SOLID 11/2018 : Arbeitssicherheit: Improvisation absolut unerwünscht
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Das markanteste Kleidungsstück der Baubranche ist der Bauhelm – und das ist kein Zufall. Bauarbeiter leben gefährlich, auch wenn das Geschehen auf einer Großbaustelle für fachfremde Besucher meist sehr geordnet ausschaut. „Der Bau ist die unfallträchtigste Branche der Wirtschaft“, heißt es bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Das Risiko, auf einer Baustelle verletzt zu werden, ist doppelt so hoch wie in allen anderen Berufen – und das Risiko eines tödlichen Unfalls drei Mal so hoch.
Es kann viele treffen. Mehr als sechs von hundert Beschäftigten am Bau erleiden jedes Jahr einen Arbeitsunfall. Dabei ist die Situation in Österreich deutlich besser als im EU-Durchschnitt, wie die Arbeitsinspektion meldet. Diese Institution besteht aus 16 regionalen Arbeitsinspektoraten und einem Arbeitsinspektorat für Bau, ist dem Sozialministerium zugeordnet und hierzulande die zentrale Prüfungsinstanz für Arbeitssicherheit auf Baustellen. Die Arbeitsinspektorate arbeiten gemeinsam mit der AUVA und der Gewerkschaft Bau Holz auch fortwährend daran, Baufirmen, Beschäftigte und die Öffentlichkeit zu informieren – um so das menschliche Leid zu verhindern, das hinter jedem Unfall steht.
Am gefährlichsten: Tiefbau und Dacharbeiten
Gefährlich bleibt es trotzdem. So kam es auf Österreichs Baustellen im Vorjahr zu 16.518 Unfällen. 25 davon waren tödlich. Mit Abstand am gefährlichsten ging es im Vorjahr im Tiefbau zu. Umgerechnet auf 1000 Beschäftigte verzeichnet hier die AUVA 86 Unfälle, bei den „sonstigen Bautätigkeiten“ waren es „nur“ 51. Ein besonderer Faktor sind jüngere Arbeitnehmer, wie die AUVA berichtet: „Fast die Hälfte aller Unfälle wird von Personen verursacht, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.“ Nach Häufigkeit geordnet, stehen Unfälle mit scharfen und spitzen Gegenständen an erster Stelle, gefolgt von Stürzen auf ebenem Boden, Unfällen mit Sägemaschinen und dem Herabfallen von Gegenständen. Betrachtet man die Unfallursachen nicht nach Häufigkeit, sondern nach ihrer Schwere, ergibt sich ein anderes Bild. Die mit Abstand häufigste Ursache für schwere Unfälle sind Stürze von Gerüsten und Leitern, gefolgt von der Arbeit mit Sägemaschinen und beim Transport mit einem Kran oder einem Gabelstapler.
Entdecken Sie jetzt
-
Lesen
- Warum die Zukunft im Bestand liegt 20.11.2024
- Countdown zu den 5 größten Vergaberechtsmythen 20.11.2024
- Bei Wiener U-Bahn-Ausbau wird mit Recyclingbeton geforscht 19.11.2024
-
Videos
- SOLID Bau-TV | 11.07.2024 11.07.2024
- SOLID Bau-TV | 27.06.2024 27.06.2024
- SOLID Bau-TV | 06.06.2024 06.06.2024
-
Podcasts
- Bauen up to date #13 - 04.03.2024 04.03.2024
- Bauen up to date #12 - 13.9.2023 12.09.2023
- Bauen up to date #11 - 23.04.2023 23.04.2023
Baustellen werden langfristig immer sicherer
Die gute Nachricht: Langfristig nimmt die Anzahl der Unfälle nach Daten der AUVA ab. Dafür sorgen nicht nur Regeln und Kontrollen, sondern auch immer bessere technische Vorrichtungen. Rudolf Silvan, Landesgeschäftsführer der Baugewerkschaft in Niederösterreich und Experte der GBH für Arbeitssicherheit, weist hier auf einen Unterschied hin: „Bei den Verbesserungen liegen große Baufirmen eindeutig vorn, weil sie Arbeitssicherheit als Wirtschaftsfaktor erkannt haben und eher einen höheren Aufwand betreiben. Bei den kleineren Betrieben setzt sich dieser Trend leider nicht fort. Da heißt es dann oft, wir haben dafür keine Zeit, denn wir müssen arbeiten.“ Eine falsche Annahme – denn neben menschlichem Leid sind Unfälle auch sehr teuer, für die Gesellschaft und für die Baufirmen selbst. Rund 27.000 Euro Kosten verursacht im Schnitt jeder Unfall am Bau. Im Vorjahr sind aus Bauunfällen der Allgemeinheit Kosten in Höhe von 470 Millionen Euro entstanden. Davon haben die Baubetriebe selbst 64 Millionen Euro bezahlt.
