Reportage : Bauen im Becken der Kläranlage Wiener Neustadt-Süd
Natürlich sorgen die regenschweren Wolken für Unmut. Doch in Wahrheit ziehen sie hier, auf der größten Siedlungswasserbaustelle Österreichs, nur eine Sekunde Aufmerksamkeit auf sich.
Zu stark ist die Präsenz der Baustelle: Faustdicke Querkraftdorne blinzeln aus den Wänden des neuen Belebungsbeckens. Die Kreissäge beim Zuschneiden der Schalung dringt kreischend ans Ohr. Und der imposante Baukran mit 50-Meter-Ausleger arbeitet unermüdlich: Im einen Moment lässt er Schalungsteile in die Tiefe. Im nächsten schon Getriebemotoren für die Rotoren der biologischen Stufe. „Wir folgen beim Ausbau einem strikten Zeitplan“, betont Wolfgang Scherz, Geschäftsführer des Wiener Neustadt-Süd Abwasserverbands.
Das ist kein Lippenbekenntnis, denn seit der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 entspricht die bestehende Anlage nicht mehr lange den Standards. Neben organischem Kohlenstoff muss ab 1. Dezember 2011 auch gezielt Stickstoff entfernt werden, lautet die Vorgabe. „Lange dürfen wir Abwässer also nicht mehr wie bisher in Gewässer einleiten“, sagt Scherz. Deshalb treibt man den Baufortschritt – insgesamt entstehen mehr als zwölf neue Becken und Bauten – mit hoher Schrittfrequenz voran. In der ersten Bauphase starteten am einen Ende des neuen 132 Meter langen Belebungsbeckens schon die Betonierarbeiten, während am anderen Ende noch „das Erdreich ausgehoben wurde“, erläutert Scherz.
Becken-Schwung
Das 71.000 Quadratmeter-Areal beeindruckt. 14 Becken sind derzeit neben dem Bau der neuen in Betrieb. Was der Besucher dabei auf den ersten Blick übersieht, ist dass ihrer Dimension nicht mehr genügt. Die mechanisch-biologische Kläranlage mit anaerober Schlammbehandlung verarbeitet 230.000 Einwohnergleichwerte und platzt aus allen Nähten. Mittlerweile reinigt man Abwässer von 75.000 Einwohnern.
Neben dreizehn Kommunen und zwei Bezirkshauptstädten behandelt der Abwasserverband auch jene einer großen Papierfabrik. Von Lichtenwörth bis Neunkirchen nimmt die Bewohner den Baufortschritt deshalb mit Genugtuung zur Kenntnis. Die Bodenplatte des neuen Anaerobbeckens und zweier Belebungsbecken ist fertig betoniert. Viele Wandabschnitte stehen schon und weitere sind bereits geschalt. „Im Nachklärbecken bringen wir in wenigen Tagen die Bodenplatte ein“, sagt Scherz, während er über das Gelände führt. Auch für Bautechniker Tobias Gabriel von Angerlehner Hoch- und Tiefbau ist die Baustelle nicht alltäglich. Die Puckinger, mit Großprojekten gut vertraut, errichteten zwar schon einige Kläranlagen, doch diese hier übertrifft alles bisher Dagewesene für Gabriel
Bis ins kleinste Detail ist alles durchdekliniert. Während im südlichen Areal gebaut wird, läuft die Entwässerung im Norden munter weiter. Die mechanisch-biologische Wasserlinie bleibt unangetastet. Nach der mechanischen Vorreinigung – hier holt man mit Rechen und über Absetzbecken Feststoffe aus dem Wasser – leitet man ab 2011 aber in das neue Anaerobbecken ein. Dieses Rechteckbecken wird ein Volumen von 2500 Kubikmetern haben. Bodenplatte und Wände sind bereits fertig gestellt. Auch vier rechteckige Belebungsbecken kommen. Bei so vielen rechten Winkeln fällt das runde Nachklärbecken optisch aus der Reihe. Nicht nur beim Flächenbedarf erweist sich die Kreisform als praktikabel. „Es gibt auch hydraulische Vorteile beim Absetzen des Wasser-Schlammgemisch“, weiß Scherz.
