Reportage : Bauen für Kinder
So verschlafen die Vorstadtidylle manchmal auch sein mag. Am Speckrand von Wien wächst der Bedarf an Kindergartenplätzen. Schon zwei Jahre lang sind auf einem malerischen Grundstück in Kierling zwei Kleinkindergruppen in Containern untergebracht. Die stummen Zeugen des Provisoriums sind mehrere Schneemänner, die auf den Fensterscheiben der gelben Blechbüchse angeheftet sind. Auch ihre Tage sind bereits gezählt. Denn seit vergangenen Sommer sind „Gäste“ am Grundstück. Und eine Bauhütte ist am Dach.
In der Reißgasse, parallel zur Bundesstraße 14, entsteht ein neuer Kindergarten. Der Bauherr, die Stadtgemeinde Klosterneuburg, schafft Platz für sechs Kindergruppen. 120 Buben und Mädchen werden hier ihre Vorschulzeit verbringen. Mit zweieinhalb Lebensjahren ist man dabei. Dann geht es rein und raus. An einem Platz der „Geborgenheit, Kommunikation und Freiheit“, darauf legt das Architekturbüro Syntax großen Wert. Es wird ein Leichtbau, fast zur Gänze aus Holz, mit einer zum Garten geöffneten Glasfassade. Sie soll das Wechselspiel der Jahreszeiten erlebbar machen.
Die Bauzeit beträgt gerade einmal ein Jahr. Noch im Sommer werden die zwei Geschosse mit einer Fläche von jeweils 650 Quadratmeter bezugsfertig sein. Die Kosten betragen rund 3,5 Millionen Euro. Der größte Knackpunkt zu Beginn der Arbeiten war das Bauen einer Brücke, die Lastwagen passieren können, um das Grundstück zu erschließen.
Wechselspiel mit der Natur
Denn zu jeder Vorstadtidylle gehört ein Bach. Und der plätschert dem vorgelagerten Garten des Grundstücks entlang. An der Rückseite liegt die Reißgasse. Sie ist für ein solches Bauvorhaben zu eng. 90 Grad-Kurven und das so genannte „Haus im Grünen“, wo Heimatmuseum, Musikverein, Feuerwehr und Kindergruppe untergebracht sind, stehen an den beiden Flanken im Weg. Architekt Michael Barth erinnert sich: „Man kann da nicht einfach schnell eine Brücke bauen, wenn man sie braucht.“
Zunächst sollten ja bloß Rohre verlegt und zugeschüttet werden, was eine einfache und billige Lösung gewesen wäre. Allerdings eine Lösung ohne die Vorgaben der Wasserbehörde zu berücksichtigen. Bei Hochwasser hätte ein Bagger bereit gestellt werden müssen, um den Bach vor einer Verklausung durch Treibgut und Totholz bewahren zu können. Das dürfte dem Bauherren dann doch zu kostspielig erschienen sein. Also fiel der Beschluss, Stahltraversen zu legen. Ob am Ufer die Betonsockeln bleiben? Das ist noch unklar. Laut den Plänen soll später nur ein simpler Holzsteg auf das Grundstück führen.
