SOLID 12/2014 - 01/2015 : Am Mittelpunkt der Welt - Bauen in den Vereinigten Arabischen Emiraten
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I.THIS PLACE IS UNDER CONSTRUCTION.Und zwar all areas. Wenn man sich ein paar Tage in den Vereinigten Arabischen Emiraten bewegt, gibt es neben dem sommerlichen Wetter zwei Grundkonstanten: Baustellen und Superlative. Thomas Berr, der Präsident des Österreichischen Stahlbauverbands (dieser hatte die Studienreise zum 60. Geburtstag des Verbands initiiert), meinte danach: „Hat sich schon jemand Gedanken gemacht, ob es eine Korrelation zwischen dem Baukranindex Baukräne pro Fläche und Wirtschaftswachstum gibt?“
Vermutlich so ernsthaft noch niemand. Was man aber sagen kann, ist, dass das Wirtschaftswachstum in den VAE seit Jahren so um die fünf Prozent beträgt, wobei sich die Kurven nominell und real nicht immer im Gleichschritt bewegen. Den Superlativen ist das wurscht. In Dubai allein stehen etwas das höchste Gebäude, das größte Aquarium, die modernste Skihalle und das einzige Siebensternehotel der Welt und auch der Flughafen von Dubai ist auf dem Weg zur planetaren Nummer 1.Tatsache ist: Hier fließt richtig Geld und hier wird richtig gebaut und produziert. Und österreichische Firmen sind mittendrin – mit ihren Erfahrungen, Erfolgen, Sorgen und Nöten.II.FORMEL 1 UND DIE MONA LISAJeder Formel-1-Fan kennt so ein paar besondere Ansichten im Jahr. Den Tunnel von Monte Carlo beispielsweise, die Hügel von Spielberg, die Eau Rouge in Spa oder die steilen Geraden von São Paulo. Und eben das Monte Carlo des 21. Jahrhunderts: die Durchfahrt unter dem geschwungenen Glasnetz des Yas-Marina- Hotels in Abu Dhabi. Was nicht einmal jeder in der Baubranche weiß: Das Netz stammt von Waagner-Biro. Die renommierte österreichische Stahlbaufirma hat sich in den letzten Jahren immer wieder mit spektakulären internationalen Projekten einen Namen gemacht und dabei auch – siehe Reichstag in Berlin, diesem Pflaster für beinahe oder vollends ruinöse Bauprojekte – genügend Lehrgeld gezahlt.Während im Viceroy alles so aussieht, als würde es sich ständig selber putzen (was vermutlich nicht ganz so sein wird), gibt es ein anderer gar nicht weit entfernter Waagner-Biro-Schauplatz bedeutend staubiger. Auf der aus dem Wasser gestampften Insel Saadyat entsteht neben drei anderen Museen der Louvre-Ableger von Abu Dhabi. Die Mona Lisa wird zwar (so schwören es die Pariser Verantwortlichen) in Frankreich bleiben, dennoch werden sich für den Bau des Stararchitekten Jean Nouvel genügend Meisterwerke der bildenden Kunst finden.Waagner-Biro sorgt hier mit einer Kuppel in der Größe des Wiener Karlsplatzes über dem gesamten Louvre-Komplex für Abschattung, einen interessanten Lichteffekt und optischen Zusammenhalt.Eröffnet wird der Louvre Abu Dhabi am 2. Dezember 2015, dem erst 44. Nationalfeiertag der Vereinigten Arabischen Emirate. Entsprechend stolz sind die Araber auf ihren Staat und dessen Erfolge. Wobei: wenn wir über Araber sprechen, sprechen wir über den verbleibenden Teil der knapp acht Millionen Einwohner der VAE, wenn man 3,5 Millionen Inder, 2,5 Millionen Pakistani und ein bisschen Rest der Welt abzieht.Genau während unserer Anwesenheit in den VAE fand ein entscheidender Mo-ment beim Bau der Kuppel statt: Da diese im Endeffekt auf nur vier Hauptträgern ruht, braucht es eine Hilfskonstruktion darunter – und von dieser wurde die Dome-Konstruktion im aktuellen, schon stabilen Stadium hydraulisch ein paar Zentimeter hochgehoben, damit man die Unterkonstruktion abbauen kann. Superlative gefällig? Der Dome wird am Ende 5.000 Tonnen wiegen. Die Unterkonstruktion wiegt 4.000.Was danach mit der Unterkonstruktion geschieht? Waagner-Biro-Vorstand Johann Sischka: „Für die suchen wir gerade einen Käufer, daraus kann man ja woanders ein paar Hallen bauen.“ Stahl hat da seine Vorteile – Stichwort Recycelbarkeit.III.PARTNER, STEINE IM WEG UND FREIHANDELSZONENEine simple und an einem Strich mühelos gezogene Erfolgsgeschichte ist das mittlerweile über 15-jährige Engagement von Waagner-Biro in den Emiraten allerdings deshalb noch lange nicht. Denn jeder und jede Firma, die sich in den VAE niederlassen will, zahlt dort zwar keine Steuern (die gibt es überhaupt nicht), braucht aber einen sogenannten Sponsor: einen ortsansässigen Partner, dem mindestens 51 Prozent der Niederlassung gehören. Diese Sponsoren geben im Idealfall Anschubfinanzierung, helfen mit Kontakten und bringen selber auch Aufträge.Oder sie schneiden mit, sind eher lästig und halten