Digitalisierung : BIM: "Der Weg, den die Bauindustrie jetzt bei der Digitalisierung geht, ist ja ganz falsch"
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SOLID: Wenn man über Building Information Modeling spricht, hört sich das oft so geschmeidig an und nach der Lösung aller Probleme. Mittlerweile wissen wir, dass das nicht ganz so einfach ist - was sagen Sie als Experte, digital-erfahrener Planer und Studenten-Ausbildner dazu?
Christoph Achammer: Building Information Modeling ist ja nur ein Teil der Digitalisierung des Bauprozesses. Der berühmte digitale Zwilling wird in der Planung geboren, also beginnt alles dort. Aber wenn ich höre, was da so verzapft wird und was in der Realität ankommt - da ist der Gap relativ groß.
Darüber herrscht ja mittlerweile nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand Einigkeit. Wenn man mit den zuständigen Leitern bei den Firmen spricht, sagen die ganz klar: auf die Baustelle selber bringen wir das nur sehr bedingt.
Achammer: Ja, weil sie ja upstream nichts bekommen. Und das beginnt eben mit der Planung. Die Baufirmen in Österreich und teils auch in Deutschland haben nicht gewartet, bis sich die Architekten und Ingenieure dazu aufgerafft haben, sich des Themas anzunehmen. Es wird ja immer noch zum Teil in Kammern diskutiert, ob BIM jetzt kommt oder doch nicht - da könnten wir genauso gut diskutieren, ob die Sonne aufgeht oder nicht! Die Baufirmen haben dann gesagt: egal - ab dem Zeitpunkt, zu dem ich das Projekt übernehme, nehme ich, was ich bekomme und wenn es Skizzen auf Papierservietten sind. Damit baue ich mein BIM-Modell auf, weil ich weiß, dass ich damit in Procurement und Errichtung riesengroße Produktivitätsfortschritte habe.
Aber das hat nichts mit einem durchgängigen Modell zu tun.
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Ich sehe da momentan in dem Prozess vorne sehr wenig, in der Mitte viel und am Ende wieder eher wenig. Wie sehen Sie es?
Achammer: Ja - wobei vorne wenig stimmt nur in Zentraleuropa, aber nicht in UK und Skandinavien - und nicht bei ATP. Wir haben uns ja 2011/2012 entschieden, uns des Themas anzunehmen, weil wir schon vor 30 Jahren damals eher schlafwandlerisch die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass wir das können. Ich behaupte: jemand, der nicht integral plant, soll das Thema lieber gleich bleiben lassen. Denn die Visionen von Open BIM, nahtlosem Austausch der Formate etc. sind derzeit weit weg und werden noch in fünf Jahren Visionen sein.
Ich jage ja an meinem Lehrstuhl 100 Studenten pro Semester durch die jeweils neuesten Software-Austauschformate und es ist immer noch so: wenn man das zwei Mal hin und zurück spielt, wird aus einem Mies van der Rohe eine Zaha Hadid.
Wann wird sich das ändern?
Achammer: Ich vermute, dass das noch länger so bleiben wird. Wir sind seit 30 Jahren sehr intensiv in der Industrie tätig und haben da einen guten Blick drauf: Die Maschinenbauer, auch wenn sie das nicht gern hören, haben einen Bauteilkatalog, der um Zehnerpotenzen einfacher ist als der der Baumenschen. Und es ist trotzdem kein Wunder, dass die Maschinenbauer noch immer in geschlossenen Systemen arbeiten. Denn sogar dort geht der Informationsaustausch von System zu System nicht reinrassig.
Bei uns am Bau heißt es ja immer wieder: jedes Stück ist ein Einzelstück und daher sind wir keine wirkliche Industrie.
Achammer: Ja, das ist die alte Diskussion und das ist die Hard- und Softwareseite - aber es gibt noch eine viel wichtigere Seite und das ist die kulturelle. Wenn sie auf der kulturellen Seite nicht über Jahre trainiert haben, integral zu planen, haben sie keine Chance. Selbst wir bei ATP haben schon darüber diskutiert, wem der Durchbruch bei einem Modell gehört. Am Ende muss logischerweise heraus kommen: er gehört dem, der ihn braucht. Aber als ich das entschieden habe, hat einer meiner erfahrensten Mitarbeiter, der seit 20 Jahren integral plant gesagt: Herr Achammer, ist das ihr Ernst, das ein Röhrlbauer mit seinem Röhrl durch MEINEN Unterzug durchfährt? Das hat dann Gelächter ausgelöst, ist aber in der Zwischenzeit verstanden.
