SOLID-Rechtsfragen am Bau : Baurecht: Versäumte Mehrkostenforderung

Der Unternehmer ist zügig und gemäß Terminplan am Arbeiten. Er erledigt die Baumeister- und Innenausbauarbeiten. Da er sich auf die Qualität seiner Arbeiten und nicht auf die „Zettelwirtschaft“ konzentriert vergisst er, dem Auftraggeber mitzuteilen, dass die Ausführung der Unterzüge im gesamten Keller und Erdgeschoß-Bereich mehr kosten wird, als vorgesehen.

Denn die 47 Türen, die der Auftraggeber bestellte, sind um 40 Zentimeter zu kurz für die geplanten Unterzüge. Statt 2,6 Meter messen sie nur 2,2 Meter Höhe. Als er herausfindet, dass auch die Zargen und alle sonstigen Pläne der späteren Nutzer Türen mit einer Höhe von 2,20 Meter aufweisen, fackelt er nicht lange herum und stellt einfach tiefere Unterzüge her.

Erst kurz vor Beendigung seiner Arbeiten fällt ihm ein, dass die Herstellung der Unterzüge Mehrkosten verursacht hat, von denen er dem Auftraggeber noch nichts gesagt hat. Sich seiner Sache sicher, schreibt er dem Auftraggeber noch einen entsprechenden Brief mit der Mehrkostenanmeldung. Diese Mehrkosten nimmt er dann auch in die Schlussrechnung auf.

Doch so einfach geht die Sache nicht, wie der fleißige Unternehmer glaubt. Der Auftraggeber verweigert die Bezahlung der Mehrkosten mit dem Argument, der Auftragnehmer habe die rechtzeitige Anmeldung versäumt und somit den Anspruch auf Mehrkosten verloren. Denn ihm als Auftraggeber steht die Entscheidungsfreiheit über seine liquiden Mittel zu. So spät gemeldet, ist diese Freiheit genommen worden, was auch in Önorm B 2110 zu einem Anspruchsverlust für die Mehrkostenforderung führt.

Rechtliche Grundlagen

Die ÖNORM B 2110 - in der Fassung 1.1.2009 - sieht in Punkt 7.4.3 tatsächlich einen Anspruchsverlust vor. Dort heißt es:

„Bei einem Versäumnis der Anmeldung (Anm: auf Vertragsanpassung) tritt Anspruchsverlust in dem Umfang ein, in dem die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Auftraggebers zu dessen Nachteil führt.“

Bekanntes braucht keine Aufklärung

Zunächst ist – unabhängig vom konkreten Sachverhalt - ganz generell festzuhalten, dass der Grundsatz gilt: Niemand ist über Umstände aufzuklären, die ihm ohnedies bekannt sind. Wenn es also dem Auftraggeber offensichtlich ist, dass es zu Mehrkosten und/oder einer Bauzeitverlängerung kommen wird, dann muss er darüber auch nicht aufgeklärt werden; eine Entscheidungsfreiheit kann in diesem Fall ja auch nicht eingeschränkt worden sein. Was also offensichtlich zu qualifizieren ist, darüber mag es unterschiedliche Ansichten geben. Jeder Fall ist einzeln zu prüfen. Wichtig ist aber, dass die „Offensichtlichkeit“ im Streitfall vom Auftragnehmer behauptet und bewiesen werden muss, denn er beruft sich schließlich darauf. Dieser Beweis ist – abgesehen von eindeutigen Einzelfällen – in der Regel nicht leicht zu erbringen.

Ohne Wahlfreiheit kein Versäumnis

Nun aber zurück zum Beispiel: Es ist immer zu prüfen, ob die begehrten Mehrkosten überhaupt von der unterlassenen Anmeldung verursacht wurden. Entscheidend ist nämlich, dass der Anspruchsverlust nicht eintritt, wenn der Auftraggeber tatsächlich keine „Wahlfreiheit“ – und daher keinen Nachteil – gehabt hätte. Hat er nämlich keine Wahlfreiheit gehabt, war die versäumte Anmeldung der Forderung auch nicht ursächlich – kausal - für die Mehrkosten.

Die oben zitierte Regelung der B 2110 ist von Ihrer Zielsetzung „verwandt“ mit dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbauch § 1170a Absatz 2. Im ABGB wird sinngemäß geregelt, dass der Auftragnehmer dem Auftraggeber beträchtliche Kostenüberschreitungen anzuzeigen hat, widrigenfalls er den Anspruch auf diese Mehrkosten verliert; auch das Gesetz kennt einen echten Anspruchsverlust! Das ABGB räumt dem Auftraggeber im Falle der Versäumnis der Kostenanzeige sogar ein Rücktrittsrecht vom Vertrag ein, um die Mehrkosten letztendlich abwenden zu können. Dem Auftraggeber bleibt auch die „Wahl“ zwischen weiterbauen oder eben nicht. Die Entscheidungsfreiheit des Zahlenden ist damit gewahrt.

Die Önorm B 2110 geht zwar nicht soweit, dem Auftraggeber ein Rücktrittsrecht einzuräumen. Die Ausübung der Entscheidungsfreiheit des Auftraggebers kann aber dazu führen, dass der Auftraggeber von seinem generellen Recht Gebrauch macht, Teil der Leistung einfach „abzubestellen“, um auf diesem Wege letztlich Kosten einzusparen. Dies wäre für ihn ja durchaus eine Option, wäre er nicht im Dilemma.

Das Nachtrag-Beweis-Dilemma

Aspekt 1: Bestellt der Auftraggeber Leistungen aus dem Vertrag ab, kommt die Regelung über die Nachteilsabgeltung zum Tragen: Auch bei Abbestellung von Teilen der Leistung ist es für den Auftraggeber damit nicht getan – er muss dem Auftragnehmer trotzdem jene Teile des Werklohnes ersetzen, die sich dieser durch die Abbestellung nicht erspart hat. Auch hier stellt sich die Frage, was am Ende herauskommt – ob noch ein Nachteil im Sinne des Punktes 7.4.3 der B 2110 übrig bleibt, der den Anspruchsverlust zu rechtfertigen vermag.

Aspekt 2: Der Auftraggeber muss in jedem Falle selbst behaupten und beweisen, worin der Nachteil liegen soll, den er infolge der versäumten Mehrkostenanmeldung erlitten hat. Im obigen Falle, hätte die Anmeldung doch wohl dazu geführt, dass der Auftraggeber entweder die tieferen Unterzüge oder aber höhere Türen bestellt hätte. Beides hätte mehr Kosten bedeutet. Der Auftraggeber hätte beweisen müssen, dass er eine Entscheidungsfreiheit gehabt hätte, die zu keinem Nachteil geführt hätte. Da fragt es sich natürlich, welche.

Die „Anspruchsverlustklausel“ der B 2110 ist also für den Auftraggeber gar nicht so einfach anzuwenden. Sie bürdet ihm relativ umfangreiche Beweispflichten auf. Er könnte dabei Gefahr laufen, unglaubwürdige Behauptungen aufzustellen. Wer würde dem Auftraggeber glauben, dass er die Bauführung beendet hätte, hätte er gewusst, dass die Unterzüge mehr kosten?

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