Bauverträge : Preissteigerungen am Bau durch Krieg und Pandemie - was rechtlich gilt

Das erwartet Sie hier:

  • Ob und wie sich der Ukrainekrieg baurechtlich von COVID 19 unterscheidet
  • Welche Rolle es spielt, ob ein Vertrag nach ABGB oder ÖNORM abgeschlossen ist
  • Wann ein Auftragnehmer Mehrkosten geltend machen und Beuzeitverlängerung fordern kann
  • Wo die Grenze des Machbaren liegt
  • Wie Sie mit dem Thema sinnvoll umgehen können

Preissteigerungen – auf ein Neues

Bereits seit dem Frühjahr 2021 halten steigende Preise und Lieferverzögerungen die Bauwirtschaft in Schach. Die Rohstoffpreise, wie etwa insbesondere die Preise für Holz, Stahl oder Dämmstoffe, sind volatil; Tendenz bis zuletzt: stark steigend. Die (mittelbaren) Auswirkungen der COVID-19-Pandemie kann und muss von Auftragnehmern mittlerweile zumindest insoweit berücksichtigt werden, als man mit volatilen Märkten und möglichen, die Lieferketten beschränkenden Maßnahmen (Einreisebeschränkungen, Lockdowns etc.) rechnen muss.

Tipp: hier zum Artikel "Lieferprobleme oder Preissteigerungen: rechtlich wichtiger Unterschied!"

Der seit Ende Februar 2022 wütende Krieg in der Ukraine hat die Situation am Rohstoffmarkt allerdings nochmals verschärft und wirft (erneut) die Frage auf, wie mit den daraus resultierenden Preisentwicklungen bei vor und seither abgeschlossenen Bauwerkverträgen umzugehen ist.

In diesem Beitrag beleuchten wir die Frage, ob und inwieweit sich im Gegensatz zur COVID-19-Pandemie etwas geändert hat und geben einen Ausblick, wie möglicherweise mit den neuen Gegebenheiten umgegangen werden kann.

Wolfgang Müller
Partner Mag. Wolfgang Müller leitet die Praxisgruppe Immobilien- und Baurecht von Wolf Theiss sowie das Baurechtsteam der Kanzlei. Er ist einer der Top-Bauanwälte Österreichs. - © Wolf Theiss

Pandemie vs Krieg: Was hat sich geändert?

Bereits im Zuge der volatilen Preisentwicklungen während bzw. in Folge der COVID-19-Pandemie war als wesentliche Vorfrage zu klären, ob einem Vertragsverhältnis die ÖNORM B 2110/2118 zugrunde liegt oder nicht, da sich daraus grundsätzlich eine vom Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) abweichende Risikoverteilung zwischen Auftraggeber (AG) und Auftragnehmer (AN) ergibt:

Im ABGB-Vertrag sind Ereignisse aus der "neutralen Sphäre", sohin von keinem der Vertragspartner beeinflussbare Umstände, (als solches war die COVID-19-Pandemie und ist auch der Ukraine-Krieg einzustufen) der AN-Risikosphäre zuzuordnen.

Demgegenüber kommt es im ÖNORM-Vertrag darauf an, ob ein Ereignis im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unvorhersehbar und vom AN nicht in zumutbarer Weise abwendbar ist. Werden diese beiden Voraussetzungen – wie im Fall der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie des Ukraine-Kriegs – erfüllt, werden die Folgen eines solchen Ereignisses der AG-Risikosphäre zugeordnet.

Die Frage, was sich hinsichtlich der Zuordnung der Ereignisse "Pandemie" und "Krieg" zur Risikosphäre der Vertragspartner geändert hat, ist sohin einfach beantwortet: Nichts. Auch die oft diskutierte Frage, ob denn ein Krieg, der mehrere hundert Kilometer entfernt wütet, in Österreich ein Ereignis "höherer Gewalt" darstellt – wie von vielen Auftragnehmern in deren "Anmeldungsschreiben dem Grunde nach" angeführt – ist unseres Erachtens für potentielle Ansprüche des AN auf Mehrkosten und Bauzeitverlängerung unbeachtlich. Jedenfalls handelt es sich um ein "unvorhersehbares und unabwendbares" Ereignis aus der "neutralen Sphäre". Wie oben ausgeführt ist die generelle Sphärenzuordnung der daraus resultierenden Risiken sowohl im ABGB-Vertrag als auch im ÖNORM-Vertrag klar.

