Reportage : Butterweich im Himmelreich

Sanfthügeliges Grün, saftige Wiesen, schattige Wälder - mit der Natur leben die 2.700 Mitbürger von Hausmannstätten in harmonischer Einigkeit. Vor der Tür liegt das Himmelreich, ein beliebtes Ausflugsziel. Der nahe gelegene Hausberg bietet traumhafte Wanderwege. Doch etwas trübt die acht Kilometer südlich von Graz gelegene Idylle. So ist die Gemeinde nicht nur von Naturschönheit verwöhnt. Sie ist auch mit reichlich Autoabgasen gesegnet. Über 15.000 Fahrzeuge – darunter viele stinkende Laster – passieren täglich die Marktgemeinde, weil die Kirchbacher Bundesstraße die schnellste Verbindung nach Graz ist.

Deshalb baut die Arge OUF Hausmannstätten im Auftrag der Landesregierung seit Jahresbeginn eine gesundheitskompatible 60-Millionen-Euro-Ortsumfahrung. Ab Sommer 2012 soll sie die Hälfte des Verkehrs schlucken. Kernstück der 2320 Meter langen Umfahrung wird ein 1.045-Meter-Tunnel sein, der den Bergrücken Himmelreich quert. Tief im Berg wird gerade vorgetrieben. Draußen, im Ostteil, bereiten Arbeiter schon alles für den Tunneldurchschlag vor. Robert Rast, Leiter der Fachabteilung 18B Straßeninfrastruktur vom Land Steiermark blickt dem Geschehen gespannt entgegen: „In 180 Metern ist es soweit“.

Vorbereitungen für den Durchschlag

Von Dramaturgie verstehen die Bauleute hier allesamt etwas. Ausführende Unternehmen sind die Untertagespezialisten ÖSTU-Stettin aus Leoben und Hinteregger & Söhne aus Salzburg. Die Planungen für die Ortsumfahrung reichen bis ins Jahr 1979 zurück. Auch bei der Führung über das Baustellengelände bauen die Herrschaften gekonnt einen Spannungsbogen auf. Denn nicht sofort darf der Besucher die Reise in den Tunnel antreten.

„Dort drüben ziehen Regenwolken auf“, beobachtet Michael Rappold, Projektleiter des Landes und für die Baustelle verantwortlich. „Später könnte es so matschig werden, dass sogar die Geländewagen stecken bleiben“, erklärt Rappold. Also geht es mit Geländefahrzeugen erst einmal zum Ostteil der Baustelle. Dort, wo die Tunnelbagger im Oktober durchstoßen. Seit Ende Mai bereitet das Baupersonal hier im Zweischichtbetrieb alles für den Voreinschnitt vor.

Ein 49 Meter langer, offener Tunnel mit Gewölbequerschnitt wird später an den Haupttunnel angepfropft. Weil der Tunnel auf bergmännische Weise entsteht, sichern die Arbeiter gerade penibel die Stirnwand – rein provisorisch, versteht sich: „Das eigentliche Tunnelportal entsteht ja später 50 Meter weiter östlich“, sagt Rappold.

Schwierige Bodenverhältnisse

Vertraut machen mussten sich die Arbeiter erst mal mit dem lehmig-schluffigen Boden. „Kommt das Material mit Wasser in Berührung, rinnt der Berg buchstäblich aus“, beobachtete Rappold. Deshalb kommt im Osten eine spezielle Einschnittsicherung zum Einsatz. „Wir tragen einige Meter ab, dann sichern wir wieder“, erklärt er das Prozedere.

Der Bagger nimmt gerade eine Auszeit. Also verlegen Arbeiter mit großer Kraftanstrengung Baustahlgitter, während ein Spritzroboter Nassspritzbeton auf die Aushubwandungen aufträgt. Zusätzlich sichern insgesamt 300 vier, sechs und zehn Meter lange Injektionsbohranker die Baugrube. Einer allein hat eine Bruchlast von 250 Kilonewton, denn der Erddruck „darf nicht unterschätzt werden“, so Rappold.

