Library & Learning Center : Die Blamage beim Prestigeprojekt

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Die Baupläne von Zaha Hadid gelten nicht umsonst als Schrecken vieler Bauherren und Alptraum aller Statiker.

Stararchitektentum um jeden Preis scheint immer im Vordergrund zu stehen - die Funktion eines Gebäudes, seine Umgebung und nicht zuletzt die Interaktion mit seinen Nutzern dagegen weniger.

Dafür haben die Baufirmen vor Ort meist ihre Ruhe - Besuche der Architektin auf der Baustelle sind selten.

Offenbar war das auch beim aufsehenerregenden Neubau der Bibliothek auf dem Campus der Wirtschaftsuniversität Wien der Fall. Wie Eingeweihte während der Bauzeit gegenüber SOLID berichtet haben, ließ sich Frau Hadid so gut wie nie auf der Baustelle des Hauses blicken. Eine Unversitätsbibliothek übrigens, die den neudeutschen Titel "Library & Learning Center" tragen muss.

Vielleicht wäre es aber besser gewesen, Hadids Ideen etwas häufiger in Bezug zur Realität zu setzen. Zwar haben heimische Bauingenieure und Betriebe die Entwürfe für das schräge Haus als ein bauliches Glanzstück umgesetzt - den ausführlichen Bericht von SOLID zu diesem Projekt finden Sie hier.

Doch offenbar lief nicht alles perfekt. Im Herbst 2013 feierte die Wirtschaftsuniversität die Eröffnung ihres neuen Standortes - im Juli 2014 stürzte zum ersten Mal eine Betonplatte von der optisch markanten Fassade nach unten. Da sich der Vorfall zeitig in der Früh ereignet hatte, wurde damals niemand verletzt. Die zuständige Firma wurde mit einer Überprüfung beauftragt - alles in Ordnung, lautete damals die Antwort.

Zweiter Absturz im Jänner 2015

Im Jänner 2015, während der Semesterferien, löste sich erneut eine Betonplatte vom Bibliotheksgebäude. Das 80 Kilogramm schwere Element krachte zu Boden, wie eine Sprecherin der WU bestätigt. Der Bereich wurde großflächig abgesperrt.

Auch diesmal wurde niemand verletzt, weil sich in dieser Zeit kaum Menschen auf dem Areal aufgehalten haben. Die Bibliothek war bis auf Weiteres nur über den Seiteneingang des "Library Cafe" betretbar.

Weltweites Echo

Diesmal fand der Vorfall ein Echo in der ganzen Welt - wohl vor allem aufgrund der Prominenz der Architektin. Architektur- und Bauredaktionen berichteten international.

Auf dem Portal Archdaily.com, einem der weltweit reichweitenstärksten Internetportale für Architekturnachrichten, war die Nachricht unter den am häufigsten gelesenen Meldungen der ganzen Woche.

Zweite Seite: Jetzt liegt das Gutachten zum zweiten Absturz vor >>

Nach dem erneuten Absturz sollte ein unabhängiger Gutachter den entstandenen Sachschaden an der rechten Längsseite des Gebäudes unter die Lupe nehmen. Auch das verantwortliche Fassadenbauunternehmen wurde nochmals mit einer Überprüfung der gesamten Front beauftragt.

Montagefehler während der Wartungsarbeiten

Diese Woche schließlich legte der Gutachter Bernhard Hartenthaler die Ergebnisse seiner Untersuchung vor. Wie die WU mitteilt, handelte es sich "augenscheinlich um einen Montagefehler der ausführenden Firma". Dem von der Uni beauftragten externen Gutachter zufolge dürfte der Fehler im Zuge von Wartungsarbeiten passiert sein.

"Als erste Maßnahme ist die Fassadenfirma im Rahmen der Gewährleistung umgehend verpflichtet, den Schaden zu beheben", wurde in der Aussendung betont. Diese Arbeiten würden von Hartenthaler begleitet und "akkurat kontrolliert".

Gutachter soll jetzt komplette Fassade prüfen

Darüber hinaus wurde der Gutachter beauftragt, die komplette Fassade des markanten Gebäudes unter die Lupe zu nehmen. Darunter fallen sowohl die Konstruktion als auch die Ausführung und somit die Anbringung der Fassadenplatten. Erste Ergebnisse erwartet die WU Mitte Februar. Auf deren Basis will man dann über weitere bauliche Maßnahmen entscheiden.

Während der gesamten Dauer dieser Überprüfung bleibt das Areal rund um das LC großräumig gesperrt. Zusätzlich sollen Absicherungen bei allen Eingängen angebracht werden, um diese wieder benutzbar zu machen.

Dass Zaha Hadid diesmal auf dem Areal vorbeischaut, ist eher unwahrscheinlich. (pm mit APA)