SOLID 06 / 2014 : Alemannisches Bauhandwerk - Firmenpotrait Schertler i+R
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In Lauterach kennt man die Firma Schertler i+R schon lang: Seit 110 Jahren ist das Städtchen in Vorarlberg ihr Sitz. Und doch sorgten vor einigen Jahren die Pläne der Firmenleitung kurz für Unruhe im Lauteracher Rathaus – eine Übersiedlung stand an. Wollte Schertler etwa weg? Nein. „Wir Alemannen haben eine große Treue zum Standort“, sagt Reinhard Schertler, einer der drei geschäftsführenden Gesellschafter. Der Familienbetrieb blieb da und zog nur Anfang 2013 in das nagelneue Stammhaus am Stadtrand. Ehrensache, dass man als Baufirma beim Bau eines neuen Firmensitzes den größten Teil der Arbeit selbst übernimmt, und dann auch nicht einfach irgendein Büro hinstellt. Helle Fenster und Wände aus Holz, Sichtbeton, Bauteilaktivierung, Heizung über Geothermie sowie eine Klimaanlage, die im Sommer ganz ohne Energie auskommt – damit holte das Haus als österreichweit erstes Bürogebäude eine LEED-Zertifizierung in Platin. Heute ist es eine Visitenkarte – die nebenbei zeigt, wie sich die Gruppe ständig neu aufstellt, um auch in Zukunft erfolgreich zu bleiben.
In den letzten zwei Jahren startete das Unternehmen nach innen eine umfassende Umstrukturierung und verpasste sich nach außen ein neues Logo. Aus i+R Schertler wurde die i+R Gruppe, aus Abteilungsleitern Geschäftsführer und aus einzelnen Abteilungen selbstständige Gesellschaften. Inzwischen setzt die Tochterfirma i+R Bau zum nächsten Sprung an: Konzentration auf ansprungsvolle Ingenieurbauprojekte. Das beste Beispiel dafür ist gerade in Arbeit: Das Wasserkraftwerk an der Mündung der Ill in den Rhein, das i+R Bau gerade im Auftrag der Stadtwerke Feldkirch errichtet. SOLID war vor Ort und stellt hier zwei Bauprojekte und mit ihnen ein Unternehmen vor, das Regionalität zum zentralen Teil der Strategie gewählt hat – und trotz seiner Größe auf gar keinen Fall als Baukonzern gelten will. Wachstum: ja, Expansion: neinZur Erklärung weist Reinhard Schertler, Urenkel des Firmengründers, auf die Landschaft vor seinem Bürofenster: „Die Hügel dort liegen schon in Deutschland, und diese Berge da sind in der Schweiz. Das ist unsere Region, hier sind wir verwurzelt und kennen die Leute, und darauf wollen wir uns auch weiterhin am stärksten konzentrieren. Ich glaube, dass gerade bei eher breit aufgestellten Baufirmen die Zukunft nicht in der Expansion ins Ausland liegt, sondern in der starken Verankerung in der Region.“ In Vorarlberg muss i+R nicht mehr viel erobern. Es gebe kaum eine Baustelle im Land, an der die Gruppe nicht irgendwie beteiligt sei, sagt Schertler. Seit längerem positionieren sich die Lauteracher deshalb auch auf den Nachbarmärkten in Süddeutschland und im Osten der Schweiz, obwohl dort die Zugangshürden höher sind. Und doch steht für die Firmenchefs eine Expansion nicht zur Debatte: „Eine weitere Größe würde keinerlei Vorteile bringen. Wir wollen in der Größe so bleiben, wie wir sind. Und wir wollen auch nicht, dass man uns einen Baukonzern nennt, denn wir sind ein Familienunternehmen.“ Schertler verweist darauf, dass die Firma stolze 110 Jahre überlebt hat – und das bis heute ohne Finanzpartner, Börsengang oder eine Bank im Haus: „Nur als Familienbetrieb sind schnelle und unabhängige Entscheidungen möglich.