Einzig für die Frage, ob der Ukraine-Krieg im ABGB-Vertrag als außergewöhnliches Ereignis (höherer Gewalt) zu einem temporären beidseitigen Ruhen der Vertragspflichten führt, ist die Abgrenzung relevant. Konkret kann das bedeuten, dass der AN Lieferverzögerungen, die durch ein außergewöhnliches Ereignis höherer Gewalt ausgelöst wurden, nicht in Verzug gerät und damit auch allfällige Vertragsstrafen nicht fällig werden, andererseits den AG jedoch auch keine (zusätzliche) Entgeltzahlungspflicht für den Stillstand und die damit verbundene Bauzeitverlängerung trifft.

Philipp Szelinger
Mag. Philipp Szelinger ist Rechtsanwalt im Team Construction bei Wolf Theiss. - © roland unger
Für neu abgeschlossene Verträge bietet sich ein Mischpreis an, bei dem der Lohn-Anteil als Festpreis, der Sonstiges-Anteil als veränderlicher Preis festgelegt wird
Tipp unserer Rechtsexperten

Wann hat ein Auftragnehmer Anspruch auf Mehrkosten und Bauzeitverlängerung?

Nach unserer Ansicht beantwortet die Frage der Risikozuordnung jedoch noch nicht automatisch auch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein AN Anspruch auf Mehrkosten und Bauzeitverlängerung hat:

Soweit die COVID-19-Pandemie oder der Ukraine-Krieg Lieferverzögerungen oder -einschränkungen bedingten, ist die Rechtsfolge unseres Erachtens klar: im ABGB-Vertrag kann der AN aus diesem Umstand in der Regel keine Ansprüche auf Anpassung des Entgelts und/oder der Leistungsfrist erfolgreich geltend machen; im ÖNORM-Vertrag hingegen ist der AN berechtigt, daraus Vertragsanpassungsansprüche hinsichtlich Entgelt und Leistungsfrist zu begründen.

Bei sogenannten "reinen Preissteigerungen" – die, zumindest nach unserer Wahrnehmung, in den meisten Fällen das Problem darstellen – ist die Situation nach unserer Rechtsansicht eine andere: Reine Preissteigerungen betreffen nämlich grundsätzlich nur die Gestehungskosten des AN und liegen damit grundsätzlich in seinem Dispositions- und Kalkulationsrisiko. Reine Preissteigerungen stellen sohin auch nach dem Wortlaut der ÖNORM keine "Ereignisse" dar, sondern können nur eine Folge der COVID-19-Pandemie oder des Ukraine-Kriegs sein. Eine direkte Subsumierung unter den Begriff des unvorhersehbaren, unabwendbaren Ereignisses ist unseres Erachtens daher nicht möglich. Darüber hinaus betreffen "reine Preissteigerungen", solange das Material grundsätzlich – wenn auch zu einem höheren Preis – beschaffbar ist, nicht die Leistungserbringung des AN, wodurch es sich um keine Leistungsstörung im Sinne der oben genannten ÖNORM-Regelung handelt.

