SOLID-Schwerpunkt Projektmanagement : BPM I - Es gilt die Unschuldsvermutung

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Heutzutage hat praktisch alles, was komplizierter zu organisieren ist als der Bau einer Garage, mit Projektmanagement zu tun: Häuser, Brücken, Schnellstraßen, Autos, ganze Lieferketten im Handel oder die Raumfahrt. Dabei kamen schon die ältesten Großprojekte wie die Pyramiden, die Chinesische Mauer oder die gotischen Dome nicht ohne Projektmanagement aus. Fasst man heute die zahlreichen Diskussionen der Fachwelt zum Thema zusammen, wird eines sehr deutlich: Das Thema ist ein wunder Punkt. Und praktisch jeder hat dazu eine andere Meinung. Die meisten Beteiligten weisen darauf hin, dass allzu vieles schiefläuft. Heimische Forscher und die Verantwortlichen auf den Baustellen sehen trotzdem keinen Grund zur Resignation – denn es gibt auch genügend Bauprojekte, deren Management richtig gut funktioniert.Vier Disziplinen bilden den KernWas ist beim Begriff selbst derzeit der kleinste gemeinsame Nenner? Zunächst einmal ist BPM die Lehre, wie man die Voraussetzungen für eine wirtschaftlich optimale Realisierung eines Bauprojekts schafft. Dazu gibt es eine unüberschaubare Zahl an Publikationen und Meinungen. Laut dem "ProjektMagazin" einigt man sich rund um das Planen, Organisieren, Steuern und Kontrollieren prinzipiell auf fünf unverzichtbare Tätigkeiten:1. Koordination der Abläufe mit dem Bauherrn;2. Einholen der Baugenehmigungen;3. Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung der Bauleistungen;4. Überwachung und Steuerung beim Bauen; sowie schließlich5. Abnahme und Übergabe des fertigen Objekts.

Konkreter formuliert es Thomas Mathoi, früher etwa Dozent am Institut für Baumanagement (i3b) der Universität Innsbruck und heute Bauingenieur sowie Fachautor. Mathoi zufolge sind vier Disziplinen Teil des BPM: Im engeren Sinn Projektleitung und -steuerung; im weiteren Sinne diese beiden und dazu die Begleitende Kontrolle und die Örtliche Bauaufsicht.

Soweit zu den Definitionen. Wie dieser Rahmen jedoch mit Erkenntnissen für die Lehre und Forschung sowie mit Vorgaben für die Praxis auszugestalten ist – darüber scheiden sich die Geister. Allerdings herrscht Einigkeit darüber, wie es nicht sein soll: Wie beim grandios gescheiterten Großprojekt Skylink, oder auch beim Bau des Wiener Stadthallenbades.

Das sehen auch vier von SOLID befragte Experten so. Es sind dies:

Arnold Tautschnig, Dekan der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften an der Universität Innsbruck;Brigitte Schaden, Vorstandsvorsitzende Projekt Management Austria;Klaus Stanek, Geschäftsführer KS Ingenieure ZT GmbH, Wien;Elmar Hagmann, Gruppenbauleiter, Firma Wilhelm Sedlak, Wien.

Die negativen Beispiele vor Augen, halten sie mit ihrer Kritik nicht hinterm Berg. Genannt werden vor allem mangelnde Professionalität, mangelnde Sozialkompetenz, der fehlende Blick auf das Ganze und das berüchtigte Claim- bzw. Nachtragsmanagement. Die Angesprochenen schlagen aber auch Lösungen vor und umreißen, in welche Richtung es künftig gehen sollte. Hier die Statements in voller Länge - zuerst erschienen in SOLID 02 / 2012. (pm)

Arnold Tautschnig, Univ. Prof. DI. Dr. techn., Dekan der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften, Universität InnsbruckMitglied in "DVP- Deutscher Verband der Projektmanager in der Bau- und Immobilienwirtschaft e.V." :