“ Gesellschaften statt AbteilungenDavon gab es einige. Das Unternehmen begann als Zimmerei und legte sich während der Jahrzehnte immer neue Geschäftsfelder zu – Holzbau, Fensterbau, Hoch-, Tief- und Spezialbau, Industriebau, Projektentwicklung und schließlich auch Handel mit Baumaschinen. Dann startete vor zwei Jahren die Umstrukturierung. Schertler erklärt den Grund: Gerade weil die Gruppe so breit aufgestellt sei, ermögliche die Aufteilung in einzelne Schwesterfirmen die Spezialisierung im eigenen Bereich. Konzentration auf IngenieurbauOder auch eine Neuausrichtung – zum Beispiel mit der Konzentration auf den Ingenieurbau. Auch hier sei Spezialisierung das Ziel, erklärt Reinhard Braito, Geschäftsführer der i+R Bau: „Einen normalen, mehrgeschossigen Wohnbau können sehr viele Baufirmen errichten – ein Kraftwerk wie am Illspitz nicht.“ Zeitgleich mit den Arbeiten am Illspitzkraftwerk ist i+R Bau gerade dabei, sich mit mehreren aktuellen Baustellen eine ansehnliche Sammlung an Referenzprojekten zusammenzustellen. Zum Beispiel mit dem Auftrag für das zweitgrößte Baulos beim neuen Hauptbahnhof in Wien, oder einer Liftstation mit Liftstützen im hochalpinen Gelände inklusive Hubschraubertransport. Vibrierende Fabrikhalle auf SchotterbodenEin weiteres Referenzprojekt steht gleich hinter der Schweizer Grenze. In Widnau haben die Vorarlberger gemeinsam mit einem lokalen Partner die Baumeisterarbeiten an einem neuen Produktionswerk für den Dosenhersteller Rexam übernommen. Schweizer Medienberichten zufolge wird ein großer Salzburger Konzern später von hier aus den gesamten US-Markt mit Getränken beliefern. Die bauliche Schwierigkeit bei diesem Werk: Bei der zukünftigen Produktion von Dosen werden die schweren Maschinen stark vibrieren und auch das gesamte Gebäude in Schwingungen versetzen. Doch weil der Rhein ganz nah ist, besteht der Grund nur aus weichem Schotter und Sand. Gefragt war also eine extrem stabile und gut verankerte Konstruktion. Das Finanzvolumen für die Baumeisterarbeiten beträgt in diesem Fall 20 Millionen Franken. Und obwohl es für Ausländer alles andere als einfach ist, in der Schweiz ein Vergabeverfahren zu gewinnen, bekam die Arge von i+R den Zuschlag. Andreas Hugelshofer, Abteilungsleiter von i+R Spezialtiefbau, erklärt: „Wir kannten den Boden gut, wir hatten die gesamte entsprechende Technik und unsere Kenntnisse im Spezialtiefbau. Und wir hatten natürlich einen Schweizer Partner.“ 45 Bohrpfähle pro TagAuf der Baustelle wurden ab Ende 2013 zunächst rund 1800 Schneckenbohrpfähle mit einer Länge bis zu elf Metern und einem Durchmesser von 42 Zentimetern in den Grund gesetzt – und zwar relativ dicht, etwa ein Pfahl auf alle vier Meter. Nicht alltäglich ist nicht nur der erforderliche Lastabtrag von 750 kNewton pro Pfahl, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der Bohrpfähle errichtet wurden. Während das Bodenmaterial mit einer Schnecke nach oben gefördert wurde, wurde zur gleichen Zeit das Bohrloch über ein Rohr mit Beton verfüllt. Die Mannschaft schaffte so durchschnittlich 45 Bohrpfähle pro Tag. Darüber kam dann ein Fundament aus Stahlbeton mit 2500 Kubikmetern Volumen und darauf wiederum 26 Meter hohe Deckenstützen. Im Dezember soll der Rohbau des Werks fertig sein. Kraftwerk Illspitz – die gesamte PaletteKenntnisse im Spezialtiefbau waren auch beim Auftrag für den Bau des Wasserkraftwerks Illspitz ausschlaggebend. „Hier kommt vieles