Nachhaltiges Bauen : „Das muss man einem Investor erst einmal erklären“
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Briefing.One: Mit Ihrem Projekt Viertel Zwei haben Sie eines der größten Stadtentwicklungsprojekte der letzten Jahre in Wien umgesetzt und in einer früher eher schlecht beleumundeten Gegend auf rund 40.000 Quadratmetern Büros und später Wohnungen gebaut. Wo sehen Sie derzeit die größten Chancen und Probleme in der Stadtentwicklung?
Walter Hammertinger: Die Stadtentwicklung birgt sicher sehr viele Chancen. Dabei kann ich einige Erfahrungen aus dem Viertel Zwei als Beispiel geben. Aktuell sind wir in der Phase drei und setzen dabei unser Bild, wie eine Stadt funktioniert, um. Wir haben in der Phase eins mit gewerblichen Nutzungen begonnen, das war auch flächenwidmungstechnisch nicht anders möglich. Da haben wir einen ganz geringen Wohnungsanteil gehabt – aber in einer Lage, die wir erst generieren oder kreieren mussten. Die Gegend war ja vorher nicht unbedingt die beste Ecke Wiens. In der ersten Phase haben wir gemerkt, dass die reine Büronutzung ein tolles Flair bieten kann, aber die Lebendigkeit fehlt. Ab 17 oder 18 Uhr, wenn die meisten nach Hause gingen, war das Viertel leer. Darauf haben wir dann in Phase zwei und drei reagiert.
Briefing.One: Sie haben doch aber sicher schon vor oder während dieser Phase gewusst, dass Sie noch Wohnungen bauen wollen.
Hammertinger: Wir wussten ja nicht, wie viel wir umsetzen werden können im Viertel Zwei. Es hätte ja auch sein können, dass nach der ersten Phase Schluss ist.
Briefing.One: Aus welchem Grund?
Walter Hammertinger: Da hätte es viele Gründe geben können, zum Beispiel eine Marktdrehung. Aber wie gesagt, auch wenn wir jetzt viel Gewerbe machen, wollen wir die Lage zu etwas Besonderem machen und da zählt nicht nur die reine Immobilie. Da geht es auch darum, welchen Mehrwert man dazwischen bietet – das geht vom Nutzungsmix über den Freiraum oder der See bis hin zu den Erdgeschoßzonen. Wir haben hier Raum zugänglich gemacht. Das ist die größte Chance der Stadtentwicklung – etwas im Großen zu verändern.
Briefing.One: Sie haben vorhin von Mehrwert gesprochen. Der ist ja aber nicht allein Ihre Erfindung. Ist das allgemein die nächste große Herausforderung für die Wiener Stadtentwicklung, dass Raum mit Mehrwert und mit weniger Autos geschaffen wird? Wo sehen Sie da andere Projekte?
Walter Hammertinger: Ich glaube, wir sind einer der wenigen, die das konsequent und in diesem Umfang umsetzen. Wir sehen das auch beim Energiethema: jeder redet von erneuerbaren und alternativen Energien, aber es entstehen nur wenige Projekte. Unsere Vision könnte auch für die Wiener Stadtentwicklung viele Vorteile bieten.
Briefing.One: Warum, was unterscheidet Sie da von anderen?
Walter Hammertinger: Das liegt sicher auch daran, dass wir die Möglichkeit hatten, alleine zu entwickeln – natürlich im Austausch mit der Stadt, aber wir brauchen mit niemandem einen Kompromiss aushandeln.
Briefing.One: Kommen wir noch einmal zum Thema Energie, das Sie bereits angesprochen haben. Das Viertel Zwei wird über das sogenannte Anergienetz des Kraftwerks Krieau versorgt, das Geothermie, Grundwassernutzung und Photovoltaik kombiniert. Die erste Zwischenbilanz vom Winter 2017/18 sah da sehr positiv aus, mit 60 Prozent CO2-Einsparnis gegenüber herkömmlichen Heizsystemen. Wie funktioniert das?