In Zwei-Meter-Abständen treiben Arbeiter die hohlen Anker aus Stahl mit einem speziellen Tiefbohrgerät – dem Crawler – ins Erdreich. Mit Zement aufgefüllt, werden pro Schicht bis zu zehn Selbstbohranker im Berg verpresst. Vorgebohrt wird bewusst nicht. „Die Löcher würden wieder zufallen“, weiß Rappold.

Betonieren ab dem Frühjahr

Vierzehn Meter hoch soll die Tunnelsicherung im Osten bald schon sein. Die Baugrube beeindruckt schon jetzt – obwohl die Firma mit den Arbeiten gerade einmal zwei Meter unterhalb der Firste, also dem obersten Teil des Tunnels, liegt. Auch von der neuen, 500 Meter langen Trasse, die hier in einen Kreisverkehr münden wird, ist schon etwas zu sehen. „Betoniert wird aber erst im Frühjahr“, sagt Norbert Reichard, Bereichsleiter Untertagebau von ÖSTU-Stettin.

Gleiches gilt für die offene Tunnelbauweise. „Nach dem Betonieren der Fundamente werden wir mit Tunnel- und Konterschalung ein stark bewehrtes, besonders dichtes Gewölbe herstellen“, verrät Stefan Unger, Leiter des Tunnelbaureferats des Landes. 20.000 Kubikmeter werden dafür ausgehoben. Das Material lagert seitlich der Baugrube. „Später setzen wir es zur Hinterfüllung der offenen Bauweise ein“, blickt Unger durch die kaufmännische Brille.

Wohnhäuser befinden sich hier im Osten in unmittelbarer Nähe. Ganz friktionsfrei war das Verhältnis zu den Anrainern anfangs nicht. Bittere Klage wurde mancherorts geführt. „Ich kenne Baustellen, wo Bürgerproteste die Arbeiten zum Erliegen brachten“, plaudert Unger aus dem Nähkästchen. Hier blieb es bei Unmutsäußerungen.

Am 4. Dezember richtete man eine Barbaramesse im Tunnel aus. Die bewegte viel, 500 Interessierte kamen. Staubt es zuviel, rückt seither der Spritzwagen aus. Abteilungsleiter Robert Rast: „Der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat sich damit abgefunden, zwei Jahre eine Baustelle zu haben – und dann auf ewig eine Ruh´“.

Monstranz im Wald

Wenig später haben die zwei Geländewagen eine Anhöhe des Himmelreichs erzwungen. In einer stillen Waldlichtung erwartet uns kein Baulärm, nicht einmal eine Baumaschine. Dafür Legionen von Stechmücken – und eine fertig gesicherte Baugrube für den oberen Teil des Tunnel-Lüftungsschachts. „Durch den 46-Meter-Schacht entweichen im Ernstfall Brandrauchgase“, erklärt Norbert Reichard, Geschäftsführer der ausführenden Arbeitsgemeinschaft.

Der Schachtkopf liegt 28 Meter über dem Tunnel und ziemlich genau über der Tunnelmitte. Durch einen 18 Meter hohen Turm können Rauchgase über die Baumgrenze ziehen. In wenigen Wochen fällt der Startschuss für das schrittweise Abteufen des sechs Meter breiten Schachts. Auch hier wird das leicht lösliche, wasserempfindliche Gestein an den Nerven zehren. „Ein- bis Zweimeterschüsse werden das höchste der Gefühle sein“, glaubt Projektleiter Michael Rappold.

Kraftakt beim Erkunden

Endlich ist der Zeitpunkt gekommen, den Tunnel in Augenschein zu nehmen. Mittlerweile ist er 816 Meter lang. Während er den Wagen in die Dunkelheit lenkt, füttert ÖSTU-Stettin-Mann Norbert Reichard seine Passagiere mit Informationen. „Die Arbeiten begannen hier schon 2005“, hat Reichard die Ereignisse noch frisch in Erinnerung.

