SOLID 11/2016 : Aufwändigstes Straßenbauprojekt Österreichs: A5-Neubau

Ein Bau auf der berühmten grünen Wiese ist für Profis normalerweise Alltag. Der Neubau des nördlichen Teils der Nordautobahn A5 ist es nicht unbedingt – das Projekt ist derzeit das wohl aufwändigste Vorhaben im heimischen Straßenbau. „Die Anforderungen, um die es hier geht, kommen in dieser Größe nur alle paar Jahre vor, für uns wie für die beteiligten Betriebe. Nicht jede Baufirma hat die Erfahrung, um im Weinviertel eine Autobahn zu bauen“, sagt Christian Musil, Projektleiter der Asfinag Bau Management. Tatsächlich liest sich die Liste jener, die die Ausschreibung der Asfinag gewonnen haben, wie ein „who is who“ der heimischen Baubranche: Habau, Gebrüder Haider, Strabag, Porr, Hinteregger, Granit. Dazu kommen Hochtief und Alpine CZ – letzteres ein Name, bei dem gerade einige Leser stutzig geworden sein dürften. Dieses tschechische Unternehmen hat früher wirklich zu Alpine gehört und wurde nach der Insolvenz des Konzerns vom eigenen Bereichsleiter herausgekauft. Was den Bau des nördlichen Teils der A5 so besonders macht, sind nicht nur die 45 Brücken auf der Strecke, wobei hier der Brückenbau und der Straßenbau eng verzahnt sein müssen. Sondern auch die hügelige Landschaft, die einen enormen Umfang der Erdarbeiten notwendig macht. Dazu kommt ein sehr lockerer Untergrund – nicht gerade die ideale Bedingung für ein kilometerlanges Bauwerk, bei dem auf jedem verbauten Quadratmeter viele Tonnen lasten. Und dann geht es mittendrin noch um die Umsetzung eines richtungsweisenden Forschungsprojekts. Denn in einem Punkt betreten heimische Wissenschaftler gemeinsam mit den Baufirmen echtes Neuland: Sie errichten auf der A5 mehrere integralen Brücken, die ganz ohne die üblichen Dehnfugen und Widerlager auskommen, dabei allerdings sehr viel länger sind als die bisher in monolithischer Konstruktion gebauten Brücken. Von Schrick bis zur Grenze Zum Verlauf: Der südliche Abschnitt der A5 von Eibesbrunn bis Schrick ist seit 2010 in Betrieb. Der Ausbau des nördlichen Teils ist in zwei Abschnitte gegliedert: Zum einen die 25 Kilometer bis Poysbrunn und zum anderen die neun Kilometer von Poysbrunn bis zur Staatgrenze bei Drasenhofen. Einer der Gründe für die Unterteilung: Auf dem zweiten Abschnitt gibt es überhaupt nicht genug Verkehr, um ihn zu einer Autobahn auszubauen. Deshalb lässt die Asfinag hier zunächst nur eine zwei Streifen breite Umfahrungsstraße bei Drasenhofen errichten. Danach soll eines Tages der Vollausbau passieren, der auch vom angrenzenden tschechischen Autobahnprojekt R52 abhängig ist. Die größte Arbeit passiert deshalb gerade auf dem längeren ersten Abschnitt, der in Schrick beginnt und über Wolkersdorf bis Poysbrunn verläuft. Diesen Abschnitt hat die Asfinag in vier Baulose mit insgesamt fünf Anschlußstellen unterteilt. Nach Vorarbeiten im Jänner 2015 starteten hier im April des Vorjahres die Arbeiten an der Verlegung der Brünner Straße. Weiter nördlich schwenkt die neue Trasse ab und quert die B40 Mistelbacher Straße, umfährt Wilfersdorf, Erdberg und Walterskirchen, quert dann die L20, die L22 und mündet nach der Anschlußstelle Poysbrunn wieder in die bestehende B7. Besondere Berechnung der Baulose Die Größe der einzelnen Baulose ist bei diesem Projekt besonders genau berechnet. „Ab einer bestimmten Losgröße können mittelständische Betriebe auch gemeinsam über eine Arge nicht mehr mitbieten“, erklärt Christian Musil. Deshalb hat die Asfinag sie so gewählt, dass auch Baufirmen mitbieten konnten, die kleiner sind als die größten der Branche. Auf den Einwand, dass trotzdem eher große Firmen die Aufträge gewonnen haben, entgegnet er: „Es ist hier doch ein erweiterter Kreis der Bauindustrie erreicht worden. Wären die Lose noch größer, könnten sich nur ganz wenige darum bewerben.