Rasche Rodung
Den Weg zur Erneuerung gab man im August des Vorjahrs frei. Da starteten die ersten Vorarbeiten zur Baufeldfreimachung. In einem ersten Schritt galt es zu roden. „115 Pappeln mussten daran glauben“, sagt Wolfgang Scherz. Weil die Bäume einen schlechten Heizwert haben, fand man für sie keinen Abnehmer. „Wir mussten sie entsorgen“, bedauert Scherz.
Zum Ausheben der übrig gebliebenen Wurzelstöcke rückten nicht forstwirtschaftlichen Maschinen an, denn „gewöhnliche RH6-Bagger taten es auch“, so Scherz. Die Vorarbeiten beinhalteten auch den Abtrag bestehender Straßen, Wege und einer Trafostation. Und ohne weitere Umschweife baute die Baufirma einen provisorischen Umgehungskanal. Insgesamt waren die Arbeiten mit der Begradigung der Baufläche in drei Wochen erledigt. „Wir haben in die Hände gespuckt“, sagt Scherz mit versonnenem Lächeln.
Spannendes Spunden
Insgesamt rammten die Bauarbeiter rund 4500 Quadratmeter Spundbohlen in bis zu zehn Meter Tiefe. Diese Wände sichern seit dem Jahreswechsel die Baugrube ab. Für das Nachklärbecken kamen 1700 Quadratmeter zum Einsatz. Der Untergrund ist mittlerweile bestens dokumentiert. „Wir führten Bohrungen und Rammsondierungen durch“, sagt Geschäftsführer Scherz. „Der Untergrund ist locker gelagert“, erzählt Tobias Gabriel von einem glückhaften Umstand für das Abteufen der Baugrubensicherung.
Hauptsächlich weist der Wiener Neustädter Boden Schotter und Sande auf. „Für eine Spundbohle brauchten wir deshalb nur etwa eine Minute“, berichtet Gabriel. Zum Einsatz kamen Doppelbohlen aus Stahl. Gegenüber Standardbohlen verpresst man deren Schlösser in größeren Abständen – etwa alle 40 Zentimeter. Das beschleunigte die Arbeit zusätzlich. In 14 Tagen war die komplette Umspundung auf die Beine gestellt. Im Bereich der Baustellenzufahrt ging man auf Nummer sicher: „Die Verkehrslast ist recht groß, deshalb verankerten wir die Zufahrt zusätzlich mit Stabstahl“, so Gabriel.
Gefährliches Grundwasser
Größere Geschütze brauchte das zufließende Grundwasser. Die Baufirma Angerlehner führte eine Rütteldruckverdichtung zur Festigung des Bodens und Abminderung des Grundwasserandrangs durch. Zwar sind die Becken viele, viele Tonnen schwer, „der Auftrieb des Grundwassers ist jedoch nicht zu unterschätzen“, betont Scherz. An lustig hochspritzende Schaumsäulen denkt er dabei nicht. „Die Becken könnten unsanft aufschwimmen“, weiß er. Deshalb verdichtete man den Untergrund vier Meter unter der Bodenplatte mit Schotter.
Insgesamt sind es 35.000 Kubikmeter – „fast soviel, wie ausgehoben wurde“, sagt Bautechniker Tobias Gabriel. Zu diesem Zeitpunkt lauschte die Nachbarschaft dem Baulärm nicht eben ergriffen: „Wir starteten um fünf Uhr morgens und nachts arbeiteten wir zunächst durch“, bringt Gabriel Verständnis auf – auch wenn er einige verbale Blitze aus der Nachbarschaft abbekam. Doch das ist längst vergessen. Heute hört man hier zwar keine Stecknadel fallen, doch Anrainer begehren nicht mehr kritisch Auskunft, wann der Bau abgeschlossen sei. „Der Lärmpegel hält sich jetzt in Grenzen“, sagt Gabriel.