In weniger als einem Jahr Bauzeit errichtete die Arbeitsgemeinschaft einen 750 Meter langen Erkundungsstollen mit einer Querschnittsfläche von rund 22 Quadratmetern. Mehr als 60.000 Kubikmeter Erdmaterial gelangten an die Oberfläche. Ein Kraftakt, der nötig war. Denn punktuelle Bohrungen allein „wären wie die Suche im Heuhaufen“ gewesen, meint Reichard. Beim Graben des vier Meter hohen Stollens stieß man so etwa auf Tertiärgestein. Und druckhaftes Wasser – das größte Gift im Untertagebau.

Über Grabungen entwich das Wasser sanft. Doch dann war im Landestopf Ebbe – und der Projektbeginn verzögerte sich. „Das war insofern spannend, als der Richtstollen nur für ein Jahr Stehzeit vorgesehen und sehr zart ausgebaut war“, sagt Unger.

Baggern statt Sprengen

Doch der Richtstollen hielt. Heute ist er vollständig entwässert, zurückgebaut, erweitert und neu gesichert. Im vorderen Abschnitt werden derzeit Baustoffe gelagert, im hinteren, östlichen Tunnelteil herrscht hingegen große Betriebsamkeit. Alle paar Meter brüllen Baugeräte los oder blinken Fahrzeuglichter auf – nur der 932er Liebherr-Tunnelbagger regt sich nicht. Sein Fahrer checkt ihn gerade durch.

„In der Nacht wird er wieder für den Vortrieb gebraucht“, erklärt Tunnelbau-Referatsleiter Stefan Unger. Denn bei diesem konventionellen bergmännischen Vortrieb gibt es keine Sprengladungen die Platz schaffen. „Das Material hier ist so weich, dass wir nur mit Baggern arbeiten“, sagt der Bauprofi. Eine Hilfestellung im Lockermaterial ist aber unerlässlich: „Alles geschieht unter dem Schutz von Rohrschirmen“, sagt Unger.

Im Bauch des Bergs wird deutlich, was er meint. Ein Rohrschirmgerät mit 20-Meter-Lafette treibt 18 Meter lange Stahlrohre in die Firste. Von Staplern herangeschafft, werden sie leicht schräg nach außen und oben gebohrt. Einmal mit Zementsuspension gefüllt, vergüten je 33 nebeneinander liegende Rohre den Tunnel. Spritzbeton und Tunnelgitterbögen verstärken die Konstruktion.

14 Meter wird vorgetrieben, dann folgen wieder Rohrschirme. Gearbeitet wird rund um die Uhr. Für einen schnellen Gerätewechsel setzen die Bauleute im Tunnel auf lauter selbstfahrende Maschinen. „Was keine Räder hat, fährt mit Raupenantrieb“, lacht Projektleiter Michael Rappold.

35-Meter-Querschlag

Ungefähr bei der Tunnelmitte wird schon bald der fertige Entlüftungsschacht einmünden. Die Baufirma errichtet deshalb gerade einen 35 Meter-Querschlag für Axialventilator und Elektrotechnik-Räume. Schon nach einem Meter Vortrieb wird in der Kaverne wieder gesichert.

„Geben wir dem Berg Zeit, Kräfte zu entwickeln, kriegen wir Riesenprobleme“, begründet ÖSTU-Stettin-Mann Norbert Reichard die Entscheidung. Er winkt die Besucher zur Seite, denn ein Fahrzeug mit frischem Spritzbeton bringt sich in Positur. Viel später entsteht hier eine fast 600 Meter lange Zwischendecke für Abluftjalousien. Der Tunnel wird isoliert und mit einer 30 Zentimeter starken Beton-Innenschale ausgekleidet. Das Sohlgewölbe befüllen die Arbeiter dann zusätzlich mit einer zwei Meter dicken Betonschicht. „Sonst könnten Toneinschlüsse aufquellen und die 16.000 Quadratmeter große Fahrbahnbetondecke heben“, erklärt Reichard.

