SOLID 04/2019 : "Auch sagen, wo man nicht mehr mitmacht"
SOLID: Infrastrukturminister Norbert Hofer hat sein Statement zur 1,2-Milliarden-Investition der Asfinag für 2019 mit dem Satz begonnen: Heute ist ein guter Tag für die Bauwirtschaft. Ist die Bauwirtschaft für die Asfinag das entscheidende Spielfeld? Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zur Bauwirtschaft?
Hartwig Hufnagl: Die Bauwirtschaft ist ein wesentlicher Faktor und natürlich beobachten wir die Dynamik in der Bauwirtschaft sehr genau. Wir tätigen ja sehr große Investitionen und haben es gerade mit einem sehr überhitzten Baumarkt zu tun. Da müssen wir immer sehr genau schauen, was wir tun.
Ein fast schon ewiges Thema ist die S1 Umfahrung Wien und der damit verbundene Lobautunnel. Es gibt dazu eine errechnete Umwegrentabilität von 32.000 Arbeitsplätzen. Wie viele davon entfallen auf den Bau?
Hufnagl: Genau beziffern kann ich das nicht, aber es ist auf jeden Fall wichtig, dass wir dieses große Bauvorhaben umsetzen. Primär geht es dort aber darum, die Menschen, die dort wohnen, vom Verkehr zu entlasten.
Der Baubeginn der Freilandstrecke hängt jetzt noch von Wasserrecht und Naturschutzrecht ab, gewünscht ist 2019, es könnte aber auch 2020 werden. Wann beginnen Sie dann mit dem Tunnel?
Hufnagl: Wir werden mit dem Tunnel beginnen, wenn wir den ersten Abschnitt im Freilandbereich fertig haben. Als insgesamten Fertigstellungstermin haben wir 2025 im Plan. Wir müssen die Verfahren natürlich abwarten und ich gehe davon aus, dass die Ergebnisse des naturschutz- und wasserrechtlichen Verfahrens beeinsprucht werden. Aber wir versuchen auf jeden Fall, an unserem Zeitplan festzuhalten. Die UVP ist zum Glück fertig, jetzt geht es eben um die Materienrechte, die bei den Ländern liegen. Budgetiert haben wir auf jeden Fall mit Baubeginn 2019.
Von 2017 auf 2018 ist das Verkehrsvolumen um 2,8 Prozent angewachsen, das verteilt sich auf 2,4 Prozent Zuwachs bei PKW und 5,6 Prozent bei LKW. Worauf machen Sie sich denn da in Zukunft gefasst?
Hufnagl: Derzeit ist ja zu beobachten, dass es der Wirtschaft sehr gut geht. Die Zunahme des Verkehrs ist etwas, das eine absolute Kontinuität aufweist. Auf der Tauernautobahn gibt es etwa 7,5 Prozent Zuwachs im PKW-Verkehr, Tendenz steigend. All dem müssen wir natürlich in unseren Investitionen Rechnung tragen.
Betrifft dieses Rechnungtragen mehr den Neubau oder mehr die Sanierung?
Hufnagl: 2019 werden wir 700 Millionen in Neubau und 500 Millionen in Ausbau, Sanierung und Erhaltung investieren. Es gibt im Neubau in der Folge zwar noch einige wenige Mammutprojekte wie zB A26 oder S1, Neubau S7, S3, S8 oder auch in Westösterreich die S18 Bodenseeschnellstraße, tendenziell geht es aber in den Folgejahren sicher mehr Richtung Sanierung.
Viele unserer Autobahnen kommen lebenszyklisch betrachtet in ein Endstadium und da müssen wir schon im Vorfeld Sorge tragen, dass wir dementsprechend ein gut serviciertes Netz zur Verfügung stellen können.
Wie sind Sie denn mit der Kooperation mit den Ländern zufrieden? Diese sind ja für die Zubringerstrecken verantwortlich.
Hufnagl: Die Länder stellen natürlich immer große Forderungen an den Bund und da muss man sehr offen in die Diskussion treten und sagen, was geht und was einfach nicht geht. Wenn wir zum Beispiel das Thema Lärmschutz mit der neuen Lärmschutzdienstanweisung ansprechen, gibt es eben klare Vorgaben und einen Kataster. Das ist für uns in unserer kaufmännischen Sorgfaltspflicht ein probates Mittel, akkurate Maßnahmen zu setzen.
Solche Vorgaben gibt es zum Beispiel auch im Bereich der Drittfinanzierung, da geht es besonders um das Thema Anschlussstellen. Wenn die Notwendigkeit geäußert wird, eine Anschlussstelle an unser hochrangiges Netz zu machen, muss man sich die soziodemografische Entwicklung gut anschauen, eine Kosten-Nutzen-Rechnung für das Projekt machen und dann gibt es immer einen Drittfinanzierungsanteil der Gemeinden.