Dort angelangt, steht man erst einmal im Garten. Schaukeln, Rutschen und Sandkisten gibt es derzeit nur auf dem Papier. Eine leichte Schneedecke überzieht mehrere Paletten an Arbeitsmaterial. Der mobile Kran ist eingefahren. Derzeit reicht eine Leiter aus, um der Glasfassade den letzten Schliff zu geben. In ihr spiegelt sich eine alte Rotbuche. Sie ist Teil des Konzepts. „Das informelle Lernen der Natur war uns ein großes Anliegen. Die Kinder können die Rotbuche von Innen miterleben“, freut sich Architektin Martina Barth. Blickbeziehungen spielen in den Syntax-Plänen eine große Rolle. So wie es auch die moderne Kindergarten-Pädagogik will. „Mit den Pädagoginnen wurden immer wieder Gespräche geführt. Vorher weiß man nicht so recht, was erwünscht wird.“
Also wurde der Außenraum zu integriert. Das Gebäude umarmt bildlich gesprochen den Grünbereich. Zur Reißgasse hin ist das Haus abgegrenzt und zum Garten hin geöffnet. Dort lässt eine aufgebrochene Form Sichtbeziehungen zwischen den Kindern in den Gruppenräumen zu. „Damit nicht jeder in seinem Kastl sitzt“, erklärt die Architektin Barth. Die 460 Quadratmeter große Pfosten und Riegel-Fassade wurde mit Fensterglas durchgehend verkleidet. Die Firma Ferroglas aus dem 21. Wiener Gemeindebezirk griff auf das Modell Schüco FW 50 Plus zurück. Laut dem Hersteller soll es besonders effizient Energie einsparen. „Wir mussten wirklich gutes Fensterglas verwenden. Wir haben hier einen Niedrig-Energie-Standard samt einer Lüftungsanlage.“ Daneben kann dieses Modell die Bauzeit verkürzen. Fassaden- und Innenausbau können gleichzeitig in Angriff genommen werden.
Zwei Drittel Holz
Das nach dem Lichteinfall und den Garten ausgerichtete Konzept spiegelt sich im Material wieder. Nach Süden hin ist es der leichte Bau aus Holz. Dort wo Speichermasse benötigt wird, wo nur wenige Fenster sind, ist es der schwere Bau. Die Stützmauer im Norden und die Fassade im Westen bestehen aus Beton. Am höchsten Punkt, also in der Reißgasse, musste fast vier Meter in die Tiefe gegraben werden, was den Baustart um einiges verzögerte. „Das geologische Gutachten beschrieb nicht wirklich, wie die Situation hier ist. Eine weitere Stellungnahme war notwendig“, blicken die Architekten auf den holprigen Beginn zurück. Denn die Baugrube musste erst einmal gesichert werden. Vier bis sechs Meter tiefe Nägel mit Spritzbeton sollen vermeiden, dass der Hang abrutscht.
Ein weiteres Hindernis lag unter der Erde: Ein paar Hauptversorgungsleitungen wie Gas, Strom und Wasser führen an der Grundstücksgrenze entlang. „Der Zeitverlust zu Beginn konnte aber mit der Holzbauweise wieder aufgeholt werden“, freut sich Baukoordinator Georg Neubauer, der selbst Architekt ist. Der Holzbau ist durchdacht und vorgeplant. Er erlaubt ein schnelles Bauen, weil die meisten Elemente in der Werkstatt vorgefertigt werden. Sie werden dann vor Ort an den Beton angedübelt. Der schwere Bau bildet das Rückgrat und trägt den Holzbau. „Das gilt vor allem für die West-Fassade. Sie geht ja über zwei Geschoße und ist für die Aussteifung verantwortlich“, erklärt Koordinator Neubauer. Nach Einschätzung der Architekten besteht rund ein Drittel des Kindergartens aus Beton, zwei Drittel sind aus Holz.
Für den Holzbau ist die Zimmerei Fahrenberger aus Gresten im Bezirk Scheibbs in Niederösterreich verantwortlich. Mit speziellen Maschinen wurden rund zwei Drittel der Elemente in der Werkstatt vorgefertigt. Acht Mal musste die Zimmerei um einen Sondertransport ansuchen, um die vorgefertigten, großflächigen Dachelemente in die Reißgasse zu transportieren. Selbst die wuchtigen Blenden waren bereits am Faltwerkdach montiert. Im Werk entstand ebenfalls das Erdgeschoß, das sich aus den tragenden Innenwänden, den Zwischenwänden und den Deckenelementen zusammensetzt. Alle sind aus Holz. Die Holztramdecke wurde gleich gedämmt geliefert. Nur im oberen Stock musste aufgrund der Raumhöhe vor Ort Hand angelegt werden.