Ende 2011 erfolgt schließlich die Übergabe des Bauwerks an die technischen Ausrüster. Dann werden Notrufnischen und die Lüftungsanlage installiert. Erst sieht das Bauteam aber erwartungsvoll dem Tunneldurchschlag im Herbst entgegen. Wie auch der eine oder andere Bewohner von Hausmannstätten.

Kosten: 60 Millionen EuroBaubeginn: Anfang 2010Bauende: Mitte 2012

Bauherr: Steiermärkische LandesregierungBauausführung: Arge OUF Hausmannstätten bestehend aus:ÖSTU-Stettin Hoch- und Tiefbau GmbH, 8700 LeobenG. Hinteregger & Söhne, 5020 Salzburg

Erd- und Straßenbauarbeiten: HABAU Hoch- und Tiefbaugesellschaft m.b.H.Rohrschirmarbeiten: Kellergrundbau Ges.m.b.H., SödingTunnelabdichtung: IAT G.m.b.H., Wien

Glück auf: In konventionellem bergmännischem Vortrieb wird ohne Sprengungen in der Steiermark ein 1045-Meter-Tunnel gebaut. - © Michael Hetzmannseder
Michael Rappold, Projektleiter Land Steiermark: „Kommt der Berg mit Wasser in Berührung, rinnt er buchstäblich aus“. - © Michael Hetzmannseder
Robert Rast, Leiter der Fachabteilung 18B Straßeninfrastruktur vom Land Steiermark: "„Der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat sich damit abgefunden, zwei Jahre eine Baustelle zu haben – und dann auf ewig eine Ruh´“. - © Michael Hetzmannseder
Norbert Reichard, ÖSTU-Stettin: „Gibt man dem Berg Zeit, Kräfte zu entwickeln, kriegt man Riesenprobleme“. - © Michael Hetzmannseder
Robert Rast, Leiter der Fachabteilung 18B Straßeninfrastruktur vom Land Steiermark: "„Der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat sich damit abgefunden, zwei Jahre eine Baustelle zu haben – und dann auf ewig eine Ruh´“. - © Michael Hetzmannseder
Norbert Reichard, ÖSTU-Stettin: „Gibt man dem Berg Zeit, Kräfte zu entwickeln, kriegt man Riesenprobleme“. - © Michael Hetzmannseder
Michael Rappold, Projektleiter Land Steiermark: „Kommt der Berg mit Wasser in Berührung, rinnt er buchstäblich aus“. - © Michael Hetzmannseder
Stefan Unger, Land Steiermark: „Der Richtstollen war nur für ein Jahr Stehzeit vorgesehen und deshalb sehr zart ausgebaut“. - © Michael Hetzmannseder
Norbert Reichard, ÖSTU-Stettin: „Gibt man dem Berg Zeit, Kräfte zu entwickeln, kriegt man Riesenprobleme“. - © Michael Hetzmannseder
Stefan Unger, Land Steiermark: „Der Richtstollen war nur für ein Jahr Stehzeit vorgesehen und deshalb sehr zart ausgebaut“. - © Michael Hetzmannseder
Michael Rappold, Projektleiter Land Steiermark: „Kommt der Berg mit Wasser in Berührung, rinnt er buchstäblich aus“. - © Michael Hetzmannseder
Robert Rast, Leiter der Fachabteilung 18B Straßeninfrastruktur vom Land Steiermark: "„Der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat sich damit abgefunden, zwei Jahre eine Baustelle zu haben – und dann auf ewig eine Ruh´“. - © Michael Hetzmannseder