Sonderfall Nachklärbecken
Beim Nachklärbecken brachte die Mannschaft von Angerlehner 250 Mikropfähle in den Untergrund ein. Die acht Meter langen Pfähle nehmen Zugkräfte auf und verankern das Becken zusätzlich im Boden. „Dieses Becken ist nicht immer befüllt, deshalb neigt es noch stärker zum Aufschwimmen“, sagt Wolfgang Scherz. Im Bohrverfahren trieb man die vier Zentimeter starken Pfähle aus doppelkorrosionsgeschützten Stabstahl in Kreisform in den Untergrund.
Dort verankerten sie sich durch Einbringung einer Zementsuspension um den Pfahl. Diese Stärkung war eine glänzende Idee: „Es kam billiger als das Betonieren einer zweieinhalb Meter dicken Platte“, sagt Bautechniker Gabriel. Abgekommen ist man wieder von der Hochdruckbodenvermörtelung. „Wir gingen dafür mit der Rütteldruckverdichtung weiter in die Tiefe“, erklärt Gabriel. Im Bereich des Dükers – der Verbindungsleitung von Verteilerbauwerk und Nachklärbecken – rüttelten die Trupps anderthalb Meter tiefer. Beim Bauherrn fand dieses Vorgehen sofort Widerhall: „Der Abwasserverband sparte damit rund 40.000 Euro ein“, freut sich Gabriel.
Heute sind zwei Drittel des Untergrunds ausgehoben. Der größte Teil davon liegt etwas abseits auf Deponien. „Insgesamt bewegen wir 85.000 Kubikmeter Erde“, sagt Gabriel. Zehn Prozent davon hinterfüllt man wieder. Archäologische Funde verzeichnete man bis dato nicht – „sieht man vom Klärschlamm ab“, versetzt Scherz geheimnisvoll. Doch der stammt „bloß“ aus den 60er-Jahren. Man leitete ihn damals zur Auffüllung von nicht benötigten Gräben in einen ehemaligen Mäander des Fischabaches ein.
Betonieren im Winter
Beim Nachklärbecken bringen Arbeiter gerade die Sauberkeitsschicht für die Bodenplatte ein. Schon bald werden sie hier einen bedeutenden Schritt weiter sein. „In Kürze wird hier betoniert“, sagt Scherz. Noch blitzen die Dehnfugenbänder in der Sonne, die sich kurzzeitig hervorbemüht. Schon Anfang Juli muss das Becken einer Dichtheitsprüfung standhalten. Dann wird bei allen Beteiligten der Atem härter gehen: „Dieser Moment wird zweifelsohne spannend“, sagt Wolfgang Scherz, ohne eine besorgte Miene aufzusetzen.
Bei den anderen Becken liefen die Betonierarbeiten schon früher an. Sie starteten vielversprechend: „Bis Ende Dezember war das Wetter auf unserer Seite“, sagt Gabriel. Erst im Januar und Februar wurde es kalt und schneereich. Der Termin für die Dichtheitsproben rückte näher und näher. Es war undenkbar unter diesem Zeitdruck, die Betonierarbeiten zwei Monate auszusetzen. Gasheizkanonen wärmten die Schalungen für die siebeneinhalb Meter langen Betonierabschnitte im Belebungsbecken auf 20 Grad auf. Abschnitt für Abschnitt. „Zwischen Januar und Februar konnten wir auf diese Weise 25 Abschnitte fertig stellen“, sagt Gabriel. Die Betontemperatur unterzog man mit Fühlern einer ständigen Observanz: Ein Sensor wurde einbetoniert, ein zweiter lieferte Werte für die Außentemperatur. „So behielten wir die Übersicht“, sagt Gabriel.