Genau diese Annäherung ist notwendig, dass Architekten, Haustechniker, Tragwerksplaner, Brandschutzplaner und Bauphysiker von Beginn an gemeinsam an einem Produkt arbeiten - und nicht, wie es zum Beispiel die HOAI schreibt: der Architekt integriert die Leistungen der Fachingenieure im nachhinein in sein Projekt.
Wie realistisch ist es, dass alle in dieser Form zusammen kommen?
Achammer: Es ist ein harter Weg. Ein harter Weg, der etwas einfacher ist, wenn man früh geübt hat. Er ist auch einfacher, wenn er in EINEM Unternehmen stattfindet.
Die Realität sind doch aber lauter verschiedene Firmen und ein zeitliches Nacheinander?
Achammer: Ich rede jetzt einmal nur von der Planung: man meint oft, mit dem Begriff des Generalplaners dieses Problem zu umgehen - aber das bewirkt genau das Gegenteil. Der Generalplaner bekommt nämlich im Gegensatz zum Generalunternehmer keinen finanziellen Zuschlag, geht aber die gleichen Risiken ein und kennt sich oft im Detail gar nicht so aus. Und was macht er, was MUSS er sogar machen? Er kujoniert beim Honorar der Subvergabe seine Ingenieure, die geben den Druck weiter und schon ist es vorbei mit integralem Arbeiten.
Und wie kann man das ändern?
Achammer: Es braucht kulturelle und intellektuelle Veränderungen. Dann können wir Digitalisierung ernsthaft einsetzen und dann können wir das riesige Verschwendungspotenzial reduzieren.
Liegt nicht sehr viel auch an Bauherren? Zumindest sagen das viele aus der Branche.
Achammer: Der entscheidende Punkt ist die Veränderung im Kopf. Wenn die passiert, werden die Anforderungen an die Ausbildungsstätten weiter gegeben und dann passiert Veränderung in der Arbeit. Wir sehen das ja zB bei der Concrete Student Trophy, wo wir Architekten und Ingenieure zur Zusammenarbeit zwingen, weil sie sonst gar nicht einreichen dürfen.
Aber unsere Studenten leben ja in der heutigen Welt und sehen, wenn sie nicht ganz blind sind: die gesamte Industrie tickt anders. In meiner Generation haben ja noch 99 Prozent den Architekturberuf gewählt mit der Vision, schwarz gekleidet den Pritzker-Preis zu erhalten und nur ja nicht mit so banalem wie einem Tragwerksplaner oder einem Haustechniker oder gar jemandem zu reden, der für die Kosten verantwortlich ist.
Wo stehen wir ungefähr in diesem Änderungsprozess in der Haltung?
Achammer: Ich würde sagen, ein Viertel der Studenten will das schon ganz massiv. Dazu kommt: es ist ein Skandal, dass wir noch nicht universitär Haustechniker ausbilden - die Fachhochschulen werden mir verzeihen. Es ist nämlich ein Unterschied, ob jemand das Handwerk versteht oder ob er im intellektuellen Kommunikationsprozess auf der selben Ebene agieren kann. Das ist zwar ungerecht, aber es ist so.
Sie meinen, es braucht wirklich universitäre akademische Bildung?
Achammer: Ja, das glaube ich! Wir brauchen alle am Planungsprozess Beteiligten auf der gleichen Augenhöge mit dem Ziel, ein gutes Haus zu bauen.
In diesem Prozess stehen wir aber maximal bei fünf Prozent.
Achammer (lacht): Ich bin da immer ein bisschen optimistischer. Es bewegt sich schon was. Und das ist die Voraussetzung dafür, dass wir die Digitalisierung für die Zukunft des Bauens voll inhaltlich nutzen können. Denn nur das Instrument 3D statt 2D etc. ist hinausgeschmissenes Geld, denn dann produziere ich im Ernstfall schlechtere Pläne.
Heißt das, dass sich auch erst dann die Software entsprechend ändern kann?
Achammer: Die Software ist an sich okay. Aber es ist etwas anderes: wir sind einer der Prime-Kunden von Autodesk. Wir haben uns für Revit entschieden, obwohl es mit Sicherheit ...
... das VHS der BIM-Welt ist?
Achammer (lacht): Ja, so haben wir das auch gesehen. Aber: wir haben Tausende und Abertausende Entwicklungsstunden in die Erarbeitung des Contents gesteckt, denn den gibt es ja sonst einfach nicht. Unsere Arbeit und die von anderen hat ja dazu geführt, dass es in Österreich vor Deutschland eine BIM-Norm gegeben hat. Das war das Ergebnis der Contenterarbeitung, die softwareunabhängig ist. Und jetzt sind wir daran, einen von einer öffentlichen Institution getragenen Property Server zu installieren.
