SOLID 06/2016 - Österreich : Überraschungen bei den Stadionprojekten von Rapid & Austria
Das Stadthallenbad in Wien? Ein Desaster mit Potenzial für harte gerichtliche Auseinandersetzungen rund um den Generalplaner. Die Multiversum-Sporthalle in Schwechat? Ein Finanzdebakel mit technischer Limitierung des Innenraums. Die geplante Übersiedlung der Sportuniversität in die Seestadt Aspern? Ein Pingpong-Spiel mit heißer Kartoffel. Die Reihe ließe sich relativ mühelos fortsetzen. Und das Ernst-Happel-Stadion im Wiener Prater? Hat auch schon bessere Zeiten gesehen als Endspielort für die EURO 2008 und als Austragungsort großer Finale im europäischen Klubfußball. Am besten wegreißen und neu bauen, sagen die meisten - das Problem ist nur: ein Teil der Fassade ist denkmalgeschützt, was auch nicht so leicht zu erklären ist.
Generell sind Österreichs Sommersport-Vorzeigesportstätten in einem Zustand, in dem es einfach nicht möglich ist, sowie früher jede Menge internationaler Großveranstaltungen und damit Umsatz und Umwegrentabilität via Tourismus und Infrastrukturverbesserung ins Land zu holen. Immerhin dient das ehrwürdige Praterstadion seit zwei und noch für weitere zwei Jahre als Heimstätte für die beiden Wiener Traditionsvereine Rapid und Austria. Und damit sind wie beim erfreulichen Kapitel des Themas Sportstättenbau in Österreich. Beide Projekte - jenes von Rapid wird Ende Juni von der Strabag fertig übergeben, das der Austria wird in diesen Tagen vergeben - sind ehrgeizig, gut durchdacht und haben das Zeug, positive Furore zu machen. Und bei beiden Projekten stießen wir bei unseren Recherchen auf Umstände, die ein gewisses Hochziehen der Augenbrauen hervor riefen. Nein, nicht der Umstand, dass ein Strabag-Vorstand der Bruder des Rapid-Präsidenten ist, dass der Projektleiter erst 39 Jahre zählt oder dass bei der Austria der zuständige Vorstand mit gerade einmal 45 die Ära Stronach unbeschadet überstanden und trotzdem den Mut zu einem solchen Großumbauprojekt hat.
Überraschend sind folgende zwei Umstände: die Austria wird ihr S.T.A.R.-Projekt (für Stadion, Trainingsplätze, Akademie und Regionales Nachwuchszentrum) nicht an einen General- oder Totalunternehmer vergeben, und für die Strabag ist das Allianz Stadion das erste Stadion überhaupt, das der Riese baut. Doch zunächst zum kleineren Klub mit dem Projekt, das in diesen Tagen Gestalt bekommt. Austria-AG-Vorstand Markus Kraetschmer bestätigt: "Wir haben uns entschlossen, die Teilgewerke Stahlbau, Elektro, Aufzüge und wahrscheinlich auch HKLS als Einzelgewerke zu vergeben. Der Rest ist klassische Baufirma." Und er fügt auf unsere erstaunte Nachfrage, ob man sich dafür wirklich stark und erfahren genug fühlt, an: "Ja, wir sind sehr gut aufgestellt, haben eine Planungskoordinator und ja in den letzten Jahren schon über 28 Millionen Euro in diverse Bereiche vergeben."
