SOLID 03/2017 : Bauen im Ausland
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Der Schritt über die Grenze ist für viele österreichische Bauunternehmen seit Jahrzehnten Alltag. Das zeigt eine – unvollständige – Momentaufnahme während dieses Winters: Die Arbeitsgemeinschaft aus Porr, Hinteregger, Östu-Stettin und Swietelsky gehört zu den maßgeblichen Akteuren beim Bau von Stuttgart21, der größten Baustelle Europas. Schalungstechniker von Doka sind nach der erfolgreichen Beteiligung am Burj Khalifa heute beim Bau des Kingdom Tower in Saudi-Arabien dabei, einem Bauwerk der Superlative mit einer geplanten Höhe von über einem Kilometer. Gleichzeitig sind ihre Schalungen gerade beim 432 Park Avenue im Einsatz, dem mit 425 Metern höchsten Wohnhaus Manhattans. Zu den Sektoren, die besonders viel jenseits der eigenen Landesgrenzen unterwegs sind, zählt der heimische Stahlbau. Recht anschaulich wird das bei der Elbphilharmonie, einem eben eröffneten, rund 800 Millionen Euro schweren Prestigeprojekt in Hamburg. Waagner-Biro aus Wien lieferte die gesamte Bühnentechnik inklusive Scherenhubpodien, Kettenzügen und Mikrofonwinden. Und der Kärntner Stahlbauer Haslinger konstruierte und fertigte die komplette Stahlkonstruktion im Inneren ebenso wie die stählerne Treppe im Foyer. Stahlelemente der Elbphilharmonie made in Austria Die zuerst in Feldkirch vormontierte, 12.500 Tonnen schwere Stahlkonstruktion ist auf Federpaketen gelagert und damit von der äußeren Gebäudehülle entkoppelt, damit auf der Elbe mitten im Hamburger Hafen die Akustik stimmt. Schwieriger als der bauingenieurtechnische Teil war bei diesem Projekt allerdings die finanzielle Seite, ebenso die Organisation und die Diskussion in der Öffentlichkeit.
Auch Haslinger musste wegen nachträglicher Änderungen der Baupläne zum Beispiel 14.000 Knotenverbindungen ausführen – also zehn Mal so viel wie ursprünglich geplant. Und statt eines knappen Jahres waren die Kärntner vier Jahre mit diesem Auftrag beschäftigt. Doch trotz aller Schwierigkeiten sei man im Nachhinein „froh und auch ein bisschen stolz", mit der Stahlkonstruktion ein Herzstück dieses weltweit beachteten Projekts gebaut zu haben, meinte Haslinger-Geschäftsführer Arno Sorger zur Eröffnung der Elbphilharmonie. Gerade arbeiten die Kärntner übrigens an der deutschen Küste weiter – beim Bau einer riesigen Produktionshalle aus Stahl in der Stadt Cuxhaven.
Auch Zeman gehört zu den besonders stark im Ausland aufgestellten Stahlbaubetrieben. Die Firma hat heute über zwanzig Tochtergesellschaften und errichtet weltweit Hallen, Stadien und Anlagen. Zum Beispiel mit seiner Tochter PEM, die gerade in Bayern ein Produktionswerk als Stahlfachwerkskonstruktion auf Stahlbetonstützen auf einer Fläche von 25.900 Quadratmetern errichtet – der größte Auftrag in der Geschichte von PEM.
Zur Gesamtsituation sagt Konzernchef Peter Zeman: "Was das laufende Jahr angeht, sind wir in vielen Märkten bei der Konjunktur durchaus zuversichtlich. In anderen tun die Einbrüche weh. Da leidet der gesamte Bau unter den aktuellen politischen Verwerfungen."
