SOLID 05/2019 : "Baulogistik bekommt neue Bedeutung"
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SOLID: Wo steht die Baulogistik heute, wenn alles digitaler wird?
Dominik Müller: Ich glaube, der Baulogistik wird in einer zukünftig digitalisierten Bauwelt eine ganz neue Bedeutung zukommen. Stellen Sie sich vor, dass wir im Rahmen von BIM tatsächlich einen Digitalen Zwilling des Bauwerks vor Bauausführung bekommen werden. Die Industrie fürchtet schon, dass Änderungen und Nachträge dann deutlich abnehmen werden. Ob wir tatsächlich eine Widerspruchsfreie Ausführungsplanung bekommen werden, wissen wir heute noch nicht. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die baubegleitende Planung und die Improvisation auf der Baustelle dann deutlich abnehmen werden. Die rechtzeitige Bereitstellung der richtigen Materialien und Bauprodukte, und damit die Baulogistik, werden dann immer wichtiger.
Was wird also in Zukunft nötig sein?
Müller: Schauen Sie, während die Baulogistik sich heute darauf konzentriert, die zur Verbringung benötigten Ressourcen auf der Baustelle effizient zu nutzen, wird zukünftig durch Lean Management und Taktplanung der Materialbedarf vorhersehbar. D.h. es geht nicht mehr nach dem Prinzip, „Wer zuerst anmeldet liefert auch zuerst“. Für einen wirtschaftlichen Bauprozess wird sich der Grad der Vorfertigung erhöhen. Daher werden Materiallieferungen nicht mehr beliebig austauschbar sein. Für einen bestimmten Raum auf der Baustelle werden die spezifischen Materialien auf einer Palette zusammengefasst. Dadurch steigen die Anforderungen an eine digitale Baulogistik deutlich.
Auch wenn sich heute viele Baufirmen selber um die Baulogistik kümmern, werden wir zukünftig, ähnlich wie bei der Planung ein „open BIM“, in der Logistik eine „open Baulogistik“ haben. Auf Plattformen werden Hersteller, Lieferanten, Spediteure und Bauunternehmen digitale Produkt und Lieferdaten austauschen und koordinieren. Inwieweit die Betreiber dieser Plattform auch die Verbringung auf der „last mile“ organisieren, wird sich zeigen.
Jedenfalls glaube ich, dass die Baulogistik in der Form, wie wir sie heute anbieten, zukünftig nicht mehr geben wird.
Heute muss man auch sehen, dass Baulogistik zu 90 Prozent dann eine große Rolle spielt, wenn der Bauherr in die Einzelvergabe geht. Dort haben wir eine sehr große Chance unsere Leistungen und Know How einzubinden. Zudem versuchen wir heute mehr als früher auch mit den Generalunternehmern frühzeitig in Kontakt zu treten.
Wie steht es denn um die Einzelvergaben? Der Ruf ist gerade nicht besonders toll, aber es soll billiger sein – und was heißt das für Sie?
Müller: Warum entscheidet sich ein Bauherr für eine Einzelvergabe? Sein Risiko ist ja viel viel höher als bei einem GU? Selbstverständlich ist der Verhandlungsspielraum um einiges höher, wenn mit mehreren AN in die Gespräche gegangen werden kann. Tatsache ist, dass man heute bei einer Einzelvergabe in den meisten Fällen eine höhere Qualität als bei einem GU hat. Aber wenn BIM kommt – und es wird kommen -, ist die Qualität ja im Vorfeld schon definiert. Ich glaube also, dass die Einzelvergaben zurückgehen werden.
Und was tun Sie dann?
Müller: Wir haben ganz andere Chancen. Aber wir müssen uns verändern. Es ist wichtig, dass wir als Partner auftauchen und dass es für den AG Sinn hat, mit einer externen professionellen Firma zu arbeiten. Und wir müssen die Vorteile noch viel viel klarer heraus stellen.
Welche sind das jetzt – und welche werden es in Zukunft sein?
Müller: Welche es heute sind ist einfach zu sagen, Welche es zukünftig sein werden können wir abschätzen aber müssen uns definitiv auch anpassen.
