeren Zahlungsbedingungen und die Verschlechterung der Zahlungsmoral zu Jahresbeginn sind zusätzliches Gift für die Kassen von Bogner.

Lackmustest

Als sich Ende Juli abzeichnet, dass wohl kein Investor für die Bogner Gruppe gefunden werden kann, zieht man die Reißleine. Plan B – ein so genannter Stand Alone Case soll das langfristige Überleben des Unternehmens sichern. Mit Restrukturierungsplänen, die ein Schrumpfen auf lukrativere Nischenmärkte vorsehen, versucht man die finanzierenden Banken festzunageln. Eine Übergangsfinanzierung von rund vier Millionen Euro soll das Unternehmen, das sich auf Investorensuche befindet, über die nächsten Wochen retten.

Doch die finanzierenden Banken hätten mit einer solchen Finanzierung mehr zu verlieren als zu gewinnen: Die umfassenden Pfandrechte auf Liegenschaften und einen Großteil der Lagerbestände lassen die Bereitschaft, Bogner finanziell entgegenzukommen, deutlich sinken. Auch den bankenüblichen Lackmustest bestand das Unternehmen nicht: Einem Angebot einer finanzierenden Bank, zwei Millionen Euro einzuschießen, wenn sich die Eigentümerfamilie Bogner mit weiteren zwei Millionen Euro beteiligte, wollte man nicht entgegentreten.

Doch wie rechtfertigt der Kreditverantwortliche einer Bank einen Einschuss in Höhe von zwei Millionen, wenn sich selbst die Eigentümer nicht sicher sind, ob sie mit einem relativ geringen Betrag weiter ins Risiko gehen wollen? Im Gegensatz zu Cognor, Eisen Wagner und Schmolz + Bickenbach, die mit ihren blutroten Bilanzen schon Jahre am Tropf großer Konzerne hängen, fehlte wohl der starke Eigentümer mit dem langen Atem.

Was folgte, ist das Worst-Case-Szenario für das Management. Am 5. September wurde das Insolvenzverfahren über den renommierten Stahlhändler eröffnet. Es ist ein Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung. Ein solches ist nur Unternehmen gestattet, die darstellen können, zumindest 30 Prozent ihrer Forderungen bedienen zu können.

Angesichts des hohen Anteils an besicherten Forderungen (die ausgesondert werden und nicht der Masse zur Verfügung stehen) ist eine solche Quote für Gläubiger eine Illusion. Die Fremdverwaltung (und damit die Bestellung einer Insolvenzverwalterin) nimmt dem Management das Heft des Handelns aus der Hand – eine Sanierung, sollte diese überhaupt kommen, muss nun von der Masseverwalterin durchgeführt werden. Doch diese ist verpflichtet, die höchste Quote für die Gläubiger zu erreichen. Ohne den Verkauf von Teilen des Unternehmens ist eine solche nicht zu erreichen. Ein Verkauf in Bausch und Bogen ist längst illusorisch.

Sprit für Monate

Doch selbst das Interesse an einzelnen Teilen von Bogner Edelstahl bestreiten die Mitbewerber – zumindest im Gespräch mit INDUSTRIEMAGAZIN. Die Versorgung mit Stahl für die heimische Industrie sei auch ohne Bogner „übererfüllt“. Viele sehnen einen Strukturwandel in der gebeutelten Branche herbei – weg vom Spezialstahlhändler, wie Bogner – hin zu Generalisten, die Stähle in allen Qualitäten veräußern.

Andere nutzen die Gunst der Stunde und betonen in Rundrufen bei Bogner-Kunden den Ernst der Lage („Bogner steht vor dem Abgrund“). Dass es doch Interessenten für einzelne Teile der Bogner-Gruppe gibt, ist aus Kreisen von Gläubigerschützern zu erfahren. Mehrere solcher Generalisten erhoffen sich offenbar im Konkurs den Zukauf eines soliden Kundenstocks und Anarbeitungs-Know-how. Bei Bogner wird derzeit unter dem Schutzschild des Insolvenzverfahrens mit einem Liquiditätspolster, der bis Ende Oktober reichen dürfte, ohne Unterbrechung weitergearbeitet.

Gläubigerschützer, die dem Management „eine äußerst professionelle Vorbereitung des Insolvenzverfahrens“ bescheinigen, sprechen von „Sprit, der den Motor noch Monate laufen lässt“. Zeit, die die Insolvenzverwalterin mit Hilfe des Managements dringend brauchen wird, um die optimale Verwertung des Unternehmens sicherzustellen.

Rudolf Loidl