Stimmung in der Bauwirtschaft ist gut
Was Zeman hier anspricht, ist die besonders widersprüchliche Situation, die gegenwärtig das Geschehen prägt. Denn einerseits wird in Europa der 2015 eingesetzte Aufschwung am Bau nach Einschätzung der EU-Kommission auch 2017 weitergehen. Nach einem Wachstum von zwei Prozent in den letzten zwei Jahren erwartet die Kommission in der Bauwirtschaft der EU heuer ebenfalls ein Plus von zwei Prozent. Vergleichbar mit dem Bau in Deutschland ist auch in Österreich die allgemeine Stimmung der Branche gut. Laut einer Analyse der Oesterreichischen Nationalbank ging der Vertrauensindikator in der heimischen Bauwirtschaft seit zwei Jahren kontinuierlich nach oben und erreichte im Jänner 2017 einen neuen Höchststand, ungeachtet des kalten Jänners.
Die jüngste Branchenalanyse der Bank Austria bestätigt: „Die Bauwirtschaft erwartet heuer einen Aufschwung. Für das verbesserte Bauklima sorgt der Geschäftsvertrauenszuwachs sowohl im Hoch- als auch im Tiefbau.“ Weltmarkt: Geopolitische Risiken steigen Auf der anderen Seite steigen mit jeder Woche die geopolitischen Risiken – und sie betreffen viele wichtige Exportmärkte der österreichischen Bauwirtschaft direkt.
So bleiben in Europa die Eckdaten und Auswirkungen des Brexit nach wie vor unklar. Auch heuer ist in den Ländern der EU, mit der Österreich mehr als 70 Prozent seiner internationalen Geschäfte abwickelt, mit weiteren Turbulenzen zu rechnen: Die stark steigende Einwanderung in einige Staaten Westeuropas ist dieses Jahr das dominierende Thema der Wahlen in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden.
In der Türkei, wo die ingeneurtechnischen Leistungen aus Österreich traditionell besonders stark nachgefragt sind, stellt Staatschef Recep Tayyip Erdogan das Land in diesen Tagen auf ein Präsidialsystem um. „Im Bausektor wird trotzdem auch weiter sehr viel passieren, gerade im Tunnelbau, Bahnbau, Straßenbau. Der Bau bleibt einer der Motoren der Wirtschaft in der Türkei, während in anderen Bereichen zunehmend Flaute herrscht“, sagt Konstantin Bekos, bei Außenwirtschaft Austria zuständig für Südosteuropa. Flaute herrscht auch auf dem russischen Markt. Moskau ist angesichts seiner real gesetzten militärischen Schritte offenbar nur wenig daran interessiert, den Konflikt im Osten der Ukraine beizulegen – und damit entscheidend zu einem Ende der Sanktionen des Westens gegen Russland beizutragen. Im Nahen Osten ist ein Frieden weiterhin nicht in Sicht, was sich direkt auf die Lage in der Türkei auswirkt. Und Washington sorgt seit dem Amtsantritt von Donald Trump mit protektionistischen Äußerungen weltweit für Irritationen.
Für Österreich sind die USA geografisch weit weg – aber wirtschaftlich nach Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner, gefolgt von Italien, der Schweiz und Frankreich. Westeuropa: Geheimtipp Norwegen Es erscheine als wahrscheinlich, dass sich die gegenwärtige Situation im Rückblick „als die Ruhe vor den Turbulenzen“ erweisen werde, stellt die Industriellenvereinigung fest.
Eine Ruhe allerdings, während der auf den Baustellen heimischer Unternehmen im Ausland richtig viel los ist – in einigen ausgewählten Märkten. Dazu gehören im Westen weiterhin Deutschland, der mit Abstand wichtigste Partner der Republik, sowie unter anderem der ganz hohe Norden. Tatsächlich sind die skandinavischen Märkte bis heute fast noch ein Geheimtipp.
