SOLID 10/2018 : Bauspitzen: "Kulturwandel, der bei Null beginnt"
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Die Teilnehmerliste des Executive Talks war mehr als nur handverlesen. Zu den Führungspersönlichkeiten der fünf größten Baufirmen Österreichs (Karl-Heinz Strauss/Porr, Peter Krammer/Strabag, Karl Weidlinger/Swietelsky, Hubert Wetschnig/Habau und Hubert Rhomberg/Rhomberg) kamen mit Michael Wardian (Geschäftsführer Kirchdorfer Fertigteilsparte) und Werner-Heinz Bittner (Geschäftsführer Umdasch Ventures) noch zwei hochkarätige Vertreter von Zulieferbetrieben. Ergänzt wurde die Runde durch den Präsidenten des VZI, Andreas Gobiet, sowie Stefan Bergsmann und Christof Weber von Horvath & Partners.
Letzterer hatte die Studie zur Neuausrichtung der europäischen Bauwirtschaft verfasst, die Anlass dieses Executive Talks war („Transparenz ist der erste Riesenschritt“, SOLID 12/2017) – und wir wollten wissen, was die führenden Köpfe der Bauwirtschaft dazu sagen und wo sie selber am meisten Probleme und Chancen sehen und welche persönlichen Wünsche sie haben.
Das Spannende derzeit: man befindet sich einerseits in einem komfortablen Augenblick, da wir uns eher in einem Verkäufermarkt befinden – gleichzeitig aber drängt das Thema mit der Wertschöpfung/Produktivität, die in der Baubranche über Jahrzehnte praktisch stagniert hat, während sie in der übrigen Industrie signifikant zugenommen hat.
Transparenz – das zweischneidige Schwert
Michael Wardian, der Geschäftsführer der Kirchdorfer Fertigteilsparte, eröffnete mit dem Thema Transparenz: „In letzter Zeit waren wir am erfolgreichsten, wenn wir Partnerschaften geschlossen und diese in vollkommener Transparenz gelebt haben, vor allem im Tunnelbau. Der Punkt ist aber: um transparent zu sein, muss man die Leistung auch abrufbereit haben. Man muss problematische Themen mit dem Auftraggeber möglichst rasch aus der Welt schaffen und das auf der entsprechenden Ebene, weil die Problemlösung ab einer bestimmten Summe auf der operativen Ebene sehr oft nicht gelingt. Prinzipiell sind wir mit der Lage derzeit glücklich, aber sie ist sehr rasch gekommen. Daher gibt es auch einige Aufträge, bei denen die Transparenz in der Zusammenarbeit nicht wie gewünscht gelebt werden kann.“
Hubert Rhomberg hakte mit einer Ergänzung ein. „Transparenz beginnt ja in der eigenen Firma“, sagte er. „Die Führungskräfte wollen sie gefühlt am wenigsten – natürlich nicht generell. Durch die Digitalisierung kommt es automatisch zu immer mehr Nachvollziehbarkeit von Aktivitäten und das wirkt sich natürlich aus. Die Abläufe werden viel transparenter und damit können Claims und Reaktionen nicht mehr so einfach behauptet werden. Aber Vertrauen bleibt da trotzdem ein großes Thema.“
Entdecken Sie jetzt
-
Lesen
- Die Kunst der emotionalen Dickhäutigkeit 21.11.2024
- Warum die Zukunft im Bestand liegt 20.11.2024
- Countdown zu den 5 größten Vergaberechtsmythen 20.11.2024
-
Videos
- SOLID Bau-TV | 11.07.2024 11.07.2024
- SOLID Bau-TV | 27.06.2024 27.06.2024
- SOLID Bau-TV | 06.06.2024 06.06.2024
-
Podcasts
- Bauen up to date #13 - 04.03.2024 04.03.2024
- Bauen up to date #12 - 13.9.2023 12.09.2023
- Bauen up to date #11 - 23.04.2023 23.04.2023
Wie sexy können wir den Bau machen?
Rhomberg weiter: „Ein großes Thema ist, dass die Produkte, die wir vor Ort einbauen, immer spezieller werden und auch ein genaues Procedere benötigen, damit alles funktioniert. Das trifft auf der Baustelle von Projektleitern abwärts auf eine Kultur, bei der das so noch nicht angekommen ist. Dazu nehmen auch die Qualität und die Anzahl der Fachleute auf der Baustelle ab. Wir müssen uns wirklich darauf einstellen, wie wir in Zukunft Prozesse mit weniger und weniger qualifizierten Leuten gestalten können. Gleichzeitig müssen wir die Branche attraktiver machen – und da gibt uns die Digitalisierung eine Riesenchance, weil das andere Leute anzieht. Als Firma muss man hier den Bogen einfach öffnen. Es ist eine Aufgabe für uns alle zu kommunizieren, wie sexy der Bau jetzt wird, weil wir zwar in einer digitalen Welt arbeiten, aber damit reale Dinge schaffen. Wir müssen im gemeinsamen Auftritt und der Kommunikation die Relevanz unserer Branche für die Gesellschaft klarer zum Ausdruck bringen.“
Man wisse, es gehe jetzt gut, aber das wird nicht immer so bleiben. „Wir wissen, wir sollten technologisch jetzt etwas tun und wir hätten sogar das Geld und die Mittel dazu, das umzusetzen – aber wir können nicht alles außerhalb machen. Man muss das auch in die eigene Firma bringen.“
Noch ein Thema liegt Hubert Rhomberg sehr am Herzen: „Das Vergabegesetz läuft eigentlich der Entwicklung hin zu BIM völlig zuwider. Es schreibt ja vor, dass du vorher überhaupt nichts festlegen darfst und bis zum letztmöglichen Zeitpunkt alles offen sein muss. Das geht aber mit dem digitalen Zwilling nicht. Da muss vorher alles fertig sein, damit ich dann auf den Knopf drücken kann.“
Während sich Habau-Geschäftsführer Hubert Wetschnig auf die Themen Qualität, Einsatzbereitschaft und Interesse von neuen Mitarbeitern, Preis- und Qualitätssituation bei den Subunternehmern und die im Ergebnis der ausführenden Firmen kaum ankommenden Preissteigerungen im Wohnbau konzentrierte und große Chancen in Digitalisierung, Automatisierung und Transparenz von Workflows sah, sah Swietelsky-Chef Karl Weidlinger die Notwendigkeit eines „generellen Kulturwandels in der ganzen Branche“.