zusammen: Bohrpfähle, Schiltzwände, konstruktiver Ingenieurbau und eine komplexe Baugrubensicherung sowie verschiedene Facetten von Wasserbau“, sagt Christian Wenzlik. Der Geschäftsführer von i+R Bau gesteht auch, dass Illspitz das bisher größte Projekt seines Unternehmens ist. Über 30 Millionen Euro investieren die Stadtwerke Feldkirch in das Vorhaben. Das halbe Auftragsvolumen entfällt an i+R Bau. Die Lauteracher errichten die Wehranlage und das Krafthaus und übernehmen auch Arbeiten am Flussbett. Den Stahlwasserbau übernimmt die Firma Künz aus Hard. Schon diesen Oktober soll das Herzstück des Kraftwerks in Betrieb gehen: Ab dann drehen sich zwei wuchtige Kaplan Bulb Turbinen etwa 160 Mal pro Minute und versorgen 7000 Haushalte mit sauberem Ökostrom. Die tonnenschweren Turbinen sitzen seit April an ihrem Platz. In diesen Tagen gehen die Arbeiten am Krafthaus in die finale Phase. Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg: Das Kraftwerk besteht neben der eigentlichen Anlage aus drei Wehrfeldern. „Eine Schwierigkeit dieser Baustelle war die Lage an zwei Flüssen und einem Bach, der zwischen ihnen in die Mündung fließt“, erklärt Ernst Stemer, Projektleider der i+R Bau. „Denn wenn ein Fluss Hochwasser führt, heißt das noch lange nicht, dass das die anderen auch tun, weil die Ill und der Rhein unterschiedliche Einzugsgebiete haben.“ Entsprechend musste die Baumannschaft ständig mit einem Hochwasser rechnen – das dann tatsächlich mehrmals gekommen ist, zuletzt im vergangenen Oktober. Bauen unter permanenter HochwassergefahrDie einzelnen Bauschritte stark vereinfacht: Die Ill wurde zunächst zweigeteilt und die insgesamt drei Wehrfelder zunächst in der einen, dann in der anderen Hälfte fertig betoniert. Im April wurde die Ill in die fertig gestellten Wehrfelder umgeleitet. Jetzt hängen tonnenschwere Wehrsegmente darin, die hydraulisch bewegt werden und das Wasser auf vier Meter Höhe stauen können. Im Schnitt kommt es an zehn Tagen im Jahr zu einem Hochwasser. Schnell reagieren zu können, wenn es so weit ist, war deshalb eine zentrale Anforderung. „Kommt es länger als eine Stunde zu einem Fließvolumen von über 150 m³ pro Sekunde, machen wir die Wehranlage auf“, erklärt Hans-Jörg Mathis von den Stadtwerken Feldkirch. Im Oktober zum Beispiel erreichte das Wasservolumen 300 m³ pro Sekunde. Doch das war noch wenig im Vergleich zum Oktober 2012. Damals stieg das Wasser in kürzester Zeit auf über 330 m³ pro Sekunde – und das mitten in der Bauphase. Alle schon fertig gestellten Bauteile auf der Rheinseite waren bereits fertig gestellt. Das Wasser spülte sie innerhalb einer halben Stunde einfach weg und bahnte sich seinen Weg in den Rhein – und der anschließende Millionenschaden warf den Zeitplan um Wochen zurück. Eine Baugrube für das Gewicht der halben TitanicEntsprechend genau musste die Mannschaft von i+R bei der Baugrube für das Kraftwerk vorgehen. Sie erstellte 30 Meter tiefe Schlitzwände, um im Erdinneren die wasserdichte Schicht zu erreichen. Zusätzlich sicherten Vakuumbrunnen die Grube. Trotzdem war die Mannschaft bereit, die Grube im Notfall über zwei extra eingebaute Wasserschieber auch mit Wasser zu fluten, falls bei Hochwasser der Druck von außen zu stark geworden wäre. Aber auch jetzt ist die Schlitzwand auf einen enormen Druck von außen ausgelegt – und kann damit als ein Glanzstück des Ingenieurbaus gelten. Projektleiter Ernst Stemer erklärt: „In der Schlitzwand sind auf drei Ebenen auf alle 1,30 Meter Anker eingelassen. Jeder Anker sitzt etwa 20 Meter tief und hält 1000 kNewton aus, das entspricht 100 Tonnen. Sie könnten also auf jedem Anker drei Bagger aufhängen.