Bindemittel für Kläranlagen
Für die bisher hergestellten Wände und die Bodenplatte des Anaerobbeckens sowie der beiden Belebungsbecken war insgesamt 7000 Kubikmeter Hochleistungsbeton notwendig. Den Sulfathüttenzement lieferte die Firma Baumit. Die Wahl war „keine Bauchentscheidung“, sagt Scherz. Der Baumit-Betontechnologe Dietmar Treiber kennt die Vorteile: „Sulfathüttenzement ist wegen des großen Säurewiderstands gut für den Kläranlagenbau geeignet.“ Auch die Sulfatbeständigkeit erwähnt er lobend.
Gegenüber kalkhydratreichem Beton – etwa Portlandzement – müsse der Bauherr seine Ansprüche nicht zurückschrauben: „Aufgrund seiner Zusammensetzung haben Abwässer keine Gelegenheit, die Oberflächen abzutragen“, sagt Treiber. Damit liefert er Wolfgang Scherz ein Stichwort: „Mit dem falschen Bindemittel sehen selbst neue Bauwerke nach kürzester Zeit aus, als seien sie 30 Jahre alt“. Bauteile, die begangen werden, realisierten die Wiener Neustädter mit herkömmlichen BSI K-Beton. Besonders bei Brücken fand er Einsatz: „Er härtet in der kühleren Jahreszeit schneller aus“, sagt Scherz.
Wie auch bei der Bodenplatte der Belebungsbecken zerstückelt man die Betonierarbeit im Nachklärbecken in mehrere Abschnitte. „Weil wir kein eigenes Betonlager oder eine Mischanlage haben“, begründet Scherz. Auch die Statiker hatten aber ein Wort mitzureden. Denn je kleiner die einzelnen Betonkörper, umso kleiner ist die Gesamtdehnung der Bodenplatte. Die Rissebeschränkung liegt bei 0,2 Millimetern. Deshalb kamen im Belebungsbecken in jedem der fünf Betonierabschnitte rund 120 Tonnen Bewehrungsstahl zum Einsatz. Die Bewehrung wurde „just in time“ angeliefert. „Vor Ort wurde nicht gebogen, sondern nur versetzt“, sagt Scherz.
Ökologisch-kulinarische Denke
Derzeit werken etwa 40 Mann – vom Eisenleger bis zum Kranfahrer – auf der Baustelle. Ursprünglich rechnete der Bauherr mit einer Gesamtinvestition von 17 Millionen Euro. Die konjunkturelle Talfahrt machte das Projekt jedoch günstiger: „Es werden wohl schlussendlich nur 15 Millionen sein, die wir brauchen“, sagt Scherz. Seine Zuversicht, dass mit dem Ausbau so bald keine weiteren baulichen Maßnahmen nötig sind, ist groß: „Eine abermalige Verschärfung des Wasserrechts für Kläranlagen ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich“, sagt er, während sein Blick hinüber zum Grundwasser-Absetzbecken schweift. Dort scheint sich etwas zu tun. Ein Mann macht sich in Richtung Ufer auf. „Dieser Mitarbeiter hat hier Forellen ausgesetzt“, erzählt Scherz. 300 Exemplare sollen es sein. Ein baldiges Wettangeln zwischen Abwasserverband und Baufirma liegt also im Bereich des Möglichen. Sofern der Himmel frei von Regenwolken ist.
Bauherr: Abwasserverband Wiener Neustadt-Süd, Wiener NeustadtPlaner: Ingenieurbüro Dr. Lang ZT-GmbH, 2700 Wiener NeustadtBaufirma: Angerlehner Hoch- und Tiefbau GesmbH, Pucking
Maschinentechnik: GWT Gesellschaft für Wasser- und Wärmetechnik GmbH, LeobersdorfElektro-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik: GWT Gesellschaft für Wasser- und Wärmetechnik GmbH, Leobersdorf
Bauzeit: August 2009 bis Mitte 2012 (Fertigstellung)Kosten: 15 Millionen EuroErdaushub: etwa 60.000 KubikmeterStahlbetonbau: etwa 18.000 KubikmeterBewehrung: etwa 900 Tonnen