Bürocheck : Bögen mit Kanten

Die Lachmöwen über dem Donaukanal haben es wieder einmal lustig. Schon wieder steht Einer auf dem ausgedienten Stadtbahnbogen von Otto Wagner neben und unter dem zackigen Betonband, das Zaha Hadid darüber gesetzt hat. Die Möwe ist gerade einmal fünf Meter Luftlinie entfernt, und doch einen Kilometer Fußweg weit weg vom Eingang. Denn eine Treppe gibt es hier nicht. Was soll’s, einmal rund um die Fernwärme Wien samt Friedensreich Hundertwassers Zwiebelturm-Schornstein, und dann nur nicht die falsche Rampe erwischen. Sonst steht man noch einmal knapp davor und doch daneben.

„Wir sind gut an die U3 und U4 angeschlossen, aber man muss erst den Weg von der U-Bahn herunter finden“, sagt Silvia Wustinger-Renezeder. „Gott sei Dank haben wir eine Park&Ride-Garage bekommen, die im Herbst 2009 eröffnet wurde. Das ist wichtig, vor allem für Veranstaltungen.“ Die Müllverbrennungsanlage im Hintergrund stört sie nicht. Wichtig ist der gelernten Juristin jedoch die Lage am Wasser. Für sie ist das Gebäude, das ohne rechten Winkel auskommt, ein Markenzeichen, das die Affinität der SEG zur Architektur demonstriert. Zweiter AnlaufDer Hang zu Prestigeprojekten und zur Kooperation mit Stararchitekten hatte die SEG 2006 allerdings in die Insolvenz geführt. Das Gebäude an der Spittelauer Lände war Teil der finanziellen Misere. „Einer der wesentlichen Ursachen war, dass die Kurswerte der Aktien, die wir damals hatten, zusammengebrochen sind“, sagt Wustinger-Renezeder heute. „Das Wesentliche für die Zukunft ist, dass unser neuer Eigentümer und Investor mein Mann [Hans Wustinger, Anm.] ist. Er ist Industrieller, hat aus seinem Vermögen investiert und möchte, dass das Unternehmen auch in der nächsten Generation fortgeführt wird.“ Und so arbeitet in Ferienzeiten manchmal auch der Sohn am Schreibtisch neben seiner Mutter.Nach dem Zwangsausgleich im Jahr 2008 realisiert der Bauträger nun kleinere Projekte. „Wir haben die Strategie komplett verändert“, erläutert Wustinger-Renezeder. „Keine Wohnbauförderung mehr, keine öffentlichen Gelder, nur mehr frei finanzierter Wohnbau in sehr guten Lagen und hoher architektonischer Qualität.“ Finden sich dafür in Zeiten wie diesen auch Käufer? Wustinger-Renezeder: „Ja, absolut. Die Leute legen gerne in Immobilien an. Wenn die Objekte nicht übertrieben teuer sind, fließt sehr viel Geld in Immobilien.“Geändertes NutzungskonzeptUrsprünglich sollte der Raum, in dem heute das Chefbüro untergebracht ist, als Gastronomiebetrieb dienen. Doch es fand sich kein Wirt, um die Stadtbahn-Bögen zu beleben. Viele Spaziergänger und Radfahrer im Sommer, aber wenig im Winter, lautet das Problem. Und so sitzt die SEG-Geschäftsführerin heute in einem beidseits großflächig verglastem Stadtbahnbogen samt überdimensionierter Lüftungs- und Kühlanlage. Arbeitet man da nicht wie in der Auslage? „Nachdem wir hier nicht so viel Frequenz vor dem Eingang haben, stört es mich nicht“, so Wustinger-Renezeder. „Ich wäre kein Typ für ein Büro mit geschlossenen Türen, in dem man nicht mitbekommt, was los ist.“ Die Möblierung könnte noch etwas mehr Design vertragen, meint sie. Andererseits soll ja auch Bescheidenheit eine Zier sein, und dann ist das 08/15-Ikea-Regal wohl ein gelungener innenarchitektonischer Ausdruck dafür.Ein Teil der Otto Wagner-Bögen wurde als Event-Location „White House“ adaptiert. Die Location samt Ton- und Lichtanlage kann für Firmenevents, Kulturveranstaltungen, Pressekonferenzen, Clubbings und private Feierlichkeiten angemietet werden. Hier sieht man, dass der alte und die neuen Baukörper nur mit einer Verglasung miteinander verbunden sind. Die drei Baukörper von Zaha Hadid beherbergen vor allem kleine Appartements mit jeweils rund 30 Quadratmeter sowie Büroräume der SEG. Versorgt wird der Neubau über integrierte Leitungen in den – beheizten – Betonstützen. Spraydose trifft ArchitekturDerzeit herrscht wieder Hoffnung, dass doch noch ein Restaurant aufsperren soll. Weniger glücklich als mit der ausgefallenen Architektur ist Wustinger-Renezeder mit den künstlerischen Ausdrucksformen der Wiener Graffiti-Szene, die hier am Donaukanal sehr aktiv ist. „Wir sind permanent, wie alle Gebäude am Donaukanal, mit Vandalismus beschäftigt“, deutet die Geschäftsführerin nach draußen, wo die Unbilden sichtbar übermalt wurden. „Seit wir hier direkt vor Ort sind, ist es besser geworden.“