wichtige Gesprächstermine nicht ein. Waagner-Biro dürfte eher einen von der zweiten Sorte erwischt haben und überlegt eine Änderung der Geschäftsstrategie, denn ein Wechsel des Partners ist gesetzlich nur sehr schwer möglich.Keinen Partner braucht man in einer der auch nicht gerade wenigen Freihandelszonen in den Emiraten – dafür gibt es dort andere Auflagen und der Einstieg ist teurer und komplizierter. Diesen Weg hat der Oberwarter Stahlbauer Unger genommen, der im Emirat Sharjah seine zweite Fabrik (neben der Zentrale im Burgenland) errichtet hat.Unger verarbeitet dort (in unmittelbarer Nähe großer und alteingesessener Konkurrenten wie Eversendai) seit 2007 (also knapp vor dem Crash) eine ähnliche Menge Stahl wie in Oberwart und genießt dabei zwei Vorteile.Da ist einmal der, den die gesamte Region hat und warum man sie gut und gern als den Mittelpunkt der heutigen Welt bezeichnen darf: Zwei Drittel der Weltbevölkerung sind von den Emiraten aus innerhalb von maximal acht Flugstunden erreichbar. Das erklärt auch, warum speziell Dubai entgegen der intuitiven Annahme zu fast 90 Prozent von Handel und Tourismus lebt (Abu Dhabi allerdings zu 90 Prozent von Öleinnahmen).Damit ist auch der Einkauf von Rohstahl um einiges leichter und grundsätzlich günstiger – wenn einem nicht wie gerade jetzt mit der Ukraine einer der wichtigsten Lieferanten abhanden kommt, wie Walter Glaser, der Unger-Chef vor Ort, erklärt. Glaser kam übrigens via Waagner-Biro zu Unger, ein geschickter Schachzug, wie auch die Einstellung des CFO Larry Burke aus Irland, ebenfalls eines erfahrenen Emirate-Hasen.Der zweite Vorteil sind natürlich die geringeren Lohnkosten – wobei man sich auch das nicht besser vorstellen darf als es ist. „Wenn man die Produktivität mitrechnet“, sagt Glaser, „sind wir vielleicht zehn bis 20 Prozent unter den österreichischen Kosten.“Arbeiter in den mit den österreichischen Firmen assoziierten Betrieben verdienen in den VAE um die drei Euro pro Stunde aufwärts, je nach Qualifikation und Aufgabe. Das klingt nach verheerend wenig, relativiert sich allerdings ebenfalls, da ihnen das Geld auch netto-netto bleibt. Sprich: Sie wohnen in von den Firmen gebauten oder angemieteten Quartieren, werden verpflegt, transportiert, bekommen Kleidung und einmal im Jahr Flugtickets nach Hause. Romantisch ist das noch immer nicht, aber man kann davon ausgehen, dass manchem Arbeiter hierzulande weniger bleibt – und da muss er noch gar nicht bei der Barauszahlung um einen Teil seines Lohns geprellt worden sein.IV. ÖL, KOHLE, ALLAH UND DER WEIHNACHTSBAUMVor 50 Jahren war dort, wo sich jetzt die Superlative stapeln, noch wenig außer perlentauchenden Beduinen. Und dann fand man das Öl. Seither sprudeln die Quellen, und zwar sowohl im wirklichen als auch im übertragenen Sinn. Auch Schwarzgeld ist ein unter der Hand viel diskutiertes Thema, ebenso wie die Tatsache, dass der Hafen von Dubai laut Insidern der weltweit größte (no na) Umschlagplatz für gefälschte hochpreisige Pseudo-Markenware aus dem Fernen Osten ist.Die Scheichs lassen sich ihren Dank an Allah auch einiges kosten. So betrugen die Errichtungskosten für die riesige 2006 eröffnete Sheik-Zayed-Moschee in Abu Dhabi eine Milliarde Euro, die der Scheich allein aufbrachte. Ein Zwanzigstel Hypo-Alpe-Adria bietet dort im Ernstfall 41.000 Menschen Platz und ist ein nicht nur für den kulturell und religiös Interessierten ein beeindruckendes Bauwerk.Seit dem 3. Dezember, einen Tag nach dem Nationalfeiertag, sieht man in den Einkaufsmalls von Dubai übrigens Christbäume und es hängen auch ein paar Sterne in den Straßen. In Saudi-Arabien oder Qatar wär das anders, hier versteht man sich polyglott und tolerant. Der Mittelpunkt der Welt eben.V.HOCH UND?Für eineinhalb Moscheen bekommt man dann das derzeit höchste Gebäude der Welt, den Burj Khalifa in Dubai. Die Freiluft- Aussichtsplattform ist auf 455 Meter, von dort sieht man beim kerzengeraden Raufschauen in der Ferne das weiße Spitzerl auf 828 Metern Seehöhe. Auch hier hatten österreichische Firmen bei Teilen die Hand im Spiel, und der Main Contractor der Louvre-Abu-Dhabi-Baustelle, John Mills, war schon hier in der Bauleitung an wichtiger Stelle tätig.In stillen Momenten fragt man sich bei all der Begeisterung, wie sich das alles ausgeht. Dann surft man ein bisschen im Internet und findet beim Burj Khalifa eine Notiz, dass im Jahr 2011 825 der 900 Wohnungen aufgrund zu hoher Mietpreise leer standen. Der Mittelpunkt der Welt eben – und ein Paradies fürs Bauen.
(SOLID 12/2014 - 01/2015)