Österreich : Überblick über Allianzprojekte

Kooperation, Partnerschaft und alternative Vertragsmodelle sind Themen, welche die österreichische Bauwirtschaft seit langem beschäftigen. Während in anderen Ländern Allianzverträge bereits seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt werden, wurde der erste Allianzvertrag im deutschsprachigen Raum erst Anfang 2017 umgesetzt. SOLID führte im Hinblick auf die Veranstaltung „Partnerschaft mit Baupraxis“ ein exklusives Interview mit Daniel Deutschmann, Partner der Heid und Partner Rechtsanwälte GmbH, Baumeister und Verfasser der derzeit in Österreich bei den ersten Pilotprojekten eingesetzten partnerschaftlichen Bauverträgen.

SOLID: Wie kam es zur Umsetzung des ersten Allianzvertrags im deutschsprachigen Raum?

Deutschmann: Für den Bau des Gemeinschaftskraftwerks Inn, das größte Flusskraftwerksprojekt Österreichs, das nach seiner Fertigstellung jährlich über 400 Millionen kWh Strom aus Wasserkraft erzeugen soll, muss ein 22 km langer Triebwasserstollen errichtet werden. 2014 wurde für dieses Vorhaben zunächst ein klassischer Bauvertrag mit einem Auftragnehmer abgeschlossen. Da sich die geologischen Verhältnisse jedoch als schwieriger als erwartet herausstellten, drohten die Kosten und die Bauzeit zu explodieren. In der Folge wurde der Bauvertrag aufgelöst und eine alternative Lösung gesucht.

Und hier kam der erste Allianzvertrag zum Einsatz?

Deutschmann: Richtig. Dieses Vertragsmodell erfreut sich international zB in Australien und Neuseeland schon seit Jahren großer Beliebtheit, weil es einen partnerschaftlichen Ansatz verfolgt. Vereinfacht gesagt, versuchen Allianzverträge die Interessen der verschiedenen Projektbeteiligten auf ein gemeinsames Ziel, die bestmögliche Realisierung eines Bauprojekts, auszurichten.

Was sind die konkreten Vorteile dieses Vertragsmodells?

Deutschmann: Im Gegensatz zum hierzulande üblichen Claim Management bei klassischen, zB nach der ÖNORM B 2110 abgewickelten Bauverträgen, wird bei Allianzverträgen die Zufriedenheit einer Partei nicht auf Kosten der anderen erreicht. Zur Umsetzung des partnerschaftlichen Ansatzes ist es notwendig, vertragliche Regelungen vorzusehen, wonach beide Seiten monetär profitieren, wenn sie zusammenarbeiten und das Projekt bestmöglich abwickeln. Dafür wird im Allianzvertrag ein dreistufiges Vergütungsmodell festgelegt: In Stufe 1 werden dem Auftragnehmer alle direkten Kosten vergütet, die mit der Bauausführung zusammenhängen. Stufe 2 umfasst sämtliche Geschäftsgemeinkosten und den Gewinn und wird in der Regel in Form einer Pauschale vergütet. Stufe 3 ist als Bonus/Malus-System ausgestaltet. Aus der Differenz zwischen den im Vorhinein vereinbarten Zielkosten und den tatsächlichen Endkosten ergibt sich ein Bonus, an welchem auch der Auftragnehmer prozentuell profitiert, oder ein Malus, welcher in der Regel mit der Vergütung aus Stufe 2 begrenzt ist. Dadurch bekommt der Auftragnehmer somit immer seine tatsächlichen Kosten erstattet.

Das Ziel ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten?

Deutschmann: Das kann man so sagen! Ein weiteres zentrales Element von Allianzverträgen, welches in diesem Zusammenhang erwähnt werden sollte, ist das „risk-sharing“: zusätzlich zu den Risikobereichen von Auftragnehmern und Auftraggebern wird eine gemeinsame Risikoebene eingeführt. Durch diese gemeinsame Risikoübernahme steigt das Bestreben, auch gemeinsame Lösungen zu finden.

Was können Sie uns zum Erfolg des Projekts erzählen?

Deutschmann: Ich glaube, hier sprechen Taten besser als Worte: Der Auftraggeber des Projekts hat sich aufgrund der positiven Erfahrungen dazu entschlossen, ein weiteres Großprojekt mittels Allianzvertrag umzusetzen.

Gibt es weitere vergleichbare Projekte im deutschsprachigen Raum?

Deutschmann: 2019 wurde beim Kraftwerk Wiesberg der erste Allianzvertrag „light“ – ein Modell für kleinere Infrastrukturprojekte – abgeschlossen. Ein Allianzvertrag für Hochbauprojekte befindet sich gerade in der Ausschreibungsphase: Die FH Campus Wien, ein öffentlicher Auftraggeber gemäß BVergG 2018, möchte den Neubau des House of Science and Engineering partnerschaftlich umsetzen. Auch in Deutschland gibt es bereits Pilotprojekte, wie zB das Kongresshotel Hafencity Hamburg.

Was erwartet die Teilnehmer an der Veranstaltung „Partnerschaft mit Baupraxis“?

Deutschmann: Am ersten Tag der Veranstaltung berichten die Projektbeteiligten – Auftraggeber, Auftragnehmer, Planer und Vertragsverfasser – über ihre Erfahrungen mit Allianzverträgen. Neben diesem subjektiven Eindruck der Projektbeteiligten wird in der Veranstaltung anhand der Pilotprojekte aufgezeigt, wie partnerschaftliche Verträge ausgestaltet werden und wie ein Vergabeverfahren für öffentliche Auftraggeber in der Praxis umgesetzt wird. Am zweiten Tag der Veranstaltung werden unter der Leitung von Projektbeteiligten fünf Workshops mit dem Fokus auf die Umsetzung von Allianzverträgen in der Praxis stattfinden. Den Workshopteilnehmern wird in Kleingruppen das erforderliche Know-how für die praktische Umsetzung von Allianzverträgen vermittelt. Darüber hinaus werden in den Workshops weitere zentrale Elemente eines Allianzvertrags, wie zB Entscheidungsfindung im Allianzvorstand, Berechnung der Zielkosten und Umsetzung von Lean-Management sowie die rechtliche Umsetzung von Allianzverträgen behandelt.

Weitere Infos zur Veranstaltung Partnerschaft mit Baupraxis .(19.-20.11., Tech Gate Vienna): www.allianzvertrag.at