Denn der Weg, den die Bauindustrie jetzt geht, ist ja ganz falsch.
Wieso ist der Weg falsch bzw. welchen Weg meinen Sie da genau?
Achammer: Dass die Baumateriallieferanten und die Lüftungsgiganten und die Produzenten von Fenstern und Türen ihre Produkte "digitalisieren lassen". Das braucht kein Mensch. Denn das würde voraussetzen, dass die Planer diese Produkte nehmen und in ihren Plan einbauen. Das wird aber kein Planer machen und kein Bauherr tolerieren. Die wollen generische, neutrale Produkte.
Der Weg muss sein, dass wir uns auf einen generischen Property Server einigen. Eine Türe zB muss dann generisch entwickelt und durch Attribute beschrieben werden. Und wenn es das gibt, kann jeder Türproduzent weltweit nachschauen, wie sein Produkt dazu passt. Ich bin so optimistisch, dass dann die Bestellung von Bauteilen direkt vom Kunden über so eine Plattform passieren wird - unabhängig von den ausführenden Firmen! Da gewinnt man gleich sechs bis neun Monate und die ausführenden Firmen sind wirklich nur mehr Montagefirmen.
Wie lange dauert es bis zu diesem generischen Server?
Achammer: Ich bin nah dran, jetzt sind nur zwei Wahlen dazwischen gekommen. Aber alle Planer und Bauherrn sind sich einig, dass es diese generische Datenbank braucht. Es gibt zwar noch Träumer, die glauben, dass das ein kostenpflichtiges Geschäft werden muss, aber das ist ein Blödsinn. Das muss Open Source sein und das Potenzial ist riesig. Stellen Sie sich vor: sie stellen 200 generische Türen auf eine Open-Source-Einkaufsliste und weltweit können sich alle überlegen: habe ich am 21. Februar des folgenden Jahres 200 solche Türen oder nicht? Und wieviel kostet es, meinen Produktionsprozess so zu steuern, dass ich das in sechs Monaten liefern kann? Das hat riesige Auswirkungen auch auf die Preisbildung. Und das ist natürlich auch eine Revolution bei den ausführenden Firmen, denn die verlieren die Hälfte ihres Umsatzes. Das ist dann nicht mehr so, dass man an einem Punkt des Produktionsprozesses draufkommt, dass man noch 200 Türen braucht und dann der regionale Projektleiter bei der regionalen Firma anruft, ob sie die haben.
Wie könnte sich da die Wertschöpfungsaufteilung verändern?
Achammer: In Zukunft wird die Baustelle zur Montagestelle werden. Viel mehr Dinge werden mit Losgröße 1 vorgefertigt werden. Und dann kommen sie in ganz andere Produktivitätsregionen. Unterschiedliche Studien gehen ja derzeit von einem Verschwendungspotenzial zwischen 30 und 50 Prozent aus.
Wie viel Prozent der Wertschöpfungskette können SIE bei ATP denn digital abbilden?
Achammer: Ich denke, 50 bis 60 Prozent, nicht mehr. Wir sind nicht fertig bei BIM to Procurement, wir sind noch nicht fertig bei BIM to Schedule. Gut dabei sind wir bei BIM to Facility Management. Was wir können ist, das gesamte Gebäudemodell einheitlich standardisiert zu errichten und fortzuschreiben - und 50 Prozent des TGA-Modells, da sind wir noch ein bisschen hinten. - Diese Leistungen, die ich da jetzt geschildert habe, haben übrigen 50- bis 60.000 Entwicklungsstunden in Anspruch genommen.
Die muss man aber auch erst haben und das braucht eine große Firma - dabei ist die Bauwirtschaft in Österreich und Deutschland sehr kleinteilig!
Achammer (lacht): Korrekt. Wir stellen unsere Erkenntnisse aber allen zur Verfügung.
Wir sind in einer Sharing Economy, wo wir das Wissen teilen müssen. Wenn man Wissen bei sich behält und es nicht teilt, wird es nie fruchtbar. Wir haben das investiert - und genau darum sind wir ganz vorne. Hätten wir das nicht gemacht, wären wir nie dorthin gekommen - und das wird den anderen genauso gehen.
Aber wenn ich an Apple denke, eine der erfolgreichsten Firmen der Welt, so haben die auch ein geschlossenes System, wenn auch ein sehr großes. Der legendäre Steve Jobs war dafür berühmt, immer als einziger das Gesamtbild zu kennen und die Abteilungen getrennt voneinander zu halten.
Achammer: Und ich sage Ihnen, wir beide werden noch sicher erleben, dass genau das deren Untergang ist!