Walter Hammertinger: Ein Contractor produziert für uns am Standort 80 Prozent der Heizenergie und 70 Prozent der Kühlenergie aus erneuerbaren Energien. Wir brauchen wenig Primärenergie, wir nutzen Abfallenergie. Wir haben die Fähigkeit dazu, darum sehen wir es auch als unsere Pflicht, das zu tun. Ich als Entwickler habe persönlich zwar nicht die Kompetenz, durch Abfallwärme Warmwasser für Wohnungen bereitzustellen, aber ich muss der sein, der sagt: Ich will das und ich nehme auch den organisatorischen und rechtlichen Mehraufwand in Kauf – und auch später die Diskussionen mit einem Investor, warum es nicht so ist wie bei anderen Projekten. Wenn Sie über Probleme in der Stadtentwicklung sprechen wollen: Man muss mutig sein. Und um mutig sein zu können, muss man professionell sein. Und am Markt gibt es genug professionelle Developer, die das auch könnten.
Briefing.One: Was war denn die größte Herausforderung beim Anergienetz?
Walter Hammertinger: Es war einfach nicht gelernte Praxis. Das wäre nämlich die Fernwärme und drei Kälteanlagen am Dach des Büros, betrieben von irgendeinem Facility Management. Die werden dann so lange betrieben, bis sie praktisch vom Dach herunterfallen und dann kommen einfach neue drauf. Wir haben den Gebäuden die Haustechnikzentralen weggenommen und jemandem gegeben, der das Interesse hat, möglichst viel erneuerbare Energie zu produzieren und der auch wirtschaften kann. Die Herausforderung dabei war natürlich, dass die Gebäude energetisch zusammenhängen und das muss auch rechtlich für alle Zukunft gesichert werden. Stichwort Servitute – das muss man auch erst einmal einem Investor erklären, dass nicht der größte Energieversorger Wiens das Gebäude speist, sondern eine Art virtuelles Kraftwerk, das aus den unterschiedlichen Energiequellen am Standort produziert. Das ist schwieriger in der Überzeugung als wenn man es so macht, wie es schon hundert Mal gemacht wurde.
Briefing.One: Wie konnten Sie überzeugen?
Walter Hammertinger: Indem wir für das Thema brennen, Innovation gefördert haben und indem wir den Mut hatten, zu sagen: So oder gar nicht. Das Büro hat ein österreichischer Investor gekauft, der ist ganz auf das Thema aufgesprungen. Und jetzt haben wir Wohnungseigentümer bei uns, die fragen, ob sie sich an dem Energie-Contractor beteiligen können.
Briefing.One: So oder gar nicht: wie Sie es formuliert haben, klingt das hoch gepokert. Haben Sie auch ein paar Absagen erhalten, bis Sie Ihren Investor gefunden haben?
Walter Hammertinger: Absagen haben wir keine bekommen. Es gab immer wieder Diskussionen, aber im Endeffekt waren zwei Elemente ausschlaggebend. Erstens findet man sehr wenige stichhaltige Argumente, warum das, was wir hier machen, nicht gut sein sollte; und zweitens natürlich die Marktlage.
Briefing.One: Es hätte ja auch passieren können, dass Sie keinen Investor finden, dass sich alle gegen Sie stellen. Und Sie sind ja immer noch ein Unternehmen, das Gewinn machen muss.
Walter Hammertinger: Wir waren natürlich professionell genug, im Zuge unserer Entwicklungstätigkeit schon Investor Soundings zu betreiben und Stimmung zu machen. Und im Endeffekt war es ein vollkommen markttaugliches Produkt, das wir vorgestellt haben.
Briefing.One: Wie sieht es mit der nächsten Phase Ihres Projektes aus?
Walter Hammertinger: Wir sind schon dabei, das Anergienetz auf diese Phase auszuweiten. Der prominenteste Teil dieser Phase sind sicher die beiden Hochhäuser Weitblick und Grünblick.