Allen voran Norwegen – ein hochentwickeltes Industrieland außerhalb der EU, das dank seiner Ölvorkommen in der Nordsee eher einer Märchenökonomie aus dem Morgenland ähnelt als seinen westeuropäischen Nachbarn. Tatsächlich nennen die Norweger einen weltweit einzigartigen Pensionsfonds ihr Eigen, der im Moment 785 Milliarden Euro schwer ist und den Reichtum aus der Tiefsee für künftige Generationen sichern soll. Und genau hier wird es auch für österreichische Baufirmen interessant – denn erstmals in seiner Geschichte sollen jetzt beträchtliche Mittel aus diesem Fonds in den Aufbau der Infrastruktur fließen. Ein Projekt umzusetzen ist etwas schwerer als in einem Land der EU: In Norwegen gilt der grundlegend andere Norwegian Standard. (Eine frühere SOLID-Geschichte zu genau diesem Thema kann man auch heute auf www.solidbau.at nachlesen.) Dafür tummeln sich unter den Mitbewerbern nicht Konzerne aus ganz Europa – und China dazu.
Fest steht jedenfalls, dass Norwegen einen Bedarf an Straßen, Brücken und Tunneln hat, den die einheimischen Baubetriebe gar nicht immer decken können – und genau deshalb hätten Planer und Baubetriebe aus Österreich besonders gute Chancen in diesem Land, heißt es im Außenwirtschaftscenter Stockholm.
Das Zentrum, von dem aus Norwegen mitbetreut wird, hat deshalb gerade ein ganzes Schwerpunktprogramm eigens für die heimische Bauwirtschaft organisiert.
AWO: Ein bewährter Partner im Ausland
Auch diese Außenwirtschaftscenter der WKO sind übrigens im internationalen Vergleich einzigartig: Deutsche Firmen zum Beispiel können nicht auf ein so dichtes Netzwerk zurückgreifen, das mit 110 Stützpunkten in über 70 Ländern österreichischen Exporteuren zur Seite steht, und dessen Kenntnisse und Kontakte tief in die Strukturen jedes Gastlandes hineinreichen. Osteuropa: Visegrad-Staaten fast Heimmärkte Unter den Ländern Osteuropas liegen in der Attraktivität für heimische Baufirmen eindeutig die vier Visegrad-Staaten vorn: Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei. „Das sind für die heimische Wirtschaft fast schon Heimmärkte“, heißt es dazu bei der Außenwirtschaft Austria. Der Schritt nach Osten ist für heimische Firmen seit Langem Routine: Österreicher gehören zu den fünf größten ausländischen Investoren in Zentral- und Osteuropa, wobei Baufirmen und Immobilienhändler die aktivste Branche darstellen.
Doch wie gut es der Wirtschaft in Osteuropa geht, hängt auch heute noch maßgeblich von Förderungen der westeuropäischen Geberländer ab. Und da gibt es einerseits den vom ehemaligen Vizekanzler Wilhelm Molterer geleiteten Europäischen Fonds für Strategische Investitionen (EFSI). Der Fonds, besser bekannt als Juncker-Plan, will mit Staatsgeld private Investitionen anstoßen. Wie hoch allerdings die tatsächliche Hebelwirkung ist, ist umstritten. Andererseits gibt es die regulären Förderungen aus Brüssel, die auf jeden Fall Wirkung zeigen.
Auf Überweisungen aus Brüssel kommt es an
Zum Beispiel in Ungarn. Das Land bekam zwischen 2007 und 2013 viermal so viel Geld von der EU, als es nach Brüssel überwiesen hat. Entsprechend steht Österreichs weltweit siebentwichtigster Handelspartner aktuell mit einem Wachstum von 2,5 Prozent sehr gut da – allerdings seien dabei auch die starken Einbrüche der Wirtschaftskrise zu berücksichtigen, heißt es im Außenwirtschaftscenter Budapest. Der Bau in Ungarn ist für das Wachstum von zentraler Bedeutung. Den Wohnungsbau kurbelt die Regierung gerade mit einer Absenkung der Mehrwertsteuer auf fünf Prozent an. Bei großen Infrastrukturprojekten passiert dagegen schon heute richtig viel – sehr oft unter Beteiligung großer Baufirmen aus Österreich. Konflikte in Ungarn Dass es dabei nicht immer friedlich zugeht, zeigt in diesen Tagen ein Streit um den Bau der Budapester U-Bahn-Linie M4. Im Zusammenhang mit dem zwischen 2006 und 2014 errichteten Projekt erhebt der parlamentarische Wirtschaftsausschuss Vorwürfe gegen die beteiligten Baufirmen – darunter auch die Strabag und Swietelsky, wie www.solidbau.at tagesaktuell berichtet hat. Die ungarische Seite bezieht sich dabei auf einen Bericht der EU-Antibetrugsbehörde Olaf. Demnach sollen die Baufirmen, ebenso wie Siemens und Alstom, Millionenbeträge zurückzahlen.