Lukas Macha
Lukas Macha, LL.M. ist Rechtsanwaltsanwärter im Team Construction & Real Estate bei Wolf Theiss Rechtsanwälte. - © Wolf Theiss

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Doch selbst wenn man davon ausgehen würde, dass das Dispositions- und Kalkulationsrisiko bei derartigen Ereignissen nicht länger (nur) beim AN liegen würde, so müsste das Ereignis höherer Gewalt konkret ursächlich für eine konkrete Preissteigerung sein, um diese als reine Folge eines Ereignisses aus der AG-Sphäre (beim ÖNORM-Vertrag) subsumieren zu können. Dieser Kausalitätsnachweis wird bei reinen Preissteigerungen in der Praxis nur schwer zu erbringen sein, da häufig (auch) andere Ursachen für eine konkrete Preisveränderung als etwa die COVID-19-Pandemie oder der Ukraine-Krieg in Betracht kommen können. Insbesondere bei Verträgen, welche im letzten Jahr abgeschlossen wurden, waren die teils volatilen Marktpreise auch schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs bekannt. Dies ist ein nicht zu vernachlässigendes Indiz dafür, dass die Preissteigerungen zumindest auch auf andere Ursachen zurückzuführen sind.

Reine Preissteigerungen und die Frage der Unwirtschaftlichkeit

Es stellt sich – ausgehend von den Ausführungen zuvor – sohin natürlich die Frage, ob der AN in einem ABGB-Vertrag (und unseres Erachtens in der Regel auch im ÖNORM-Vertrag) tatsächlich auch exorbitante Preissteigerungen alleine tragen muss. Die Frage zielt darauf ab, ob es eine Grenze gibt, ab welcher die Hinnahme sämtlicher reinen Preissteigerungen durch den AN als nicht mehr zumutbar erachtet wird.

Die Rechtsprechung zieht dann eine solche Schranke ein, wenn die Leistung für den AN unmöglich – konkret: wirtschaftlich unmöglich – wird. Bei der wirtschaftlichen Unmöglichkeit wird auch von einer sogenannten "Unwirtschaftlichkeit" gesprochen. Damit werden Fälle behandelt, welche bezogen auf die Leistung an sich zwar möglich sind, für den AN aber unerschwinglich und damit unzumutbar wurden. Die Folgefrage dieser Rechtsfolge ist jedoch, ab wann von einer "Unwirtschaftlichkeit" oder wirtschaftlichen Unmöglichkeit auszugehen ist.

Hierzu ist festzuhalten, dass es weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung eine klare Grenze gibt, da die Beurteilung stets auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Kein Kriterium darf allerdings die subjektive Leistungsfähigkeit eines Unternehmens sein. Das bedeutet, dass eine Leistung für ein kleines, unter Umständen finanzschwaches Unternehmen nicht unter anderen Gesichtspunkten "unerschwinglich" sein kann als für einen finanzstarken Konzern; maßgeblich sind also stets objektive Kriterien. Verbal beschrieben heißt das, dass die Kosten in keinem Verhältnis zum Entgelt stehen dürfen und sohin ein grobes Missverhältnis zwischen Wert der Leistung und der Gegenleistung entsteht. Als Richtwert kann hier angegeben werden, dass die Aufzehrung des kalkulierten Gewinns noch nicht ausreicht, um eine "Unwirtschaftlichkeit" zu rechtfertigen. Bleibt der AN jedoch mit der weiteren Leistungserbringung nicht einmal mehr kostendeckend, sondern generiert (herbe) Verluste, wird eher von einer wirtschaftlichen Unmöglichkeit auszugehen sein.

Wie kann den Preissteigerungen sinnvoll begegnet werden?

Wie bereits während der COVID-19-Pandemie hat sich die Österreichische Bautechnik Vereinigung (ÖBV) mit den aktuellen Preissteigerungen befasst. Das Ergebnis war, dass der ÖBV-Leitfaden (ursprünglich im Rahmen der COVID-19-Pandemie erarbeitet) abermals verlängert und explizit auf die Folgen des Ukraine-Kriegs ausgeweitet wurde. Die Empfehlungen, auf welche sich prominente AG- und AN-Vertreter schon im Zuge der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie geeinigt hatten, blieben dabei auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs unverändert.