Briefing.One: Entwicklung bedeutet unweigerlich Veränderung. Jetzt sind viele begeistert von Ihrem Anergienetz und der autofreien Gegend – aber das war ja nicht immer so und es gibt auch nicht nur das Viertel Zwei. Wie schätzen Sie die Aufgeschlossenheit der Wiener gegenüber solchen Megabauten ein?
Walter Hammertinger: Wir können uns nicht vor Tatsachen verschließen. Die Stadt wächst und sie kann nur in zwei Richtungen wachsen – in die Breite oder in die Höhe. Ich glaube, die Veränderung muss immer einen großen Bruder haben und das ist eine hervorragende Kommunikation. Ich glaube nicht, dass irgendwer Veränderung ablehnt, wenn früh genug kommuniziert und eingebunden wird und die Themen ernst genommen werden. Und das sind oft nur kleine Themen. Wir haben in der ersten Phase auch sehr früh den Kontakt mit den Anrainern gesucht. Die hatten gerade erst die U-Bahn-Baustelle vor der Tür gehabt. Da ging es dann um kleine Dinge, etwa, dass der Scheinwerfer von der Baustelle nicht ins Wohnhaus hineinleuchtet. Wir haben auch eine Waschstraße aufgebaut, damit die Reifen der Lkw sauber sind und die Straße nicht so verdreckt wird. Das ist mittlerweile überall Standard.
Briefing.One: Wie ist es in Österreich um Innovative Architecture bestellt?
Walter Hammertinger: Wir haben in Österreich eine sehr facettenreiche Architektur. Das Thema Innovation wird in der Architektur immer interessanter, was auch an der gesellschaftlichen Entwicklung liegt. Wir haben zweimal den Iconic Award gewonnen, mit Rondo und Studio Zwei in der Kategorie Wohngebäude. Innovative Architektur – ob das jetzt die begrünte Fassade oder das Zweizimmer-Apartment mit 31 Quadratmetern ist, oder wie beim Rondo das Einbetten von Einzelbaukörpern zu einer großen Gemeinschaft – zeigt, dass wir tolle Architekten haben. Das sind Architekten, die das, was wir als Entwickler kommunizieren, und da geht es ja um die Wünsche unserer Kunden, auch tatsächlich umsetzen können. Da gibt es ganz tolle Leute in und außerhalb Österreichs. Wir scheinen mittlerweile den Mehrwert der Architektur – und ohne Mehrwert ist sie für mich nicht innovativ, sondern nur schön – erkannt zu haben. Und diese Innovation können wir an den Gebäuden ablesen, zum Beispiel an der begrünten Fassade beim Studio Zwei. Auch das hat irrsinniges Kopfzerbrechen verursacht, dass dieses Vertical Green als Mehrwert gesehen wird. Wenn so etwas dann noch mit einem Preis geehrt wird, stimmt mich das sehr positiv.
Briefing.One: Mehr Begrünung in der Architektur wird ja vielerorts in Wien gefordert und könnte die Stadterwärmung einbremsen, hat sich aber noch nicht großflächig durchgesetzt. Doch diese Begrünung wird nicht von Anfang an ins Budget mit eingerechnet und am Schluss ist bei solchen Mega-Projekten eben selten noch was übrig.
Walter Hammertinger: Irgendwer ist immer der letzte. Ich kann die Aussage schon verstehen, aber das ist eine fadenscheinige Ausrede. Wenn die begrünte Fassade ein Main Asset eines Produkts ist, kommt keiner auch nur auf die Idee, da auch nur einen Euro wegzustreichen. Bevor wir das erste Budget aufsetzen, beginnt so ein Thema schon im Mindset und in der Produktentwicklung. Und wenn das Mindset nicht stimmt, wird der Gärtner natürlich der Letzte sein. Aber da ist dann schon bei Planungsbeginn etwas falsch gelaufen.