Projekte unter der Lupe : Das Hamerling - Topprojekt oder Worthülse?
Nein, die Grünen sind gar nicht glücklich mit dem Hamerling. „Bei der bevorstehenden Umgestaltung des kartographischen Institutes am Hamerlingplatz geht es offensichtlich nur noch um wirtschaftliche Interessen", kommentiert der stellvertretende Bezirksvorstehende der Josefstadt Alexander Spritzendorfer den Spatenstich zum Bau der Seniorenresidenz am Hamerlingplatz. „So wird wertvolles öffentliches Gut durch die Hintertüre privatisiert und zu einer ertragreichen Vermögensanlage, wie die Betreiber in Aussicht stellen."
Das nach dem Landesgericht größte Gebäude im Bezirk werde für die meisten Bewohner der Josefstadt unzugänglich bleiben. "Wir haben uns immer für eine Einrichtung eingesetzt, von der auch der Bezirk profitiert", sagt Spritzendorfer. "Daher gibt es auch die Auflage, zumindest 50 % der Fläche sozialen Zwecken zu widmen. Der Bezirk braucht keine weitere hermetisch abgeriegelte Institution, sondern eine offene Einrichtung, die belebt! Mit den Ankündigungen eines privaten Gartens, hauseigener Tiefgarage, exklusiven Dachwohnungen im Eigentum und exklusivem Concierge-Service, der alle Wünsche ... bis zum Auffüllen des Kühlschrankes übernimmt, ist zu befürchten, dass mit Luxuspreisen ausschließlich Anlegerinteressen befriedigt werden."
Stimmt nicht, sagen die Betreiber. „Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Seniorenresidenz nicht als exklusive Einrichtung für Superreiche konzipiert ist: Ein Pflegeplatz im Hamerling kostet gleich viel wie in anderen, nicht geförderteren Seniorenheimen und entspricht den Ist-Kosten aller Senioren- und Pflegewohnhäuser." Exklusivität beziehe sich in diesem Zusammenhang darauf, dass ein vergleichbares Angebot nirgendwo sonst in Österreich zu finden sei, denn die Ausstattung der Appartements in der Seniorenresidenz sei genauso hochwertig wie im gesamten Gebäudekomplex. Weiters würde absolute Barrierefreiheit gewährleistet - innerhalb des Hauses wie vor allem auch, was den Zugang von außen betrifft.
Unbestritten ist jedenfalls die Dimension des Bauprojekts mit einer Nutzfläche von ca. 20.000 m2. „Das Investitionsvolumen beträgt 70 Mio. Euro", sagt Hans-Peter Weiss, Geschäftsführer der BIG Entwicklungs- und Verwertungs GmbH. Von niemand bezweifelt wird auch, dass das Gebäude seit 2007 leerstand. Eine Umnutzung in ein Wohngebäude macht daher zum jetzigen Zeitpunkt objektiv tatsächlich Sinn - besonders, weil das Wohnangebot breit angelegt werden soll.
„Auf Wohnflächen zwischen 70 und 170 m2 mit einer Raumhöhe von 3,70 m2 finden Singles und Familien alle Annehmlichkeiten, die sie brauchen, bis hin zum Blick über die Dächer Wiens", sagt Weiss. „Gleichzeitig wird dem älteren Publikum in der luxuriös ausgerichteten Wohnanlage entlang der Skodagasse jeder Komfort für ihre Unabhängigkeit geboten. Und alle profitieren gleichermaßen von den Serviceleistungen und höchsten Sicherheitsstandards der gesamten Anlage."
Dass Interaktionen mit der vor allem älteren Bevölkerung aus dem Bezirk erwünscht sind, zeige sich auch daran, dass ein Tageszentrum vorgesehen ist, in dem alte Menschen - tageweise und ganz nach Bedarf - individuell betreut werden. Dort sollen für 50 Euro pro Tag sämtliche Services der Seniorenresidenz zur Verfügung stehen.