Zehn Mal pro Jahr die Höchststrafe: Stilllegung
Wenn eine Baufirma Fehler macht, heißt es nicht, dass es gleich zu einer Strafe kommt: „Stellt die Arbeitsinspektion eine Übertretung fest, sind Arbeitgeber grundsätzlich zu beraten“, heißt es im Regelwerk der Arbeitsinspektoren. Auch die AUVA ist in der Beratung von Firmen aktiv. Danach kommen Verwarnungen. Erst wenn auch das keine Wirkung zeigt, machen die Arbeitsinspektoren bei der Bezirksverwaltungsbehörde eine Anzeige. Wie hoch die Strafen sind, definiert das Arbeitnehmerschutzgesetz. Im ersten Fall bewegen sie sich zwischen 160 und 8300 Euro, bei einer konkreten Übertretung zwischen 330 und 16.700 Euro. Etwa zehn Mal im Jahr wenden die Arbeitsinspektorate die schärfste Strafe an, die sie haben – die komplette Stilllegung einer Baustelle. „Wenn man bedenkt, wie viele Baustellen es in Österreich gibt, ist das keine große Zahl“, sagt Baugewerkschaftler Silvan.
Schattenseiten bei der Reform der Sozialversicherungen
So sehr sich Firmen über die Flexibilisierung der Arbeitszeiten freuen – für die Sicherheit auf Baustellen ist das keine Verbesserung, weil weit mehr als jeder zweite Unfall nach dem Ende der regulären Arbeitszeit passiert. Rudolf Silvan geht mit einer anderen Änderung hart ins Gericht: Der Reform der Sozialversicherungen, die gerade den parlamentarischen Entscheidungsprozess durchläuft und Anfang 2019 in Kraft treten soll. „Mit dieser Reform werden die Arbeitsinspektorate schrittweise immer weiter entmachtet und die AUVA finanziell ausgehöhlt. Das Ergebnis: Sanktionen gegen Firmen, die Regeln missachten, werden immer lascher. Und viele Beratungen der AUVA fallen weg, was gerade kleine und mittelständische Betriebe spüren werden. Dabei sind die Kontrollinstanzen schon heute personell massiv unterbesetzt.“ Als Beispiel verweist Silvan auf das geplante „Kumulationsprinzip“. Wenn beispielsweise früher vier Arbeiter am Dach falsch oder gar nicht gesichert waren, gab es vier Strafen. In Zukunft soll es kumuliert nur eine sein.