Sie sind ja schon länger im Verkehrsgeschäft – wie stehen Sie da zum Thema PPP, wie sind Ihre Erfahrungen? Mir kommt es so vor, als gäbe es da fast wechselnde Modetrends.
Hufnagl: Die PPP-Projekte unterliegen mit Sicherheit einem gewissen Zeitwandel. Es gibt ganz großartige solche Projekte, wir haben selber ein sehr erfolgreiches PPP-Projekt mit der Bonaventura (eine 51 km lange Strecke der A5 Süd, S1 Ost, S1 West und S2 wurde durch die Bonaventura Straßenerrichtungs-GmbH geplant, finanziert und gebaut, die Bonaventura ist seit der Eröffnung 2009 auch für die Erhaltung und den Betrieb der Strecke bis 2039 voll verantwortlich, Anm.). Aber man muss sich immer genau anschauen, wo das eigentlich Sinn macht. Mir ist wichtig festzuhalten: wir sind Straßenbetreiber und wir haben das Knowhow. Ein PPP-Projekt ist also nicht zwingend erforderlich, um innovativ zu sein. Ein Konzessionsmodell erhöht zwar den Wettbewerb, aber wir haben wirklich tolle Mitarbeiter im Haus, die alles so gewährleisten können, wie wir es brauchen.
Wenn wir schon bei Abkürzungen mit drei Buchstaben sind: wie geht es Ihnen mit den Themen BIM und ECI – Early Contractor Involvement?
Hufnagl: Bei BIM stehen wir sicher noch relativ am Anfang, haben aber jetzt ganz klar eine Forcierung eingetaktet.
Was das Early Contractor Involvement betrifft, beobachten wir den Markt und die Bewegungen in der Bauwirtschaft sehr genau. Wir versuchen natürlich, unsere Projektierungen wirklich zeitgemäß zu konzipieren und uns immer nach einem erfolgten Bauprojekt zu konsolidieren und die Erfahrungen in das nächste Bauprojekt aufzunehmen.
Ließen sich Streitigkeiten wie die Auseinandersetzung um Mehrkosten beim Götschka-Tunnel bei der S10 (es geht bei einer 2007 budgetierten Gesamtkostensumme von 689 Millionen Euro um über 60 Millionen Euro, die die Porr an Mehrkosten ins Treffen führt, das Verfahren ist anhängig, derzeit geht es um die Frage einer möglichen Mediation, Anm.d.Red.) nicht durch früheres Einbeziehen der Projektpartner vermeiden? Da geht es ja um viel Geld und auch schon ganz schön um Zinsen.
Hufnagl: Da bin ich mir nicht ganz sicher, weil Mehrkostenforderungen dann entstehen, wenn man während des Baufortschritts auf unvorhergesehene Dinge stößt – und diese sind eben in der Planungsphase nicht 1:1 abbildbar, wenngleich wir immer versuchen, mit einem gezielten Risikomanagement zu operieren. Wir starten jedes Projekt mit einem Unvorhergesehenen von zehn bis maximal 25 Prozent aus und dann kann es natürlich zu einer Kostenerhöhung kommen, wenn ich in einem Baufortschritt entdecke, dass hydrologisch oder hydrogeologisch Dinge entstehen, die ich davor nicht absehen konnte. Das wird es immer geben.
Ende 2016 gab es ja die Pleite der GLS im Zusammenhang mit der Praterbrücke, da waren die Nachforderungen ja noch höher, man spricht vom bis zu Zehnfachen…
Hufnagl: Was man aber auf der anderen Seite als sehr positives Beispiel heranziehen kann, ist die Generalsanierung der Tangente bei St. Marx. Das hätten wir ja jetzt ausgeschrieben, aber aufgrund einer sehr überteuerten, weit über die Kostenschätzung hinausgehenden Angebotslegung sind wir gezwungen gewesen, die Ausschreibung zu widerrufen. Man sieht auf der einen Seite, dass die Wirtschaft blüht, weil es eben so wenige Anbieter gibt. Auf der anderen Seite sind wir verpflichtet, seriös zu bleiben und kaufmännische Sorgfalt walten zu lassen und zu sagen: mit diesen Kosten werden wir es nicht seriös bauen.
Ich bin jemand, der sehr auf Kooperation abzielt. Das Wichtigste ist, dass man einander versteht, dass die Bauwirtschaft die Bedürfnisse und Nöte des Infrastrukturunternehmens kennt und vice versa. Die eine Seite braucht die andere und es schafft Verständnis, wenn man die Dinge sehr klar und transparent kommuniziert. Am genannten Beispiel heißt das, dass es wichtig ist, auch zu sagen, wo man nicht mehr mitmacht.