„Unsere Fouls passieren in der zweiten Halbzeit“
Weidlinger: „Im Moment sucht der Auftraggeber immer den billigsten Preis, will aber trotzdem die beste Qualität. Ein vorheriger Schulterschluss zwischen Planer und den Ausführenden ist aber verpönt und meistens verboten, daher kann man die beste Qualität zum billigsten Preis gar nicht bekommen.
Dafür werden in Vorbemerkungen zu Verträgen immer wieder Gemeinheiten hinein gepackt, wie Vollständigkeitsgarantie oder Mengengarantie, um sich um die Pflicht einer ordnungsgemäßen Leistungsermittlung herumzudrücken. Man muss sich jedes Mal die dreimal so dicken Vorbemerkungen durchlesen, ehe man überhaupt zum Leistungsverzeichnis kommt, um den Preis für die oft von den Musterleistungsbüchern abweichenden Einzelpositionen festlegen zu können.
Warum denn diese Fouls? Der eine foult, indem er möglichst viele Gemeinheiten zwischen den Zeilen versteckt, und der andere mit spekulativen Preisen, weil er meint, im Nachhinein doch etwas durchsetzen zu können. Wir vergeuden viel zu viel Zeit damit, den anderen ein Bein zu stellen.“
„Das erste Problem ist die Verjuristerei auf der Baustelle“, schlug Porr-CEO Karl-Heinz Strauss in die selbe Kerbe. „Wir haben leider immer weniger kundige Bauherren. Wenn man abhängig ist von Juristen, gibt es keine endgültigen Entscheidungen – und wir alle wissen, dass am Bau Entscheidungen notwendig sind. Es gibt da ein Riesendefizit, das aus Deutschland herein schwappt. Die richtige Richtung ist: Verträge gemeinsam schaffen, rechtzeitige Einbindung der Vertragsteilnehmer etc., aber das bedarf eines Gesetzgebers, der wiederum nicht nur von Juristen beraten wird, sondern einmal auch auf die Branche hört. Es ist wichtig, dass der Gesetzgeber nicht alles für jeden Fall regelt.“
„Unsere Branche“, so der Porr-Chef weiter, „sollte die Wertigkeit genießen, die wir letztendlich für eine Volkswirtschaft erfüllen. Wenn wir heute schauen, was wir exportieren und welchen Stellenwert die österreichische Bauwirtschaft im Weltranking einnimmt, sind wir sehr gut aufgestellt und verdienen auch mehr Gehör, statt immer ins schwarze Eck gestellt zu werden.“
Strabag-Vorstand Peter Krammer setzte bei der Redlichkeit und Transparenz an. „Es ist definitiv keine Freunderlwirtschaft, eine gesamtheitliche Sicht auf ein Projekt zu haben und in einer Frühphase mit dem Bauherrn zusammen zu überlegen, welche Ideen man einbringen kann, damit ich am Ende ein optimales Projekt bekomme. Viele Studien sehen sich ja das Thema der neuen Vertragsgestaltung unter dem Gesichtspunkt an: wer sind die Winner und wer sind die Loser? Diese Frage ist hier nicht zu stellen. Es geht vielmehr um die echten Probleme der Bauindustrie.
Das sind für mich alle Themen, die aus der Ineffizienz unserer Projektabwicklungen kommen. Hier gibt es sehr viele Lösungsansätze. Der wichtigste ist jedoch, endlich das sequenzielle Denken und Handeln bei der Abwicklung von Projekten zu begraben. Der Vertrag ist ein wichtiges Thema. Es sind aber noch eine Vielzahl anderer Themen die wir verbessern können wie beispielsweise die Vermessung oder die Arbeitsvorbereitung – die endlich auf das Niveau von Lean Construction zu heben ist. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Daten, die wir generieren, möglicherweise auch neue Materialien und Bauformen – alles wichtige Punkte damit wir die Produktivität in der Bauwirtschaft erhöhen können.“
Allerdings sieht Krammer im Moment in der derzeitigen Hochphase auch ein Problem: „Das größte Hindernis, das ich derzeit sehe, ist, dass alle so voll sind, dass sie nicht schon wieder von etwas Neuem hören wollen.“
Doch mit einer Standardisierung von Prozessen käme man schon sehr weit, waren sich Krammer und Strauss einig. Der Porr-CEO: „Die Kernprozesse gehören standardisiert und wir müssen definieren, welche Prozesse unantastbar sind. Wir müssen dabei immer von den Besseren lernen. Wenn wir zum Beispiel im Spezialtiefbau die Firma Franki übernehmen und die ein System hat, das aufgrund seiner Einfachheit jedes andere System schlägt, dann wird der ganze Porr-Konzern auf dieses System umgestellt.“
In Teil 2 lesen Sie in SOLID 11/2018, wie man das Thema Disruptivität und neue Prozesse bei der Doka-Mutter Umdasch sieht, welche Rolle eine gelebte Fehlerkultur spielen kann, wie man das Thema Fachkräftemangel gemeinsam angehen will und mehr.