Mitte Juni war die Stimmung bei Hochtief Austria sicher großartig – zusammen mit Implenia Österreich und Thyssen hat der heimische Ableger des deutschen Baukonzerns einen der raren Großaufträge im Tiefbau ergattert. Die Arbeitsgemeinschaft baut nach der neuen österreichischen Tunnelbaumethode sieben Kilometer am Tunnel Gloggnitz in Niederösterreich für den Semmering-Basistunnel. Der Auftrag ist satte 460 Millionen Euro schwer. Es gibt sie also noch, die „big deals“ im Tiefbau. Doch abgesehen von einzelnen Großprojekten ist die Stimmung alles andere als ungetrübt. Zu viele Faktoren wirken in diesen Wochen und Monaten negativ auf das Geschehen im Tiefbau – das schwache Wachstum Österreichs, die Situation der öffentlichen Hand, der Industrie und der Privaten setzt allen Sektoren der Bauwirtschaft zu. Allerdings werden mehrere Tiefbausektoren auch heuer weiter zulegen – und laut jüngsten Prognosen bleibt der Tiefbau insgesamt auch in diesen rauen Zeiten im Plus. SOLID bringt die aktuellen Konjunkturzahlen und die wichtigsten Eckdaten dazu, womit die einzelnen Sektoren des Tiefbaus rechnen müssen. Gesamtwirtschaft wächst nur leicht Zuerst die Daten zum wirtschaftlichen Umfeld. Nach einem sehr schwachen Wachstum erwarten heimische Konjunkturforscher für heuer ein Plus von 0,5 Prozent für heuer und 1,3 Prozent für das nächste Jahr. „Heuer setzt sich die Schwächephase der letzten drei Jahre fort, erst 2016 erholt sich die Konjunktur etwas“, meldete das heimische heimischen Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo Ende Juni. Auch die Konjunkturforscher der Bank Austria sprechen von einem „weiterhin nur schleppenden Verlauf“ – allerdings sehen sie eine allmähliche Erholung in Europa, die auch der heimischen Wirtschaft einen langsamen Auftrieb gebe. So ist der Bank Austria Konjunkturindikator im Mai den dritten Monat in Folge gestiegen. Positive Impulse kommen demnach unter anderem aus dem Export. Bauwirtschaft dreht 2015 leicht ins Plus Was die Bauwirtschaft angeht, so verschiebe sich der nachhaltige Aufschwung nach 2016, melden die Konjunkturforscher der Bank Austria. Der einstige Treiber, der Hochbau, habe im Vorjahr spürbar an Schwung verloren. Die Bundesinnung Bau bestätigt, dass heuer in vielen Betrieben der Pessimismus regiert. Zwar beurteile jeder zweite Baubetrieb die aktuelle Geschäftslage als „saisonüblich“ und 16 Prozent als „gut“, doch 34 Prozent bewerten sie als „schlecht“, heißt es in der zuletzt veröffentlichten Konjunkturbeobachtung der Bauinnung. Die Bank Austria erwartet, dass die Bauwirtschaft von dem leichten Rückgang im letzten Jahr mit minus einem halben Prozent heuer mit einem Prozent ins Plus drehen wird. Für das kommende Jahr erwarten die Konjunkturforscher des Hauses ein Wachstum von zwei Prozent. Seitwärtsbewegung im Tiefbau Die ausführlichsten Zahlen zum Tiefbau Europas liefert das Bauforschungsnetzwerk Euroconstruct, an dem 15 Institute Westeuropas und vier aus großen Ländern Osteuropas beteiligt sind. Der jüngste, im Juni erschienene „Euroconstruct Country Report“ liegt SOLID vor. Die Daten zu Österreich kommen dabei vom Wifo. Darin sagen die Konjunkturforscher im Tiefbau für das heurige Jahr sowie für 2016 keinen großen Aufschwung voraus – aber eben auch keinen Einbruch. Statt dessen wird nach dem Plus von 1,5 Prozent im Vorjahr für 2015 eine Seitwärtsbewegung erwartet. Der Grund dafür ist in erster Linie die finanzielle Situation der öffentlichen Hand, die traditionell zu den wichtigsten Auftraggebern im Tiefbau gehört. Ein Plus von 0,2 Prozent heuer Die Zahlen für den Tiefbau im Einzelnen: Eine Stagnation mit einer schwarzen Null von +0,2 Prozent für heuer, ein schwaches Wachstum von +0,7 Prozent für 2016 und ein höheres Wachstum von +1,1 Prozent für 2017. Mit anderen Worten: Ein signifikantes Wachstum ist innerhalb der Prognoseperiode bis Ende 2017 nicht allzu wahrscheinlich, so die Konjunkturforscher. Die Außenfaktoren Mehrere wichtige Faktoren prägen dabei von außen die Baukonjunktur und hier vor allem das Geschehen im Tiefbau. Zunächst zu den negativen: Zu dem für heuer erwarteten leichten Budgetdefizit in Österreich kommen die Auswirkungen der jüngsten großen Steuerreform hinzu. Die Reform soll bekanntlich in erster Linie kleinere Einkommen entlasten, doch auf der anderen Seite fehlen dem Bund und den Gemeinden wiederum Mittel für neue größere Projekte im Bereich der Infrastruktur. Dazu verweisen das Wifo und Euroconstruct ausdrücklich auf das Milliardendebakel rund um die Hypo Alpe Adria, das