Bei der Strabag hat man diese Vorwürfe sofort zurückgewiesen: Die Behauptungen der ungarischen Stellen seien in dem EU-Bericht überhaupt nicht zu finden. Von der Bewerbung um weitere lukrative Projekte im Nachbarland abschrecken lässt sich der heimische Branchenprimus wohl kaum: Genau als die Vorwürfe bekannt wurden, veröffentlichte die Strabag zeitgleich den Gewinn eines weiteren Großauftrags. Das Unternehmen baut bis 2019 die Straße zwischen Budapest und der Stadt Vac zur Schnellstraße aus. Nettowert des Auftrags: 106 Millionen Euro.
Polen: Bauwirtschaft kennt keine Krise
Zu den vielversprechendsten und größten fremden Märkten gehört sicher auch Polen. Wobei auch dieser Markt für heimische Baufirmen schon lange nicht mehr fremd ist: „Österreicher waren mit die ersten hier, sind daher schon lange gut etabliert und haben einen sehr guten Stand. Die Namen Strabag und Porr kennt hier jeder“, sagt Stefan Stantejsky, stellvertretender Wirtschaftsdelegierter in Warschau. Auch Peter Zeman, dessen Stahlbauunternehmen in dem Land mit etwa 280 Mitarbeitern vertreten ist, bestätigt: „Letztes Jahr gab es einen Hänger, aber heuer ist die Entwicklung in dem Land wieder sehr hoffnungsvoll.“
Tatsächlich hat sich Polen unter den 25 größten Wirtschaften der Welt etabliert, hängt aber wie andere Osteuropastaaten weiter stark von Überweisungen aus Brüssel ab. Das Land ist mit 83 Milliarden Euro in der Periode zwischen 2014 und 2020 das mit weitem Abstand größte Empfängerland der EU. „Als es im vergangenen Jahr wegen des Antritts der nationalkonservativen Partei PIS zu einem Rückstau der Förderungen kam, hat sich das sofort auch auf die Baukonjunktur durchgeschlagen“, sagt Stantejsky. Inzwischen brummt dieser Sektor wieder mit einem jährlichen Wachstum von über vier Prozent, allein im Wohnbau mit zwölf Prozent. Das Außenwirtschaftscenter nennt auch die Unsicherheiten, etwa die künftige politische Linie Warschaus, die Flüchtlingskrise und den Konflikt zwischen den direkten Nachbarn Russland und der Ukraine.
Doch bei einem Wachstum von über drei Prozent und einem weiter enormen Bedarf am Ausbau der Infrastruktur lohnt es sich, hierher zu schauen. Dabei kommt man vielleicht an dem im Vorjahr fertiggestellten Terminal aus Stahl und Glas vorbei, das Zeman im Vorjahr am Flughafen Krakau fertiggestellt hat. Oder fährt an einer von vielen polnischen Baustellen des Baukonzerns Bilfinger vorbei, die jetzt zur Porr gehören. Nimmt in einigen Jahren die U-Bahn in Warschau, deren Planung und Baustellenorganisation gerade Tiroler Ingenieurbüro ILF COnsulting Engineers übernommen hat. Und dazwischen wird man garantiert einen Verkehrsweg nutzen, an dessen Errichtung Österreicher beteiligt waren, für die der Schritt über die Grenze zum Alltag gehört.