Gemeinsam mit der BIG E&V haben die Soravia Group und die Schweizer MHH Development AG die Nutzung der Immobilie, die bis 2014 saniert werden soll, erarbeitet. Das Schweizer Architekturbüro Marazzi + Paul soll die historisch wertvolle Bausubstanz mit moderner Ästhetik und innovativer Technik in Einklang bringen. „Wir haben die Betreiberfirma aufgefordert, Einrichtungen zu integrieren, von denen auch der Bezirk profitiert, wie etwa ein Kulturzentrum oder einen Indoor-Spielplatz", kritisiert der Grüne Spritzendorfer. „Die Vorgabe einer mindestens 50%igen Nutzung für soziale Zwecke in einem zugänglichen Haus, das sich dem Bezirk öffnet, darf nicht ausgehöhlt und entsorgt werden! Es kann nicht nur darum gehen, was die Josefstadt dem exklusiven Hamerling bieten kann, das Hamerling muss auch der Josefstadt etwas bringen."
Das wird auch so sein, beteuern die Betreiber. Hinsichtlich der Schaffung von Mehrwerten für die anwohnende Bevölkerung sei festzuhalten, dass „diese Überlegungen bereits im vorliegenden Gebäudekonzept in großem Umfang berücksichtigt sind". Darüber hinaus habe sich die BIG E&V mehr als ein Jahr um eine Förderung des Fonds Soziales Wien bemüht. Für ein soziales, förderungswürdiges Projekt sah der FSW jedoch "keinen Bedarf". (Der abschlägige Bescheid liegt der SOLID-Redaktion vor.)
Jetzt sind also die kapitalistisch Orientierten am Zuge. „Immobilien zählen derzeit aufgrund der Wirtschaftslage zu den begehrtesten Wertanlagen", sagt Erwin Soravia, Vorstand der Soravia Group. „Die Lage dieser Liegenschaft in einem der sichersten und aufstrebendsten Immobilienmärkte in ganz Europa ist geradezu ideal."
Aus Investorensicht sprechen seiner Meinung nach optimale Lage und hochwertige Ausstattung für eine langfristige und ertragreiche Vermögensanlage. Mit den 70 Mio. Euro werde es möglich sein, den bestehenden Altbau nicht nur hochwertig zu sanieren, sondern gleichzeitig hohe Nachhaltigkeitsstandards umzusetzen. So soll das Wärmedämmsystem des Gebäudes dem Standard eines Niedrigenergiehauses entsprechen.
Was zusätzlich für das Hamerling spricht, sei die zentrale Lage am Park bei guter Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel. „Das schafft die optimalen Rahmenbedingungen für hohe Lebensqualität", hofft mit dem Präsidenten des Verwaltungsrates der MHH, Bruno Marazzi, ein weiterer Partner der Betreiber-Gruppe. Die Schweizer MHH Development AG ist auf die Entwicklung hochwertiger privater Seniorenresidenzen spezialisiert. Marazzi bestätigt, dass sich viele Senioren einen Alterswohnsitz wünschen, der die Annehmlichkeiten einer eigenen Wohnung mit den Dienstleistungen eines Hotels verbindet: „Dadurch bleiben die Menschen lange unabhängig."
Nicht nur die Grünen bleiben skeptisch. „Ich bin nicht gegen die Seniorenresidenz, aber es soll ein Mehrwert für alle Josefstädter entstehen", sagt SP-Bezirksrat Raphael Sternfeld. Noch schärfer äußert sich der ehemalige Bezirksvorsteher und Hotelier Heribert Rahdjian, der bei der letzten Bezirksvertretungswahl auf Anhieb rund 12 % der Stimmen und damit fünf Mandate erreicht hatte, was das wienweit beste Ergebnis einer reinen Bezirkspartei war: „Das Ergebnis jahrelanger Bemühungen für ein leistbares, soziales Projekt ist enttäuschend. Die Josefstädter Bevölkerung wird mit Worthülsen wie Seniorenresidenz und Generationenzentrum getäuscht." Nur ein Umdenken der Stadt könne seiner Meinung nach noch ein leistbares Wohnprojekt für Senioren ermöglichen.
Hamerling - Daten und Fakten
Investitionsvolumen: 70 Mio. Euro
Kosten Seniorenresidenz: ca. 2.900 Euro pro Monat
Kaufpreis der Apartments: ab 4.000 Euro pro m2 (je nach Lage und Ausstattung)
Tageszentrum für Senioren: 50 Euro pro Tag