“ Die Vergabe der Baulose geschah übrigens zeitlich gestaffelt. Mit diesem „wirtschaftlich optimalen“ Vorgehen sei es gelungen, die Baukosten von ursprünglich 324 Millionen Euro auf insgesamt 283 Millionen Euro zu senken, heißt es bei der Asfinag. Eines ist allen Baulosen gemeinsam: Die enormen Erdbewegungen. Während der Arbeiten müssen auf der Strecke insgesamt etwa sechs Millionen Kubikmeter Erde ausgebaggert und aufgeschüttet werden. Denn einerseits darf eine Autobahn maximal vier Prozent Längssteigung haben, und andererseits führt sie hier durch die sehr hügelige Landschaft des Weinviertels, so Musil: „Es gibt einen stetigen Wechsel von Dämmen und Einschnitten. Zum Beispiel, wenn eine Brücke große Einschnitte braucht, und hundert Meter weiter ist schon wieder ein Damm.“ Eine zentrale Frage ist daher die richtige Balance im Materialaufkommen. Und die Planung der Abläufe: So braucht jedes Baulos eine eigene Anbindung an das Straßennetz, um den Aushub zu transportieren. Und angesichts der sehr kurz bemessenen Bauzeiten muss sich der Brückenbau in die laufenden Straßenbauarbeiten eingliedern. Reibungsfüße und Dammaufstandsflächen Auch die geotechnischen Ansprüche sind hoch. Das enorm hohe Gewicht der Autobahn ruht auf einem Boden, der hier im Weinviertel zum großen Teil aus schluffartigem Lößlehm besteht und sehr setzungsempfindlich ist. In der Praxis bedeutet das, dass die Bauleute einen Damm errichten und dieser sich dann um bis zu einen halben Meter nach unten senken kann. Genau das macht eine „horizontale Bodenauswechslung“ notwendig – und zwar durchgehend. Konkret sieht das so aus: Für die Vorbereitung werden so genannte Reibungsfüße in den Untergrund eingebracht, und zwar links und rechts in die Dammaufstandsfläche. Diese Reibungsfüße von etwa sechs Metern Breite auf jeder Seite des Böschungsfußes sorgen später dafür, dass der Damm nicht abrutscht. Sie bestehen aus grobem Gestein, das aus Gründen der Stabilität zusätzlich mit Vlies ummandelt wird. Auf die Reibungsfüße wird die Dammaufstandsfläche angebracht. Ihre Ausmaße bilden im Querschnitt die Form von einem Trapez und sind viel breiter als die eigentliche Autobahn, wie Projektleiter Musil erklärt: "Eine 30 Meter breite Autobahn weist bei einer Dammhöhe von 15 Metern aufgrund der Böschungsneigungen eine Dammaufstandsfläche von 75 Metern auf." Überlastschüttungen als Zeitgewinn Die Zeiten für die einzelnen Etappen werden bei der Asfinag ganz offen als „sportlich“ bezeichnet. Um bei der Bodesetzung Zeit zu gewinnen, wenden die Baubetriebe eine weitere, spezielle Technik an: Sie bohren etwa 12 Meter tiefe, vertikale Drainagen im Abstand von einem bis 1,5 Metern in den Boden, über die das Wasser aus dem Untergrund herausgepresst wird, so dass sich der Boden setzen kann. Bei dieser Methode erweist sich das riesige Gewicht des Bauwerks als Vorteil: Dort, wo der Damm 15 Meter hoch ist, drücken rund 30 Tonnen Gewicht pro Quadratmeter nach unten – je mehr, desto schneller setzt sich der Grund. Deshalb führen die Tiefbauer auch Überlastschüttungen