Kurz gesagt bringt die Baulogistik eine Entlastung in der Organisation und Kontrolle der Ver- und Entsorgung. Die am Bau Beteiligten können sich mehr auf ihre Kernkompetenz konzentrieren.
Baufirmen versuchen oft das Thema über das Anstellen von zwei Vizepolieren mehr irgendwie in den Griff zu bekommen – nur ist alles viel schneller geworden! Während früher die Poliere die Baustellen mit organisierten und zudem die Polierstätigkeiten übernahmen ist dies heute schon eine Herkulesaufgabe. Die Bauzeiten werden immer kürzer und der Anspruch höher. Die neue Generation von Polieren will und muss sich viel mehr auf die eigentliche Polierstätigkeit besinnen – und die Nebengeräusche kann eben professionelle Baulogistik abfedern.
Das hat zum einen mit der Steuerung von Flächen für An- und Ablieferung zu tun, aber ich bin davon Überzeugt glaube, dass Entsorgungslogistik ein wichtiges Thema ist und weiterhin sein wird.
Wenn Baufirmen lesen: es bringt Zeit und Geld, wollen sie sofort wissen: wie viel Zeit und wie viel Geld und wie sicher? Wir wollen es auch wissen.
Müller: Es beginnt damit, dass sich der Baumeister oder der Generalunternehmer heute um das Entsorgungsthema gar nicht kümmern. In den NU Verträgen wird häufig geschrieben: Für die Entsorgung hat der AN zu sorgen. Aber das bringt der Umwelt gar nichts, sondern hat nur dafür gesorgt, dass die eigenen Kosten reduziert werden. Woanders fallen sie aber an.
Könnte unserem fiktiven Generalunternehmer aber egal sein, oder?
Müller: Es gibt aber noch einen anderen spannenden Aspekt. Auf jeder Baustelle sehen sie eine 10er-Mulde mit einer Holzrampe, die arbeitssicherheitstechnisch eine Katastrophe ist. Zudem es wird jeder Abfall meist alles in einen Container geworfen.
Wir hingegen arbeiten mit Spezialbehältern für Kleinstgebinde und versuchen, den Firmen den Aufwand abzunehmen, den sie haben, um das Zeug mit der Scheibtruhe über den Aufzug herunter zu fahren oder über den Kran zu heben und alles über eine wacklige Rampe zusammen zu kippen. Wir schaffen also einen absoluten Mehrwert dadurch, dass die Firmen an Ort und Stelle entsorgen können. Die Scheibtruhe mit den 120 Litern macht ja keiner voll, aber sagen wir, es sind 100 Liter drin, die dann über den Bauaufzug nach unten gefahren werden. 100 Liter belegen ein teures vertikales Transportmittel!
Anders zu entsorgen ist also nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll, sowohl von der Trennung als auch von der Arbeitstechnik und vom Zeit- und Ressourcenbedarf her. Heute entfällt von der insgesamten Arbeitszeit ja nur ein Drittel auf wirkliches Arbeiten, ein Drittel auf Suchen oder Warten und ein weiteres Drittel auf diverse andere Dinge.
Was ist da Ihr Ziel als Baulogistiker?
Müller: Das eine Drittel Arbeit wachsen zu lassen! Ich selber habe bei der ORF-Baustelle einmal eine spielerische Rechnung gemacht und gestoppt, wie lange ein Mitarbeiter beim Scheibtruhensystem braucht. Mit einer einzigen Aufzugsfahrt ist der Mann sieben bis zehn Minuten unterwegs und das war schnell. Wenn wir dem Mann aber einen unserer 770-Liter-Behälter geben, den er überall hin mitnehmen und allein rollen kann steigern wir die absolute Arbeitszeit – theoretisch sogar mit einer Hand. Sie kommen so bei nur einem Behälter auf mindestens eine Stunde Unterschied. Und das können sie nicht nur für die Entsorgung, sondern für einen ganzen Innenabbruch durchdeklinieren. Das macht riesige wirtschaftliche Unterschiede. Da kommt ja dann auch noch das Geld für die Aufzugnutzung dazu etc.