Das bedeutet, dass weiterhin grundsätzlich die Vereinbarung von veränderlichen Preisen, gekoppelt an möglichst leistungsbezogene und spezifische Indices, empfohlen wird. Speziell bei der Vereinbarung veränderlicher Preise wird eine Preisanpassung bei einer Schwelle von 8% Indexveränderung empfohlen. Die maßgebliche Begründung für die Empfehlung einer einvernehmlichen Preisanpassung stellt die Ansicht dar, dass keine Partei durch eine Preisveränderung in nicht zumutbarem Ausmaß benachteiligt werden soll.

Bei bestehenden Festpreisvereinbarungen empfiehlt die ÖBV keine konkrete Schwelle, ab welcher eine Preisanpassung stattfinden sollte. Maßgeblich ist auch hier die Frage, ob eine der Parteien durch eine Preisentwicklung in nicht zumutbarem Ausmaß benachteiligt wird. Dies stellt aber regelmäßig eine Frage des Einzelfalls dar, da diesbezüglich sowohl der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, die Dauer der Festpreisbindung sowie auch der kalkulierte Festpreiszuschlag relevant sind.

Aktuell werden Festpreise – sofern sie überhaupt angeboten werden – nachvollziehbarerweise mit beachtlichen Zuschlägen versehen, da die weitere Preisentwicklung kaum abgeschätzt werden kann. Für neu abgeschlossene Verträge stellt sich also die Frage, wie eine Preisvereinbarung aussehen kann, ohne dass sich eine der beiden Parteien erheblich benachteiligt sieht. Ein Lösungsvorschlag für bestimmte Vertragskonstellationen wäre unseres Erachtens, hinsichtlich des Lohn-Anteils einer Leistungsposition einen Festpreis zu vereinbaren, da betreffend die Löhne nicht von einer ähnlich volatilen Preisentwicklung wie bei den Materialpreisen auszugehen ist. Hinsichtlich des Sonstiges- bzw. Material-Anteils bieten sich unseres Erachtens veränderliche Preise an. Dem veränderlichen Anteil sollte entweder ein möglichst treffsicherer Index zugrunde gelegt werden, oder aber (etwa, weil ein solcher nicht vorhanden ist) eine Schwelle zur Preisanpassung, gekoppelt an die tatsächlichen Materialpreisveränderungen, festgesetzt werden.

Eine mögliche faire und transparente Lösung für bestehende Festpreis-Verträge – oder Verträge mit veränderlichen Preisen, bei denen nicht adäquate Indices zur Anwendung gelangen sollen – könnte sein, dass einvernehmlich eine "ad hoc-Open-Book-Vergütung" vereinbart wird. Dabei weist der AN seine gestiegenen Materialkosten durch Vorlage konkreter Rechnungen nach, um auf dieser Basis die Preise einvernehmlich anzupassen. Eine solche Preisanpassung kann schließlich mit oder ohne Anpassung auch der Zuschläge für indirekte Kosten und Gewinn festgelegt werden.

Fazit und Praxistipps
Reine Preissteigerungen betreffen grundsätzlich das Dispositions- und Kalkulationsrisiko des AN.
Im ABGB-Vertrag sind Ereignisse aus der "neutralen Sphäre" ein Risiko des AN; im ÖNORM-Vertrag liegen unvorhersehbare und unabwendbare Ereignisse in der AG-Risikosphäre.
Reine Preissteigerungen betreffen nicht unmittelbar die Leistung des AN und stellen kein Ereignis dar, sondern können allenfalls eine Folge (auch) eines bestimmten Ereignisses sein. Lieferschwierigkeiten können eine Leistungsstörung begründen.
Auch im ABGB-Vertrag gerät der AN bei Lieferschwierigkeiten aufgrund des Ukraine-Kriegs nicht in Verzug und Vertragsstrafen fallen nicht an; der AN kann aber auch keine Mehrkostenansprüche daraus geltend machen
Wirtschaftliche Unmöglichkeit kommt solange nicht in Betracht, als der AN seine Leistungen zumindest kostendeckend erbringen kann
Für neu abgeschlossene Verträge bietet sich ein Mischpreis an, bei dem der Lohn-Anteil als Festpreis, der Sonstiges-Anteil als veränderlicher Preis festgelegt wird.