Die höchste Stelle beträgt etwas mehr als fünf Meter. „Wir scheiterten im oberen Stock an der Statik. So große Elemente können wir im Werk herstellen“, erklärt Peter Scheiblauer, Projektleiter der Zimmerei. Er scherzt: Im Kindergarten gebe es ja auch nur „einen einzigen rechten Winkel.“ Insgesamt verbaute Fahrenberger rund 200 Kubikmeter Fichten-Brettschicht-Holz. Die Pfosten-Riegel-Konstruktion der Glasfassade besteht aus 74 horizontalen Pfosten und 208 vertikalen Riegeln. Auch sie wurde im Werk vorgefertigt. Schwalbenschwanzverbindungen halten die einzelnen Teile zusammen.
„Nur die Stützfüße sind aus Metall, um aus dem Spritzwasserbereich herauszukommen“, erklärt Baukoordinator Neubauer. In nur sechs Wochen und exakt wenige Tage vor Weihnachten wurde der Rohbau winterfest gemacht. Die letzten Module wurden am 20. Dezember geliefert. Ferroglas montierte gleich seine Glasfassade darüber. Die Arbeiten gingen Hand in Hand – oder Gewerk in Gewerk.
Dach wandert mit
Viele Möglichkeiten zum Improvisieren gab es auf der Baustelle nicht. „Das sei aber auch nicht der Sinn und Zweck des Holzbaus“, betont Martina Barth. Dafür atme das Gebäude in Holz ganz anders als andere Häuser. Die Architektin fährt mit ihrer Hand über eine Aussteifung in der Glasfassade. Der Balken ragt eine Spur in den Raum hinein. Die Kinder sollen ihn als Tischchen verwenden können. „Hier an der Fassade bleibt das Holz sehr spürbar.“ Der Rest muss verkleidet werden. Aus Brandschutzgründen, wie es heißt. Syntax hätte am liebsten auch einen Holzboden verlegt. Doch das war aus Kostengründen nicht durchführbar.
Den Vorzug erhielt Kautschuk, ein reines Naturprodukt, über das sich das Reinigungspersonal freuen kann. Was noch fehlt, ist der Estrich. Es steht bereits fest, dass der Kindergarten eine durchgehende Fußbodenheizung erhalten wird. Schließlich plane man für „kleine Menschen“, so kindgerecht und nachhaltig wie möglich. „Der Holzbau spart Ressourcen. Alles ist sehr lokal. Mit dem Effekt, dass weniger Transportkosten anfallen und weniger CO2 wird ausgestoßen“, erklärt Architektin Barth. Dabei sei es gar nicht so leicht gewesen, einen Holzbau durchzusetzen. „Hält das auch?“ waren die Bedenken. Holzbau habe zu unrecht einen „schlechten Ruf“.
Das Gebäude ist statisch gefinkelt durchdacht. Alles ist miteinander verbunden. Dieses scheinbar selbstverständliche Faktum wirkte sich bei jeder Planänderung deutlich auf das Dach aus. „Am Dach war die Geometrie nur schwierig zu lösen. Grundriss und Dach sind eben keine rechtwinkeligen Dinge.“ Kneift man die Augen ein wenig zu, entspricht der Grundriss am ehesten einem verwackelten „M“. Auch das Dach beeindruckt Passanten durch seine Linienführung. „So passt der neue Kindergarten besser ins Ortsbild, wenn da ein bisschen Bewegung drinnen ist. Das Gebäude wehrt sich nicht gegen Landschaft und Hang, sondern nimmt beides ein wenig auf“, erläutert Barth. In der Reißgasse gingen die Architekten „so flach wie möglich“ rein.
An der Gartenseite mit ihren zwei Geschoßen sind schon etwas ausgeprägtere Giebel angedeutet. Die Spengler gaben die Neigung vor. „Da geben genaue Vorschriften und technische Notwendigkeiten die Ausarbeitung vor.“ Ab einer gewissen Bahnlänge könne das Zink nur noch überlappt werden. Der Außenbereich vor den Gruppenräumen ist leicht überdacht. So können die Kinder bei Schlechtwetter ein paar Schritte in den Garten machen. Oder sie benützen die Rutsche aus Kunststoff. Sie wird vom Obergeschoß direkt auf den Spielplatz führen und soll laut Ausschreibung aus Edelstahl sein. Doch es kursiert ein berechtigter Einwand: Eine Rutsche aus Edelstahl wird im Sommer zu heiß.