Das 48 Millionen-Euro-Projekt ist ein Umbau (und nicht Neubau wie bei Rapid) plus Tiefgarage, der aber auch eingebettet ist in eine komplette Entwicklung mit dem Verteilerkreis Favoriten und U-Bahn-Anbindung und auf der anderen Seite der Viola-Park mit Wohnen, Schule, neuen Zufahrtswegen etc. Kraetschmer: "Es wird ein neues, modernes, zukunftssicheres freundliches Stadion mit UEFA-4-Sterne-Status und einem Fassungsvermögen von 17.500 im nationalen und 15.000 im internationalen Betrieb. Und mir ist ganz wichtig, vo allem in den neuen Bereichen "ready for" zu sein. Wir haben ja doch eine Immobilie für die nächsten 25 bis 30 Jahre, bei der man die technologische Entwicklung im voraus nicht im Detail kennt. Aber wir sollten ready sein, wenn etwa in fünf Jahren eine zusätzliche Verkabelung oder ähnliches nötig ist, dass wir dann nicht von vorne anfangen müssen. Stolz sind wir außerdem darauf, dass wir das einzige Stadion Zentraleuropas sind, das alle 200 Nachhaltigkeitskriterien der Global Reporting Initiative GRI erfüllt." Zehn Kilometer weiter nordwestlich baut der im selben Jahr wie das alte, weggerissene Hanappi-Stadion (nämlich 1977) geborene Roman Hornischer mit dem Allianz Stadion gerade nicht nur sein erstes, sondern das erste Fußballstadion der Strabag überhaupt. Hornischer zu Solid: "Ein Stadion dieser Größe ist natürlich auch für uns kein alltägliches Geschäft. Auf der anderen Seite ist es ja ein Haus wie jedes andere auch. Natürlich hat es Eigenheiten, aber wenn ich betrachte, was ich genau zu bauen habe und was dann hier steht, dann habe ich: einen Bürobau, einen Funktionalbau, einen Veranstaltungsbau und Tribünen. Und wenn ich das so aufsplitte, dann können wir das alles." Das einzige Problem, sagt er, wäre die Zeit gewesen. Denn nach ewigen Diskussionen über Varianten von Umbau an alter bis zu Neubau an anderer Stelle musste es dann plötzlich sehr rasch gehen, wie sich Hornischer erinnert und trotzdem als Rapid-Fan von Kindesbeinen an ins Schwärmen gerät: "Es ist schon unvorstellbar toll, wenn man dann das Stadion selber bauen darf, in dem man seine Lieblingsmannschaft anfeuert. Das ist unglaublich, ein Lotto-Jackpot - aber Euromillionen!" Dabei hatte er bei den ersten Ordnern mit der Ausschreibung von seinem Chef auf dem Tisch eher an eine Zusatzaufgabe mit leeren Kilometern gedacht- "Aber erst als ich die ersten Entwürfe von ARC (dem Architektenbüro aus Zwickau) gesehen habe, hat es Klick gemacht und ich dachte das erste Mal: Mit diesem Entwurf könnten wir gute Chancen haben!" Am Ende aber musste man in zwei Jahren die Arbeit von drei machen, und das sorgte für genug Probleme sowohl zwischenmenschlich-nervlicher als auch finanzieller Natur. Denn wenn sichder Grundauftrag nicht ändert und man bei Hindernissen mit Blick auf den Kalender nicht lange überlegen und abwägen kann, wird es teuer für die Baufirma.
Ganz allein waren die Strabagund Rapid beim Projekt allerdings nicht, denn Rapid brachte mit dem Institut für Sportstättenberatung IFS aus Deutschland einen kompetenten Partner mit an Bord. „In Österreich gibt es noch viel zu tun“, ist Claus Binz, Gründer und Geschäftsführer des Instituts mit Sitz in Euskirchen überzeugt.
Anders in deutschen Gefilden, wo der Sportwissenschafter und Philosoph mit Diplom in Jus langsam aber doch eine Sättigung des Marktes für Sportstättenbau in den nächsten Jahren kommen sieht. Fußball sei aber ohnehin eine der wenigen Sportarten, bei der die Kosten im Regelfall hereingespielt werden können. Damit ein Verein die dafür nötigen hohen Zuseherzahlen für sich verbucht, muss er einiges bieten.