durch, indem sie deutlich mehr Material aufschütten als später gebraucht werden, um die Last zu erhöhen und eine noch schnellere Setzung zu erreichen. „Mit dieser Technik braucht es bei der Bodensetzung nur einen Bruchteil der Zeit. In wenigen Monaten passiert das, was normalerweise Jahre gedauert hätte“, erklärt Musil. Pilotprojekte für den Brückenbau Gleichzeitig ist der Neubau der Weinvertelautobahn auch im heimischen Brückenbau ein großes Projekt: 45 Brücken sind im nördlichen Abschnitt der A5 zu errichten. „Das Besondere hier: Bis auf drei Brücken entstehen alle in Integralbauweise“, sagt Michael Kleiser, Brückenspezialist der Asfinag. Das bedeutet: Die Bauwerke kommen ganz ohne die üblichen Dilatationen (Dehnfugen) aus, die normalerweise das Schwinden und Kriechen einer Brücke ausgleichen. Das Problem gerade bei viel befahrenen Straßen: Diese Übergänge sind sehr wartungsintensiv und nutzen sich schon nach wenigen Jahren stark ab. In den geringeren Erhaltungskosten liegt einer der Vorteile der Integralbauweise. Dabei werden das Tragwerk und die Widerlager monolithisch, also komplett zusammenhängend, verbunden. Schon bisher setzt die Asfinag bei kleineren und mittelgroßen Brücken bis etwa 70 Metern Länge auf diese Technik. Beim Neubau der A5 sind jedoch zum ersten Mal zwei monolithische Brücken eingeplant, die deutlich größer sind. 112 Meter Länge und ganz ohne Dehnfugen Eines dieser Pilotprojekte ist 112 Meter lang, heißt A5.24 Talbrücke über den Satzengraben und entsteht auf dem Baulos 03 in der Nähe von Wilfersdorf. Wie Michael Kleiser erzählt, kam die Idee dazu von Johann Kolleger. Der Professor hat mit seinem Institut für Tragkonstruktionen und Betonbau der TU Wien bereits mehrfach mit neuartigen Betonkonstruktionen für Aufsehen gesorgt. Die Asphalttechnologie für das Vorhaben entwickelte das Institut für Verkehrswissenschaften unter der Leitung von Professor Ronald Blab. Tatsächlich war einiges an wissenschaftlicher Vorarbeit nötig, damit später die Übergänge auch in diesen großen Dimensionen ganz ohne Brüche funktionieren. Die Asfinag beteiligte sich finanziell und kann jetzt im Gegenzug die patentierte Technologie kostenlos nutzen. Stark vereinfacht sieht die neue Übergangsonstruktion so aus: Unter der Fahrbahn versteckt ist eine Schlepp-Plattenkonstruktion, die aus aneinandergereihten Betonschwellen besteht. Die Schwellen werden als trogförmige Betonfertigteile vorgefertigt, durch Zugglieder miteinander verbunden und auf einer Gleitschicht verlegt. Die Zugglieder hängen mit einem Ende im Brückentragwerk und mit dem anderen im Widerlagerblock. Oben drüber kommt eine spezielle Membran (stress absorbing membrane interlayer), und darüber schließlich der bituminöse Fahrbahnaufbau. Wenn sich nun die Brücke verformt – und das können auf einer Länge von 112 Metern immerhin mehrere Handbreit werden – passen sich die Fugen zwischen den Betonelementen an, und der bituminöse Asphalt ebenfalls. „Die gesamte Betonschwellenkonstruktion und der spezielle Asphalt nehmen wie ein Gummiband die Bewegung auf“, so Brückenexperte Kleiser. Bemerkenswert an dem Pilotprojekt war schließlich auch die Zeit für seine Umsetzung: Nur fünf Jahre liegen zwischen der ersten Idee, der Machbarkeitsstudie, dem Bau von Prototypen und der für 2017 geplanten Fertigstellung. Zum Vergleich: Ideen für den Bau einer Schnellstraße zwischen Wien, Brünn und Breslau gibt es seit über 80 Jahren.