Megaprojekte : Ägypten will sich eine ganze neue Hauptstadt bauen
Größer, höher, weiter - Al-Sisi will mit Mega-Projekten Ägypten voranbringen. Auf einer Konferenz wurde nun für 76 Milliarden Euro der Bau einer neuen Hauptstadt vorgestellt. Kairo als Zentrum des Landes soll dann Geschichte werden, so der Plan.
Der Präsident betritt die Bühne und es ertönt heroische Musik. Als er seine Rede beginnen will, stürmen Jugendliche auf ihn zu, um Selfies mit ihm zu machen. Und als Ägyptens Staatsoberhaupt Abdel Fattah al-Sisi schließlich endlich seinen ersten Satz spricht, springt ein Getreuer im Publikum auf und brüllt "Tahiya Misr" - lang lebe Ägypten.
Gewünschte Bauzeit: Fünf statt zehn Jahren
Die Szenerie verwandelt sich in eine Mischung aus Rockkonzert und religiöser Verehrung. Vor allem eine Meldung geht vom Konferenzort Sharm-el-Sheikh um die Welt: Ägypten baut eine neue Hauptstadt.
"Capital City" - die Initialen erinnern an die Aussprache des Namens Sisi - soll östlich der aktuellen Hauptstadt Kairo gebaut werden und fünf Millionen Einwohnern Platz bieten.
Nach Angaben des Ministeriums für Wohnungsbau wird die Stadt "viermal größer als Washington", mit neuem Flughafen, Hochhäusern und einem Vergnügungspark "sechsmal größer als Disneyland". Umgerechnet bis zu 76 Milliarden Euro wird der Bau von "C.C." nach Schätzungen kosten.
Kairo, alter Sehnsuchtsort der Ägypter
Knapp 20 Millionen Einwohner leben in Kairo, viele in ärmlichen Verhältnissen. Ganze Stadtteile sind mehrere Stunden täglich vom Stromnetz abgeschnitten, der Verkehr bricht regelmäßig zusammen, eine organisierte Müllabfuhr gibt es nicht. Dennoch ist Kairo seit mehr als 1.000 Jahren Hauptstadt des Landes, Sehnsuchtsort der Ägypter. In der Metropole ruht das christliche und muslimische - und pharaonische - Erbe des Landes.
Rund zehn Jahre hatten Experten für den Bau der neuen Hauptstadt veranschlagt. Doch die Zahl irritierte Präsident Al-Sisi bei der Auftragsunterzeichnung. "Zehn Jahre sind zu lang", sagte er. "Schafft es in fünf!" Kairo soll dann nur noch eine Fata Morgana am westlichen Horizont sein.
Drei Tage lang hatte Ägypten Politiker und Wirtschaftsgrößen aus aller Welt zu einer Wirtschaftskonferenz in den Badeort Sharm-el-Scheikh auf der Sinai-Halbinsel eingeladen.
Am Ende wurde die Tagung mehr zu einer Geberkonferenz. 124 Milliarden Euro sammelte die Kairoer Regierung für künftige Großprojekte nach Angaben des Investitionsministers allein bis Sonntagmittag.
Mit Megaprojekten aus der tiefen Krise
Seit dem Sturz des Langzeitherrschers Hosni Mubarak Anfang 2011 liegt die Wirtschaft des bevölkerungsreichsten arabischen Landes brach. Die Arbeitslosigkeit bei Berufseinsteigern wird auf 40 Prozent geschätzt, jeder vierte Ägypter muss nach Angaben der Weltbank mit weniger als einem Euro am Tag auskommen. Hilfszahlungen und Rohstofflieferungen aus Saudi-Arabien, Kuwait und den Emiraten erhalten den ägyptischen Haushalt derzeit künstlich am Leben.
Al-Sisi begegnet der desolaten Lage mit Megaprojekten. Seit Sommer wird eine zweite Fahrtrasse für den Suezkanal zwischen Mittelmeer und Rotem Meer gebaut, Pläne für Ägyptens ersten 200-Meter-Wolkenkratzer und das erste Atomkraftwerk des Landes liegen auf dem Tisch. Nun soll auch noch eine neue Hauptstadt kommen.
Stabilität wichtiger als Reformen
Die Konferenz von Sharm-el-Scheikh war "ein einziger Kraftakt", sagt der ägyptische Ökonom Mohammed al-Dahshan der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Regierung wollte den Investoren beweisen, dass sie gewillt ist, "ihren Kopf hinzuhalten", also ein stabiles Ägypten zu versprechen. Tatsächliche Reformen seien nicht von Interesse.
Skepsis gegenüber Großprojekten
Kritiker sind skeptisch. Experten von der Stiftung Wissenschaft und Politik sehen Ägyptens Wirtschaftsstrategie "auf Sand gebaut".
Sollten sich die Projekte nicht in Einnahmequellen verwandeln, müsse der ohnehin gerupfte Haushalt die Schulden über Jahre tragen. Das ägyptische Zentrum für Ökonomie und soziale Gerechtigkeit ECESR kritisiert, dass die Fixierung auf Großprojekte zwar rasches Geld bringe, aber keine nachhaltige Beschäftigung.
(Von Marc Röhlig und Pol O Gradaigh, dpa /APA/pm)