„Eine moderne Haupttribüne kann die Zuseherzahlen enorm steigern“, erklärt Binz. Man baue Stadien nicht mehr nur als monofunktionale Stätten, sie können dank mehrerer Ebenen gleichzeitig als Tagungs- und Veranstaltungszentrum dienen. Binz führt ein mittelgroßes Stadion in Deutschland an, in dem 350 zusätzliche Veranstaltungen im Jahr stattfinden und das somit fast täglich, manchmal sogar mehrmals am Tag, „bespielt“ wird.
Jedenfalls ist das Allianz Stadion sicher ein gutes Referenzprojekt, denn das IFS dürfte demnächst weitere Aufträge in Österreich ankündigen. Tätig ist das Institut daneben in Osteuropa, im arabischen Raum und in Israel. Die Auftragsbücher seien voll, denn „wir heben uns in diesem Segment als Komplettanbieter ab“, so Binz, „wir bieten Lösungen an, die nicht nur das Bauvorhaben an sich umfassen.
Angefangen von der Machbarkeitsstudie, dem Entwickeln einer betrieblichen Nutzungslösung, über die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen für einen kombinierten Planungs- und Bauwettbewerb, die Steuerung des Verhandlungs- und Vergabeverfahrens bis hin zur Finanzierungslösung und der Umsetzung in Form von Bauleitung, Projektmanagement und letztlich sogar auch die Beteiligung am Betreiben und an der Vermarktung der Veranstaltungsstätte kann man bei IFS alles aus einer Hand bekommen. Zu den Referenzprojekten der IFS GmbH gehören demnach u.a. die Coface Arena in Mainz, die Red Bull Arena in Leipzig, das Ostseestadion Rostock, der ISS Dome in Düsseldorf, die Volkswagenhalle in Braunschweig, die IPIC Arena in Abu Dhabi, der Barra Olympic Park, die King Abdullah Sports City in Jeddah und daneben noch zahlreiche Schul- und Vereinssporthallen.
Das Allianz Stadion in Zahlen*) KennwerteGrundstücksfläche 42.000 m2Bebaute Fläche 9.000 m2Befestigte Fläche 20.000 m2Überbaute Fläche 15.000 m2Bruttogeschoßfläche 38.000 m2Bruttorauminhalt 320.000 m3Netto Raumflächen 35.500 m2Spielfeld 7.140 m2Kuntraseneinfassung 890 m2 RohbauBetonstopfsäulen 1.500 StkOrtbeton 15.000 m3Bewehrung vor Ort 1.300 tFertigteile 10.800 StkBew. Fertigteile 1.800 t Dach & FassadeStahlkonstruktion Dach 1.300 tDachfläche u. Fassade (Makrolon) 19.000 m2Fassade Röhre 3.000 m2Fassade Rapid Wappen 300 m2 BestuhlungGesamt Sitzplätze 24.000Kapazität mit Stehplätzen 28.000 Tribüne & RäumeTribünenreihen (N/O/S) 35Tribünenneigung 32°Fanshop 330 m2Museum 165 m2 Technische Gebäudeausrüstung HKLSEinrichtungsgegenstände Sanitär 985Fußbodenheizungsrohre 7.500Heizungsrohre 1.700Kanal aussen 5.000 mSanitärrohre 4.000 m Technische Gebäudeausrüstung ElektroScreens 240Kabellängen isolierte Leitungen 100.000 mKabellängen Schwachstromleitungen 215.000 mEnergieleitungen 11.000 mUmlaufender Kollektor 480 mBeleuchtungskörper 2.500Sicherheitskameras 60Kabeltrassen 7.000 m InnenausbauTrockenbauwände7.300 m2Abgehängte Decken 14.000 m2Aussentüren 180Innentüren 370 PersonenArbeiter auf der Baustelle/Tag/Spitze 250Subunternehmer 57Konsulenten/Planer/Fachplaner 17 *) es handelt sich jeweils um ca.-Zahlen, Stand März 2016