Was passiert jetzt?
Hufnagl: Jetzt schauen wir, dass wir ein besseres Angebot bekommen.
Schreiben Sie dazu anders aus?
Hufnagl: Wir begeben uns jetzt in ein Verhandlungsverfahren, wo wir schauen, ob noch andere Bieter aufspringen könnten, damit wir zu einem günstigeren Angebot kommen.
Ist das quasi das, was beim Early Contractor Involvement mit dem Ausdruck Beauty Contest gemeint ist?
Hufnagl: Ungefähr, ja.
Wenn Sie an ihre 15 Jahre Verkehrspolitik zurückdenken – was hat sich am meisten verändert, was waren die einschneidendsten Erfahrungen?
Hufnagl: Was sich wirklich verändert hat, ist der Zugang zum Kunden. Ich glaube, dass die Asfinag wie kaum ein anderes Unternehmen in Europa kundenorientiert ist. Wir versuchen wirklich aus allem Schlüsse zu ziehen und das auch umzusetzen. Wir haben jede Woche eine Telefonkonferenz, bei der wir alle Ereignisse im hochrangigen Straßennetz analysieren und schauen, wo wir schneller eingreifen können, wo es bauliche Maßnahmen gibt, die vielleicht wichtig wären – wir versuchen uns ständig zu optimieren und zB besser mit den Blaulichtorganisationen zusammen zu arbeiten etc. Früher waren die Aufgaben viel isolierter verteilt.
Wir haben auch die Autobahnmeistereien danach ausgerichtet. Wir haben jetzt 43 und jetzt zum Beispiel in Bruck an der Leitha die Zusammenlegung der zwei bestehenden Autobahnmeistereien Schwechat und Neusiedl, um Synergieeffekte zu generieren.
15 Jahre in die Zukunft wären vielleicht etwas weit gegriffen, aber was sehen Sie persönlich als die nächsten großen Themen im Verkehr an?
Hufnagl: Ich denke, es gibt zwei große Stoßrichtungen für uns. Zum einen ist das das Thema Erhaltungsstrategie – Stichwort Morandi-Brücke in Genua. Wir müssen wirklich darauf achten, dass unsere Bauwerke in Schuss sind und laufend untersucht, verbessert und schnell saniert werden. Da gibt es auch viele innovative Maßnahmen.
Und zum zweiten ist es die Entwicklung von neuen Mobilitätsformen, denen wir auch Rechnung tragen müssen. Wir müssen eine Lade-Infrastruktur nicht nur für elektro-, sondern auch für wasserstoff- oder brennstoffzellenbetriebene Autos bereit stellen. Das wird sicher zunehmen, obwohl ich skeptisch bin, ob das alles wirklich so eintrifft, wie es prognostiziert wird.
Man hat einmal gesagt, 2030 gibt es autonomes Fahren, da ist man jetzt schon einmal auf 2035 nach hinten gerutscht – aber ich bin der Meinung, dass bei den Kunden die Diversität aufrecht bleiben wird. Es wird immer diejenigen geben, die einen Verbrennungsmotor haben, und diejenigen, die innovativ sind und neue Möglichkeiten suchen. Aber das hängt auch von der Autoindustrie und den europäischen Standards und Richtlinien ab.
Also die Abschaffung der Hinweisschilder auf den Autobahnen, weil jedes Auto seinen Weg kennt, wird es nicht geben?
Hufnagl: Nein, die wird es nicht geben. Das ist so wie mit dem papierlosen Office.
Hartwig Hufnagl (43) hat seit 15 Jahren intensiv mit dem Thema Verkehr und Infrastruktur zu tun.
Der gebürtige Oberösterreicher Hufnagl war als Trainee der Industriellenvereinigung zwei Jahre im Europäischen Parlament in Brüssel und arbeitete von 2004 bis 2006 Referent für Infrastruktur, Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit im Kabinett von Verkehrsminister und Vizekanzler Hubert Gorbach (FPÖ). Ab Oktober 2006 war er bei der Asfinag, zunächst in der Konzernsteuerung, dann zwei Jahre als Assistent von Vorstandsdirektor Alois Schedl.
Von 2009 bis Ende 2017 war er mit dem Betrieb des österreichischen Autobahnen- und Schnellstraßennetzes befasst. Anfang 2018 wurde er stellvertretender Kabinetts-Chef bei Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ).
Seit 1.2.2019 ist Hufnagl Vorstandsdirekter (COO) der Asfinag. Er folgte in dieser Funktion Karin Zipperer, die im November 2018 nach kurzer Amtszeit überraschend ausgeschieden war.