1. Die prägenden Entwicklungen im Bereich Bauprojektmanagement heute und die größten Herausforderungen:

Interdisziplinarität und Komplexität in Bauprozessen werden weiterhin zunehmen. Die Arbeitsteiligkeit zwischen Fachplanern steigt, weshalb der Projektsteuerung immer mehr Bedeutung zukommen wird. Allerdings verändert sich das Bild auch dahingehend, dass der Bauherr immer mehr in Richtung "single responsibility" denkt. Er will eine Ansprechperson und einen Gesamtverantwortlichen, weshalb Abwicklungsmodellen mit Kumulationsdienstleistern (z.B. Generalunternehmer, Generalübernehmer u.ä.) erhöhte Bedeutung zukommt und noch zukommen wird. Das verändert die Aufgaben und die Rolle des Projektmanagements in mehrerer Hinsicht. Einerseits werden GU-Unternehmungen mehr und mehr kompetente Projektmanager benötigen, andererseits werden auf Seiten des Bauherren die Projektmanagementaufgaben primär in den Planungsbereich verschoben. In der Ausführungsphase wird dem Technischen Controlling wesentlich mehr Bedeutung zukommen.Ein weiterer Aspekt ist die Anforderung der Nachhaltigkeit - Stichwort "Blue Buildings" - die auch für das Projektmanagement neue Herausforderungen bringt. Die integrale Planung - eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges Planen und Bauen - erfordert in frühen Planungsphasen einen viel gesamtheitlicheren Planungsansatz. Der Variantenbeurteilung kommt erhöhte Bedeutung zu, der Projektmanager muss diesen Prozess fachkundig und fachkompetent im Sinne des Bauherrn steuern. Das bedeutet, dass der Projektmanager auch über eine erhöhte Fachkompetenz im Sinne von "Planungsbeurteilung" und "Planungsbewertung" in frühen Planungsphasen verfügen muss. Die zukünftige Herausforderung für das Bauprojektmanagement wird also im Sinne der Nachhaltigkeit das Erwerben von fachlicher Beurteilungs- und Planungskompetenz sein ohne aber den Planungsprozess selbst über Gebühr fachlich beeinflussen zu wollen. Die inhaltliche Planungsverantwortung liegt nach wie vor bei den verantwortlichen Haupt- und Fachplanern.

2. Bereiche mit Schwierigkeiten und Verbesserungsbedarf - und gelungene Beispiele: Der Integrale Planungsprozess findet noch nicht flächendeckend statt. Vielfach starten Projekte ausschließlich unter Berücksichtigung von Einzelinteressen sodass Planungsentscheidungen in Frühphasen getroffen werden, die später nicht mehr rückgängig gemacht werden können.Aus Sicht der Nachhaltigkeit – Sustainability – fehlen noch immer verpflichtend vergleichbare Ökobilanz-Daten von allen Baumaterialien. Hier sind noch legistische Maßnahmen erforderlich um die Hersteller zur Ermittlung und Bekanntgabe zu veranlassen.Positiv ist das erhöhte Bewusstsein bei Bauherren und Investoren, dass Qualität und Nachhaltigkeit unmittelbar zusammenhängen. Insbesondere in Ländern, in denen die Qualitätsstandards des Bauens noch nicht so hoch sind, verlangen Investoren und Bauherren zunehmend zertifizierte Objekte, um einen entsprechenden Ausführungsstandard sicherzustellen. Darauf reagiert auch die Ausbildung der jungen Planer und Ingenieure. Der Erwerb von Kompetenzen für „Nachhaltiges Planen“ gehört zunehmend zum Standard in allen Fachdisziplinen der Ausbildung an den Technischen Universitäten. Auch Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen zu diesem Themenbereich werden häufiger, wodurch das Interesse von Bauherren, Investoren, Planern aber auch ausführenden Unternehmungen an spezifischen Kompetenzen hinsichtlich der Nachhaltigkeit und des integralen Planens mehr und mehr in den Focus rückt und gerückt wird.

Brigitte Schaden, Mag.IPMA Chairman of the Councilpma - VorstandsvorsitzendePROJEKT MANAGEMENT AUSTRIA

1. Die prägenden Entwicklungen im Bereich Bauprojektmanagement heute und die größten Herausforderungen: Medial populär gemachte Beispiele wie Skylink oder jüngst das Wiener Stadthallenbad zeigen deutlich auf, was leider bei vielen Bauprojekten der Fall ist: Mit den komplexen Zuständigkeiten wird nicht professionell umgegangen. Es wird nicht eindeutig festgelegt wer wofür verantwortlich ist. Wer sich wann welcher Subfirmen bedient. Und auch nicht ausreichend beleuchtet, ob die Zuständigen auch für das jeweilige Projekt gut genug aufgestellt sind - personell, kompetenzmässig und finanziell. Schuld daran ist, dass sehr oft die Billigstbieter zum Zug kommen, die ihren Preis nur durch schleissige Arbeit und/oder durch eine nicht ausreichend kompetente Mannschaft halten können. Meine Erfahrung: Billigstbieter sind nur sehr selten die Bestbieter!