maßgeblich in der Amtszeit von Jörg Haider seinen Ursprung hat. Trotz der im Mai erfolgten Entscheidungen des Finanzministeriums sei der Streit juristisch alles andere als ausgestanden – und weitere Zahlungen des Staates, die sich nochmals negativ auf den Haushalt auswirken würden, nicht ausgeschlossen. Der Analyse zufolge könnte das unter anderem direkte Auswirkungen auf die großen Tunnelbauprojekte haben – derzeit jener Sektor im Tiefbau, in dem am meisten passiert. Auf der anderen Seite stehen aber auch die Faktoren, die sich deutlich positiv auf das Geschehen im Tiefbau auswirken können. Hier nennt das Bauforschungsnetzwerk für Österreich vor allem die geplanten Investitionen in den Verkehrswegebau beziehungsweise in den Bahnbau. Aber auch vom Energiesektor sind in dem Fall, dass die Energiepreise wieder anziehen, wichtige Impulse im Bereich des Kraftwerksbaus zu erwarten. Schließlich hält der Boom im Telekommunikationssektor weiterhin an – mit spürbaren Auswirkungen etwa beim Ausbau des Breitbandinternets. Straßenbau: Millionen für Tunnelsanierungen Nun zu den einzelnen Sektoren des Tiefbaus. Im Straßenbau ist traditionell die Asfinag die treibende Kraft mit den größten Investitionsvolumina für Bauprojekte. Nachdem der Autobahnbetreiber 2014 mehr als 900 Millionen Euro für Instandhaltung und Neubau des heimischen Autobahnnetzes ausgegeben hat, sind für heuer Ausgaben von 500 Millionen Euro für Projekte im Bereich der Verkehrssicherheit vorgesehen. Zusätzlich hat die Asfinag bis 2019 die Summe von 1,5 Milliarden Euro für die Erhöhung der Verkehrssicherheit im Bereich der Straßentunnel eingeplant. Demnach ist eine Renovierung in über 80 Tunneln vorgesehen. Angesichts dieser Situation erwarten Wifo und Euroconstruct im Bereich des hochrangigen Straßenbaus für 2015 ein Wachstum von rund 2,5 Prozent voraus. Dagegen sei der Ausblick für 2016, vor allem im Bereich des niederrangigen Straßenbaus derzeit mehr als unsicher. Zuletzt sind die Investitionen in den Straßenbau in den Jahren 2012 und 2013 auf der Ebene der Gemeinden stark gestiegen, Eurocontruct spricht von der Nähe eins Zehn-Jahres-Hochs und erwartet nicht, dass sich dieses Niveau in der Gegenwart halten kann. Daher rechnen die Forscher für 2016 im gesamten Straßenbau mit einem Minus von 1,5 Prozent. Dagegen sprechen laut Wifo allein die bereits vorliegenden Investitionspläne dafür, dass der Straßenbau 2017 bereits wieder ein spürbares Wachstum erreichen wird. Kraftwerkebau: In der Warteschleife Beim Bau für den Energiesektor erwarten die Konjunkturforscher für heuer ein Minus von 1,5 Prozent. Denn der Kraftwerkebau leidet wie die gesamte alteingesessene Energiewirtschaft unter dem rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien im Rahmen der Energiewende. Energie aus Sonne und Wind drückt den Strompreis im Großhandel tief in den Keller – die Errichtung neuer Wasserkraftwerke ist kurzfristig kaum oder gar nicht wirtschaftlich. Zum billigen Strom kommt die derzeit extrem billige Kohle – entsprechend undenkbar ist im Moment der Bau neuer Gaskraftwerke. Daher überrascht die Information der Energy Austria kaum, dass die meisten Wasserkraftwerksprojekte, die für 2015 geplant waren, auf später verschoben wurden. Der Bau neuer Heizkraftwerke ist derzeit komplett gestoppt, bis 2020 werden keine auch neuen Bauprojekte erwartet. Andererseits sei der große Bedarf an Wasserkraft auch mittelfristig unbestritten, wie auch Euroconstruct betont. Vor allem Pumpspeicher (wie bei Reißeck II in diesem Heft) dürften in der Energiewende in Zukunft eine zentrale Rolle übernehmen. Bahnbau: Die nächsten zwei Jahre im Plus Im Bahnbau haben das Wifo und Euroconstruct die positive Prognose zuletzt leicht heruntergeschraubt, doch sie rechnen für 2015 weiterhin mit einem Plus von 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das liegt nicht zuletzt an den derzeit sehr niedrigen Leitzinsen im Euroraum, die eine Finanzierung großer Bahnbauprojekte erleichtern. Treiber des Wachstums im Bahnbau sind den Forschern zufolge ähnlich wie im Straßenbau die großen Tunnelbauprojekte – allerdings bestehen genau in diesem Segment zugleich auch deutliche Risiken eines Abschwungs, falls die öffentliche stärker kürzen muss als vorgesehen. Trotzdem: Für das kommende Jahr soll das Wachstum im Bahnbau auf 2,5 Prozent steigen. Auch für 2017 erwarten die Forscher im Bahnbau anhand der jüngsten Vorgaben und Konjunkturdaten ein Plus von knapp zwei Prozent.
Erstmals erschienen in SOLID 7+8/2015, Autor: Peter Martens