Power statt Pastell
Im Innenbereich liegt noch vieles blank. Zahlreiche Rohre, Leitungen und Zwischenwände müssen noch verkleidet werden. Der Haupteingang in der Reißgasse mit den Garderoben und Nebenzonen soll im Endausbau Ordnung vermitteln. Die Erschließungszonen wurden vertikal geöffnet. Im Erdgeschoß liegt der Gang ja quasi im Keller. Licht fällt durch kleine Galerien und Öffnungen. In der West-Fassade schmiegen sich die Sonnenstrahlen über nach Süden abgeflachte Fensterwinkel in den Raum. Mehrere Lichtstudien seien im Vorfeld gemacht worden. Gleich an den Garderoben und WC-Anlagen schließen die Gruppen- und Bewegungsräume an. Ihre Nutzung ist vielfältig. Kleine Sitzstufen im Erdgeschoß deuten die Möglichkeit für Kinder-Vorführungen an. Holz, Glas und weiße Wände werden einmal den Farbton angeben. Denn die Farbe beziehungsweise das Leben sollen die kleinen Protagonisten in den Raum einbringen.
Mit Ausnahme der Garderoben und WC-Anlagen. Sechs „Powerfarben“ werden die Zugehörigkeit zur jeweiligen Gruppe bestimmen. Syntax hat sie gemeinsam mit einer Farbberaterin erstellt. Und ließ dabei keinen Zweifel offen. Decken, Böden, Wände, selbst die Glastüren inklusive den Türrahmen werden denselben Farbton haben. Neben Zeichen seien eben auch Farben für Kinder sehr ausschlaggebend. „Wir haben da bewusst keine Babyfarben genommen. Diese lieblichen Pastelltöne gefallen uns nicht. Das Ambiente hier ist sehr natürlich. Solche intensiven Farbkleckse passen da viel besser dazu.“
An der Ostseite des Gebäudes muss noch der Anbau am „Haus im Grünen“ nachgebessert werden. Beim Durchbruch in das Stiegenhaus des Altbaus ergab sich ein leichter Niveauunterschied. Vermutlich werden hier noch zwei, drei Stufen oder eine Rampe eingebaut. Unmittelbar daneben wird es einen Durchladeraufzug geben. Er wird gleich an fünf Stationen halten. Zwei liegen im Kindergarten, drei im Altbau. Denn so gering der Höhenunterschied der beiden Gebäude auch ist, das Niveau der einzelnen Ebenen weicht auf jeder Seite leicht voneinander ab. Das im ersten Altbau-Stock angesiedelte Heimatmuseum soll vom Kindergarten profitieren. Mit dem Aufzug wird es ebenfalls barrierefrei. Noch ein zweiter Vorteil ergibt sich für den Altbau. Er wird in Zukunft vom Kindergarten mitgeheizt.
Für beide Gebäude gibt es eine Heizungsanlage mit Brennwert-Technologie. Im Bereich des Haupteinganges ist der Baukörper leicht eingeschnitten. Das schafft Platz für Tratsch. „Die Eltern sollen hier noch plaudern können“, meint Barth. Sie will runde Sockeln zum Sitzen in den Boden pflanzen. Doch das ist alles noch Zukunftsmusik. Derzeit prägen noch die Baufirmen den Platz. Nach einem knappen Jahr Bauzeit wird das 3,5 Millionen Euro-Projekt die Tore für die Kinder öffnen. Dann beginnt die Zeit wo die verschlafene Vorstadtidylle nicht mehr von Baumaschinen und Arbeitern unterbrochen wird – und der Alltag wieder beginnt.