2. Bereiche mit Schwierigkeiten und Verbesserungsbedarf - und gelungene Beispiele:

Generell haben zu wenige Personen, die im Bauprojektmanagement tätig sind, professionelles Projektmanagement-Know how. Hier sehe ich dringenden Verbesserungs- und Schulungsbedarf. Vor allem in folgenden Bereichen:

Risikomanagement

Betrachtung der relevante Umwelten (Stakeholder)

Funktionendiagramm (klare Zuständigkeiten und Verantwortungen)

Projekthandbuch (Begriffsklärung)

Rollenbeschreibungen

Objektspezifische Standards

Kommunikation (Controlling, Eskalationsstufen)

Auch die Auftraggeber sollten eine Ahnung davon haben, wie Projekte professionell aufgesetzt werden, um das Projektmanagement der Bauprojekt-Experten beurteilen und notfalls frühzeitig einzugreifen zu können, wenn schlechtes Projektmanagement erkennbar ist. Und sie sollten häufiger PM-Zertifizierungen als Kompetenznachweis von den Firmen bzw. deren Mitarbeitern verlangen. International ist dies bei öffentlichen Ausschreibungen durchaus Usus. Österreich hinkt hier nach, wenngleich auch bei uns immer häufiger in Ausschreibungen dezidiert Zertifizierungen nach pma/IPMA-Standard verlangt werden.

Klaus Stanek, DIGeschäftsführer KS Ingenieure ZT GmbH:

1. Die prägenden Entwicklungen im Bereich Bauprojektmanagement heute und die größten Herausforderungen:

Die absolut größe Herausfordeung ist der Anspruch an die Sozialkompetenz der Techniker im Spannungsfeld zwischen Terminen Kosten und Qualität. Die klassischen Managementwerkzeuge sind mehr oder weniger bekannt, erprobt und nicht wirklich der entscheidende Faktor für Erfolg oder Misserfolg, obwohl dies fälschlicher Weise oft anders behauptet wird.

2. Bereiche mit Schwierigkeiten und Verbesserungsbedarf - und gelungene Beispiele:Siehe oben. Es fehlt am Verständnis für das Wesentliche, z.B. für die Kommunikation der anstehenden Themen. Wer liest schon einen 100-seitigen Bericht oder wöchentlich ein 30-seitiges Protokoll?

VIE hat uns gezeigt, dass die große Anzahl an Managern überhaupt kein Erfolgsfaktor ist. Vielmehr sind es kleine, kompetente, mit hohen Befugnissen ausgestattete, gut eingespielte Teams, die ein erfolgreiches Management sicherstellen. Sehr wichtig ist auch, mit der verbundenen Verantwortung klug umzugehen!

Elmar Hagmann, Bmstr., DI, MBAGruppenbauleiter Wilhelm Sedlak GmbH, Wien:

1. Die prägenden Entwicklungen im Bereich Bauprojektmanagement heute und die größten Herausforderungen:

Die gescheiterten österreichen Großprrojkte zeigen, dass das deterministische Ausschreibungs- und Abwicklungssystem bei hoher Komplexität und großem Umfang nicht zielführend eingestzt werden kann. Vielmehr wäre es ratsam, wenn sich die großen Auftraggeber des Landes mit kybernetischen Führungsmodellen beschäftigen. Diese Art der Zusammenarbeit ist nicht nur systemisch überlegen, sie bringt auch eine Kultur hervor, die von konstruktiver Zusammenarbeit und letztendlich vom wirtschaftlichen Erfolg aller Beteiligten begleitet wird.

2. Bereiche mit Schwierigkeiten und Verbesserungsbedarf:

Das determinstische System zielt darauf ab, alle einzelnen Parameter vor Auftragsvergabe zu erfassen, zu beschreiben und letztendlich hierfür einen Billigstbieter auszuloben. Auf neue Erkenntnisse im Zuge der Planungskonkretisierung (erschwerend kommt der Umstand hinzu, dass in Österreich nach wie vor die baubegleitende Planung praktiziert wird) kann dann im vertraglichen Rahmen nur schwer reagiert werden. Damit sind dem Institut des Nachtragsmanagements alle Türen geöffnet - es beginnt ein "Tauziehen" um Preise und Ausführungen, Behinderungen und Verzögerungen. Der kybernetische Ansatz gibt einen Rahmen vor, ein System das vielfach auf einer "Cost plus Fee" Vereinbarung basiert. Bieter werden gemeinsam gesucht, die Lösungen werden gemeinsam erarbeitet und zum Beispiel dem Generalunternehmer gegen einen definierten Aufschlag (Fee) zur Abwicklung überantwortet.