Der SOLID-Kommentar 07/2014 : Heimat bist du großer Töne

Thomas Pöll Poell Chefredaktion Solid
© Pöll, Bechyna

Erstmals erschienen in SOLID 07/2014

Dienstag morgen, ich bin mit der Bahn unterwegs nach Wien. Rechts liegt die Westeinfahrt, der Verkehr fließt.

Zwei Wochen zuvor an der selben Stelle noch Riesenaufregung: der "Kurier" postet das Bild des vorwurfsvoll dreinblickenden Volksanwalts Peter Fichtenbauer. "Die Staufalle West ist ein Skandal", sagt Fichtenbauer, denn: beim Lokalaugenschein der Zeitung war auf der Baustelle kein Arbeiter zu finden und auch keine Baumaschine, dafür nur eine Spur befahrbar.

"Die Baufirma hat sich nicht an den Bescheid gehalten und nur eine Spur offen gehalten", sagt das Büro der Vizebürgermeisterin. Die Baufirma (es ist die PORR, könnte aber auch jede andere mit ähnlichen Kapazitäten sein) reagiert verhalten: "Wir weisen darauf hin, dass wir in ständigem Kontakt mit den zuständigen Magistraten der Stadt Wien sind" und bringt es auf SOLID-Nachfrage auf den Punkt: "Niemand will im Berufsverkehr Verzögerungen, aber gleichzeitig ist uns allen eine perfekte und sichere Straße wichtig." Jedes Jahr dasselbe - und das Problem ist wohl in der Praxis schwer bis gar nicht lösbar: wir alle wollen keine Rumpelpisten, mehr Spuren, neue Häuser und Wohnungen, bessere Spitäler. Aber das soll bitteschön am besten klinisch sauber gehen, alles nahtlos ineinander greifen und am besten nichts kosten. - Ach, man müsste die Arbeiter zahlen, wenn sie die Spuren für zwei, drei Stunden öffnen und wieder schließen? Blöd. Oder geht es eigentlich um etwas anderes? Ich vermute ja, dass "wir" uns einfach gern aufregen. Bestes Nicht-Bau-Beispiel ebenfalls aus jüngster Vergangenheit: die Bundeshymne. Da sang bekanntlich Volksrocker Andreas Gabalier vor dem F1-GP in Spielberg eine (musikalisch alles andere als gelungene) Version der Bundeshymne mit dem "alten Text". Darauf bieten sich unterschiedliche Reaktionen an. "Gar keine" scheidet einmal aus - und das ist ja okay. Immerhin ist so ein Formel-1-Comeback-Rennen kein mikroklimatischer Kindergeburtstag. Man stellt Herrn Gabalier also zur Rede und der ist ja marketingmäßig auch kein Dummerl und riecht einen Publicity-Boost: "Ich hab das so in der Schule gelernt und dann sing ich es auch so", sagt er, und: "Diese Hymnenänderung hat das Parlament beschlossen, das Volk ist nicht gefragt worden.

Auch darüber könnte man diskutieren und ob es wirklich so sinnvoll wäre, immer das Volk zu befragen (dann wäre z.B. die Todesstrafe möglicherweise noch nicht abgeschafft). Und man könnte sagen: Lieber Herr Gabalier, das war trotzdem irgendwie nicht okay und bei solchen Anlässen laden wir dich nicht mehr ein. Fertig.

Doch was passiert? Es gibt offene Briefe an Gabalier, ob ihm das vielleicht nicht aufgefallen wäre, dass es einen neuen Text gibt und warum er willkürlich Gesetzesbeschlüsse umgehen würde. Und Ministerin Heinisch-Hossek postet ein Foto mit dem rot herausgehobenen neuen Text als "Lernhilfe". Und dann geht es los auf facebook und Co. und überall, wirklich hässlich, mit Hass da und Hass dort. Und das - so meine ich - alles, weil wir die Aufregung suchen, weil das Leben offenbar fad ist oder wir doch von der jahrelange schwelenden Krise so ausgelaugt, dass wir ziemlich schnell stichel- und hinhaubereit sind, dass wir nicht den Dialog suchen, sondern die Bloßstellung der anderen, die nicht so hüpfen, wie wir es verlangen. Hier schließt sich der Kreis zu den Baustellen.

Ich gehe ja davon aus, dass Gabalier "seine" Hymne bei Konzerten in Zukunft als Zugabe singen wird. Und ich hoffe aber, dass sich die Baufirmen und die Auftraggeber ein bisschen besser zusammenreden und die Bevölkerung informieren werden. Und einen persönlichen Wunsch hab ich auch noch an einen Beteiligten der "Staufalle West": Wenn ihr schon ganz Wien mit Parkpickerlpflicht überzieht, dann baut dort draußen wenigstens ein Parkhaus, das um 9 Uhr früh nicht überfüllt ist. Denn immer geht es auch nicht mit dem Zug. Und manche Menschen wohnen gar nicht so nahe am Bahnhof wie ich.