“ Dann fügt Stemer einen nicht ganz ernst gemeinten Vergleich hinzu: „Wir haben das einmal ausgerechnet: Alle Anker zusammengerechnet würden das Gewicht der halben Titanic aushalten.“ Das bescheidene KraftwerkDer Schutz vor Hochwasser war denn auch ein wichtiges Argument, um die Kritiker des Projekts zu überzeugen. Erbitterte Proteste der Anwohner erreichten bereits in den 1980er Jahren einen Planungsstopp für ein Flusskraftwerk mitten im Naherholungsraum, bei dem damals sechs Meter hohe Dämme vorgesehen waren. Diese Proteste von damals wirken bis in die Gegenwart nach. Doch mit dem jüngsten Konzept konnte die Gemeinde Feldkirch die Kritiker überzeugen: Die Bauten werden so weit wie möglich in die natürliche Umgebung integriert. Die Pläne verzichten auf hohe Dämme oder eine Brücke. Das Krafthaus duckt sich förmlich in den Damm, seine Decke wird nur einen halben Meter höher sein als die Dammhöhe. Die Fische in der Ill und im Rhein bekommen zwei Aufstiege und einen Abstieg. Zusätzlich ist ein ganzer neuer „Bach“ entstanden, der sich auf knapp zwei Kilometern Länge durch den Auwald schlängelt. Dieses mit Lehm und Kies abgedichtete Umgebungsgerinne bekam den Namen „Kleine Ill“ und wird ab Juli in Betrieb genommen, um den Wasserstand der Ill regulieren.
Ein schwieriges Thema ist schließlich auch die Refinanzierung der Anlage. Bei heutigen Strompreisen im Großhandel würde das Jahrzehnte dauern, gibt Hans-Jörg Mathis von den Stadtwerken Feldkirch zu. Allerdings liegt die Energieeffizienz der Anlage bei 94 Prozent, und bekanntlich kann ein hochwertig gebautes Wasserkraftwerks mehr als ein Jahrhundert lang sauberen Ökostrom erzeugen. Alle Verschleißteile sind problemlos austauschbar. Und falls es danach doch zu einem Umbau kommen sollte, bekommt diesen Auftrag vielleicht wieder eine Baufirma aus Lauterach. Die sich wahrscheinlich auch in hundert Jahren partout nicht Baukonzern nennen will. ////____________Eckdaten Kraftwerk Illspitz
Auftraggeber: Stadtwerke Feldkirch
Baustart: August 2012
Fertigstellung: September 2014
Projektvolumen: Ca. 30 Millionen Euro
Davon i+R Bau: 15 Millionen Euro
Auftragsumfang i+R Bau: Dreiteilige Wehranlage; Krafthaus; Adaptierungen am Flusslauf und Renaturierung
Beschäftigte i+R Bau beim Kraftwerksbau: 50
Verbaute Betonmenge: ca. 30.000 m3
Verbaute Stahlmenge: ca. 5.000 t
Leistung Kraftwerk: 7 MW, Jahresarbeit bis zu 28 GWh
Versorgung: etwa 7.000 Haushalte
Eckdaten i+R Gruppe
Beschäftigte: ca. 600
Gruppenumsatz: ca. 300 Millionen Euro /a
Sitz: Lauterach in Vorarlberg
Gegründet: 1904 als Zimmerei in Lauterach
Leitung: Günter Schertler, Joachim Alge, Reinhard Schertler als geschäftsführende Gesellschafter
Tochtergesellschaften: Bau (Hochbau, Tiefbau, Spezialtiefbau, Sanierungen, Beton); Industrie & Gewerbebau (Generalunternehmer, Architekturbau, Industrie- und Systemhallenbau); Wohnbau; Holzbau; Fensterbau, Huppenkothen (Baumaschinenhandel und Vermietung, v.a. Takeushi)
Aktuelle Bauprojekte i+R Bau GmbH: U.a. zweitgrößtes Baulos am Hauptbahnhof Wien; Spezialtiefbau für eine neue Produktionshalle für Rexam in Widnau (Schweiz)
SOLID 06 / 2014