Interview mit Thomas Herzog : „Das ist fast albern“

Nachhaltigkeit in Planung und Architektur, Energiesparen – das Thema regiert die Bauwelt in den letzten Jahren. Muss das sein?Thomas Herzog: Die Hälfte des Weltenergieverbrauchs erfolgt im Zusammenhang mit dem Bau und dem Betrieb von Gebäuden und den notwendigen innerstädtischen Verkehrsabläufen. Als Profession auf der Verursacherseite sind wir also extrem gefordert. Andererseits strahlt die Sonne das Zehntausendfache unseres täglichen Energieverbrauchs auf die Erde. Sie sind immer schon für die Nutzung von Solarenergie eingetreten. Aber rechnet sich die Entwicklung dieser gar nicht so billigen Technologie auch?Herzog: Das Argument ist fast albern: Die Menschen haben sich immer angestrengen müssen, um Energie als Wärme und später als Licht nutzen zu können. Das war immer mühsam, war ein zivilisationsgeschichtlicher Auslesevorgang. Zuletzt investierte man Milliarden, bis die Kernkraft so weit war, dass man sie nutzen konnte. Ich appelliere, dass man sich mit dem Energiehauhalt beim Bauen viel mehr auseinandersetzt. Architekten planen bereits nachhaltige Gebäude, Baufirmen realisieren diese Projekte. Aber es geht – so wie in Wien am Wienerberg – auch immer wieder etwas schief. Liegt das an den Baufirmen?Herzog: Das Bauen selbst ist in Summe nicht aufwändiger. Die Planung ist es. Und das ist im Kern Sache der Architekten. Der Berufsstand entzieht sich hier zu oft seiner Verantwortung. Die Kuppel des Doms von Florenz hat Brunelleschi bauen können, weil er den Ablauf organisierte, Hebetechniken und die Konstruktion mit den Ziegeln auf neue Weise dafür entwickelte. Architekten müssen sich mit der Technologie auseinandersetzen und sie so verstehen, dass sie nicht nur von den Produkten abhängig sind, die die Industrie heute schon bereitstellt. Architekten müssen Produktsysteme mitentwickeln. Aber es ist doch kostengünstiger auf industrielle bereits bewährte Systeme zurückzugreifen. Warum sollte der Architekt das Rad immer wieder neu erfinden? Herzog: Dasselbe sagen auch die Polemiker aus der Industrie, die etwa plumpe, hässliche Fenster produzieren. Der Architekt denkt und arbeitet für den Bauherren. Was Kosten angeht, interessieren diesen zwei Dinge: Wie hoch sind die Baukosten insgesamt? Und: Was kostet der Betrieb auf Dauer? Sie selbst haben wegweisende Gebäude gebaut, andere haben Ihre Systeme kopiert. Was ist da schief gelaufen?Herzog: Zu kopieren ist Unsinn. Was an einem Ort richtig ist, mag genau das Falsche an anderer Stelle sein. Wir wissen beispielsweise, dass leider fast drei Viertel der sogenannten Doppelfassaden nicht funktionieren. Stellen sie sich einmal vor, was das kostet. Grauenhaft. Die nötige Kühlung aber bedeutet nicht nur Energieverbrauch, sondern auch Aufheizen des öffentlichen Raums. Für zwei Grad Kühlung ist die vierfache Energie von zwei Grad Heizen notwendig. Das liegt an heutigen technischen Systemen. Macht man es anders, kann die bauklimatische Effizienz radikal verbessert werden. Und nur dann. Für solch radikale Änderungen braucht es aber einen neuen Bildungsbegriff.Herzog: Nein, einen alten. Ich finde es völlig verfehlt, dass ganz Europa sich jetzt den Kopf zerbricht über ein Kurzzeit Bachelor-Studium in der Architektur. Die europäische Universität ist nicht in erster Linie eine Zuchtanstalt, sondern ein Ort, wo sich Menschen geistig entwickeln sollen. Deshalb bin ich für Bildung im altmodischen Sinn: Denkfähig und aufnahmefähig machen, sodass von der eigenen Disziplin aus auch Grenzen überschritten werden können. Denn die Welt des Bauens enthält noch eine Unmenge Fragen, die nicht beantwortet sind. Danke für das Gespräch.