Negativfaktor „Versubbung“
Ein anderer Faktor, der sich negativ auf die Arbeitssicherheit auswirkt, ist systemisch bedingt: Es ist die „Versubbung“ – also der weiter steigende Anteil der Leiharbeiter und die Weitergabe von Aufträgen an ausländische Billiganbieter, vor allem aus benachbarten Ländern Osteuropas. Ein Faktor deshalb, weil es einen direkten Zusammenhang gebe zwischen hohen Anteilen von Subfirmen und der Arbeitssicherheit, sagen Experten – was nicht nur in der Kommunikation von Regeln sichtbar werde, weil Kenntnisse der deutschen Sprache oft gänzlich fehlen. Rudolf Silvan fasst es so zusammen: „Der am meisten Gefährdete am Bau ist der ausländische Leiharbeiter.“ Das Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping sei hier eine große Hilfe, so Silvan. „Trotzdem sind österreichische und ausländische Auftragnehmer beim Preis nach wie vor sehr weit von einer Waffengleichheit entfernt, weil ungarische oder slowakische Arbeitnehmer offiziell den heimischen KV-Lohn bekommen, aber sehr viel niedrigere Sozialabgaben in seinem Land zahlen müssen. „So lange diese Schieflage nicht behoben ist, kann von echter Konkurrenz keine Rede sein. Ausländische Subfirmen bleiben für Auftraggeber attraktiv – und das wirkt sich direkt auf die Arbeitssicherheit aus.“
BauKG wirkt positiv – SiGePlan im Mittelpunkt
Das Baustellenkoordinationsgesetz (BauKG) trägt dagegen inzwischen viel dazu bei, dass die Zahl der Unfälle sinkt und Abläufe klarer werden. Im Mittelpunkt steht hier der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGePlan). Er ist bei großen Baustellen oder gefährlichen Arbeiten verpflichtend. Dazu muss ein vom Bauherrn ernannter Koordinator die wichtigsten Eckdaten zum Projektablauf beschreiben und darlegen, was im Fall des Falles zu tun ist. Der Informationsbedarf beim SiGePlan sei nach wie vor enorm, heißt es bei den Arbeitsinspektoraten. Ihr Tipp: Den SiGePlan in der Planungsphase so exakt wie möglich durcharbeiten, und später in der Bauphase flexibel, aber wachsam befolgen. Das Motto der Berater und Kontrolleure der Arbeitsinspektion: „Organisation und Koordination statt Improvisation“. Damit die enormen Kosten von Arbeitsunfällen außen vor bleiben – und menschliches Leid verhindert wird.
Definition: Der Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGePlan) ist ein Kernelement des Arbeitsschutzes auf Baustellen, geregelt im § 7 BauKG. Weitere Konkretisierungen stehen im Arbeitnehmerschutz-Reformgesetz (ANS-RG). Der SiGePlan ist nach Fertigstellung für alle Mitarbeiter und Selbstständigen einer Baustelle frei zugänglich zu machen.
Inhalt: Der SiGePlan muss laut § 7 Absatz 3 BauKG verpflichtend enthalten: Angaben zum Baugelände und mögliche Gefahren des Baugrundes; Eine Liste aller geplanten Hoch- und Tiefbauarbeiten inklusive des zeitlichen Ablaufs; die dabei geplanten Schutzmaßnahmen; eine Liste der Schutzeinrichtungen, die gemeinsam genutzt werden können; schließlich allgemeine Regelungen für die Baustelle und die Zuständigkeit für Schutzmaßnahmen.
Verantwortung: In erster Linie verantwortlich ist der Bauherr – dieser kann aber seine Verpflichtungen an einen professionellen Projektleiter übertragen.
Zeitlicher Ablauf: Bauherren bzw. Projektleiter und die von ihnen beauftragten Planungskoordinatoren müssen einen SiGePlan vor Eröffnung der Baustelle erstellen. Baustellenkoordinatoren sind verpflichtet, den Plan während und bei Änderungen der Bauarbeiten sofort anzupassen. Der Planungs- und der Baustellenkoordinator kann dieselbe Person sein.
Voraussetzung: Ein SiGe-Plan ist verpflichtend, wenn die Arbeiten mehr als 30 Arbeitstage und 20 Arbeitnehmer oder mehr als 500 Personentage umfassen. Auch, wenn es um einen geringeren Arbeitsumfang geht, aber um „gefährliche Arbeiten“, muss ein SiGe-Plan erstellt werden. Gefährliche Arbeiten laut Gesetz sind insbesondere solche, bei denen Absturz, verschüttet zu werden, zu versinken möglich ist. Aber auch Arbeiten neben Gasleitungen, Hochspannungsleitungen, mit Sprengstoff oder schweren Fertigteilen.
Kleinbaustellen: Nicht bei jeder Baustelle ist ein SiGePlan nötig – geht es bei einer oder mehreren Baufirmen um einen Arbeitsumfang mit weniger als 500 Personentage, kann eine sogenannte Gefahrenevaluierung den SiGePlan ersetzen.
Quellen: Sozialministerium, Arbeitsinspektion; AUVA.