Reduziert sich Baulogistik auf bessere Behälter für den Abtransport?
Müller: Reduzieren NEIN!. Ich bin überzeugt davon, dass es um clevere Konzepte und deren Umsetzung geht.
Welche gibt es noch?
Müller: In der Versorgungslogistik geht es mit Sicherheit um die Verfeinerung von Online-Tools. So etwas hat heute jeder. Wir haben dazu jetzt einen Messenger-Dienst entwickelt, der den Prozess deutlich beschleunigt, weil alle Betroffenen immer direkt aktiv auf dem Laufenden gehalten werden. Das ist direkt aus der Praxis entstanden. Da werden die LKWs nicht zuerst irgendwo geparkt und dann jemand gesucht, der einem sagen kann, wo die anvisierte Ladezone ist, sondern es geht sofort weiter. Beim Adressaten – sagen wir, einem Gabelstapler, ist es dann so, dass der nicht leer warten muss, sondern in der Zwischenzeit andere Dinge erledigen kann. Das summiert sich alles zu einer Riesen Zeit-, Energie- und auch Nervenersparnis.
Auf einem Großprojekt in Deutschland arbeiten wir mit einem Kamerasystem, welches die Kennzeichen der LKW scannt. Es erfolgt eine automatisierte Abfrage über unser OnlineAvisierungstool und bei Bedarf wird die Zufahrt zur Baustelle frei gegeben. Wir entwickeln ständig weiter und nutzen überall digitale Tools.
Im Idealfall gibt es ein eigenes Baustellen-Navi?
Müller: Genau. Und für Baulogistikfirmen wie uns kommt dann auch noch Big Data ins Spiel: wenn der LKW ausfährt, haben wir Echtzeitdaten, wie lange Prozesse tatsächlich dauern. Und das ist vor dem Hintergrund BIM und ihrer Frage von vorhin welche Vorteile der Baulogistik in der Zukunft liegen enorm wertvoll. Wir haben allein auf der Baustelle Austria Campus fast 25.000 Fahrzeugbewegungen mit unserem Tool erfasst, die wir auch auswerten können – und von diesen Auswertungen profitieren wieder andere Baustellen, für die wir logistisch arbeiten.
Das Ziel ist, den Bauherren im Vorfeld optimal beraten zu können und in Echtzeit auf Änderungen im Bauablauf perfekt reagieren zu können. Je mehr Informationen zusammenfließen und ausgewertet werden können, desto besser und optimierter wird die Empfehlung und Umsetzung im Bauablauf.
Was sichert Sie gegen Beratungsdiebstahl ab?
Müller: Gar nichts. Ich halte mit meinem Wissen aber auch nicht hinterm Berg und lade immer auf unsere Baustellen ein – Ich nutze Plattformen wie den Branchentreff, MAWEV oder die österreichische Baulogistikkonferenz um zu Informieren und suche den Austausch mit anderen Fachleuten. Aber sind wir ehrlich: die Idee ist ja kein Patent. Irgendwann werden alle sowieso drauf kommen oder haben vielleicht interessantere Ideen.
Das könnten aber auch Kunden machen – sich von Ihnen beraten lassen und mit dem Ergebnis zur Konkurrenz gehen?
Müller: Ich versuche, zu unseren Kunden eine ehrliche Beziehung aufzubauen. Ich bin kein Vertreter, sondern Partner. Und bis dato sind wir damit sehr gut gefahren. Ich fände es schade, wenn die wenigen ernsthaften Anbieter, die wir in der Baulogistik haben, sich gegenseitig über die Preise kaputtzumachen versuchen. Das gemeinsame Ziel muss es sein, die Vorteile aus einer professionellen Baulogistik der breiten Masse nahe zu bringen.
Wir verstehen den Bau und möchten unsere Erfahrungen in der Abwicklung der Ver- und Entsorgung einfließen lassen. Diese Erfahrung wird zukünftig noch viel wichtiger.