SOLID 02/2021 : Bauforschung: Sechs Geschosse oder Hochhaus

„Wir werden mit weniger mehr machen müssen“, sagt die Architektin Stefanie Weidner am Telefon, als wir mit ihr über ihre Doktorarbeit „Grundlagen für die Planung von ressourcenminimalen urbanen Strukturen“ sprechen. Aufmerksam geworden darauf sind wir durch einen Hinweis aus dem Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart, das eng mit der Person des Leichtbaupapstes Werner Sobek verknüpft ist. „Das ergibt sich einfach aus dem zu erwartenden massiven Bevölkerungszuwachs in den nächsten dreißig Jahren.“ All diese Menschen haben den Bedarf nach und das Recht auf Wohnraum. Dazu kommen noch die mit den jeweiligen nationalen Bruttoinlandsprodukten wachsenden Ansprüche der Bevölkerung in den aufstrebenden und den Entwicklungsländern.

In China etwa lag der Wohnraum pro Person 1990 bei vier bis fünf Quadratmetern, mittlerweile ist er fast schon bei vierzig. „Und das wird in Zukunft so weitergehen“

Es gäbe zwar Bewegungen, die sich für ein Zurückschrauben der weltweiten Ansprüche stark machen, aber, so Weidner: „Das Wachstum ist so in unserer Lebensart und in unseren Politiken verankert, dass jede Minderung der Ansprüche auch negative wirtschaftliche Konsequenzen haben würde und mit demokratischen Staaten nicht zu vereinbaren wäre. Insofern denke ich nicht, dass da ein Weg drumrum führt.“ Die Schonung der Umwelt müsse also (wie es ja auch Werner Sobek mit seinen zahlreichen Leichtbauideen forciert) auf dem Weg des cleveren Nutzens der Ressourcen erreicht werden.

Stefanie Weidner ist die Autorin der Doktorarbeit „Grundlagen für die Planung von ressourcenminimalen urbanen Strukturen“

- © Ole Lepthin

Weidners Arbeit beschäftigt sich damit, dieses eher allgemeine Diktum durch Forschungsarbeit auf die Erde zu bringen und operationalisierbar zu machen. Denn was zunächst als provokante Frage an einen seiner Schützlinge gedacht war, entwickelte sich, schreibt sie, zum wohl berühmtesten Zitat von Richard Buckminster Fuller, der bereits in den 1960er Jahren fragte: „How much does your building weigh?“

In den der Frage vorangegangenen Nachkriegsjahren hatte der Leichtbau bzw. das leichte Bauen eine Notwendigkeit dargestellt, die für den Bausektor von essenzieller Bedeutung bei der Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen gewesen war. Mit Einzug des Wohlstands war dann der Ressourcen- und Rohstoffverbrauch global und vor allem in den Industrienationen deutlich angestiegen und erreicht in der Gegenwart durch einen gleichzeitigen immensen Anstieg der Weltbevölkerung jährlich neue Höchstpunkte, vor allem im urbanen Bereich.

„Ausgehend vom Jahr 2019 werden bis 2050 weltweit 2,46 Mrd. zusätzliche Menschen in den Städten leben. Für diese Fülle von neuen Stadtbewohnern müssen dort mit den vorhandenen, begrenzten Rohstoffen und Ressourcen Lebensräume geschaffen werden.“ Der Fokus von Weidners Arbeit liegt in der Erforschung von Grundlagen zur Planung von ressourcenminimalen urbanen Strukturen zu Wohnzwecken. Ihre Forschungsfragen lauteten:

Welche Parameter sind für eine ressourcenspezifische Betrachtung urbaner Strukturen relevant?

Wie verändert sich in Abhängigkeit von der Bebauungsstruktur der Ressourcen- und Flächenverbrauch von Verkehrsanlagen und Gebäuden, bei einheitlicher baulicher Dichte? Und schließlich:

Wie verändern sich diese Ergebnisse bei veränderter baulicher Dichte?

Dazu wurden die Parameter Ressourcenverbrauch Gebäude, Ressourcenverbrauch Verkehrsanlagen, Flächenverbrauch, Bebaute Dichte, Gebäudetypologie und Bebauungsstruktur als relevant in Hinblick auf eine ressourcenbezogene Betrachtung identifiziert und auf einem 1 km2 großen Betrachtungsfeld in Bezug zueinander gesetzt. Dafür wurden dann drei urbane Dichten von 400, 4.000 und 20.000 Einwohnern pro Quadratkilometer durch fünf unterschiedliche Bebauungsweisen gebildet. Diese bestehen aus einer sortenreinen Bebauung durch Einfamilienhäuser, 4-geschossige Mehrfamilienhäuser, 6-geschossige Mehrfamilienhäuser, 20-geschossige Hochhäuser und 40-geschossige Hochhäuser. Eine Untersuchung von 15 daraus entstehenden Szenarien liefert zum einen Kenntnisse über die zu berücksichtigenden Variablen und deren Auswirkungen und gibt zum anderen Aufschluss darüber, welche Bebauungsstrukturen und Gebäudetypologien unter den hier gewählten Rahmenbedingungen am ressourcenschonendsten sind.

Ziel Weidners war es, Grundlagen und -kenntnisse dafür zu schaffen, dass Städteplaner und Architekten in die Lage versetzt werden, die ressourcenspezifischen Auswirkungen unterschiedlich gewählter Bebauungsstrukturen und städtebaulicher Dichten zu begreifen. Stefanie Weidner: „Man muss sagen, dass bis dato sehr spärlich dokumentiert wird, wie viel Materialien für die Errichtung eines Gebäudes tatsächlich verbaut werden. Damit könnte man bei öffentlichen Gebäuden zum Beispiel sehr schnell anfangen und das genauso veröffentlichen wie die Kosten.“

Mit der zunehmenden Durchsetzung von Building Information Modeling und digitalen Zwillingen sollte dieses Thema im Lauf der Zeit fast automatisch lösbar sein, zumindest was die Nettomassen betrifft. Wie viel Energie man dann jeweils zuordnet, ist dann allerdings nochmals eine eigene Geschichte. Weidner dazu: „Man könnte ja dann sogar noch in der Planung Wiederholungsschleifen einbauen, um das zu optimieren.“ Aber das sei eine politische Entscheidung. „Es braucht auf jeden Fall das Bewusstsein der Bürger, damit wir begreifen, wie groß eigentlich der Hebelarm der Bauindustrie ist. Erst dann werden auch die politischen Forderungen kommen, wenn das aus der Masse hochgepusht wird.“

Als Ergebnis von Weidners Arbeit zeigte sich, dass - spannenderweise unabhängig von der urbanen Dichte! - eine Bebauung durch sechsgeschossige Mehrfamilienhäuser in jedem Fall die ressourcenschonendste Bebauungsart darstellt. Weidners Erklärung: „Obwohl Hochhäuser durch ihren vergleichsweise geringen Grund- und Verkehrsflächenbedarf die Ressource Boden am wenigsten beanspruchen, fallen sie aufgrund ihrer schlechten Nutzungsflächeneffizienz und durch den erhöhten Materialverbrauch hinter die Mehrfamilienhausbebauung zurück.“ Eine wichtige Rolle spielt darüber hinaus der Gebäudegrundriss und die optimierte Nutzung von Bruttogeschoßflächen. Weidner: „Das Ergebnis war fast zu erwarten, aber mir ging es um wissenschaftliche Beweise. Und da hat sich gezeigt, dass diese sechsgeschossigen Häuser ein gutes Verhältnis zwischen Gebäudegrundriss und Bruttogeschossfläche haben. Und sie bleiben relativ leicht, weil die Tragkonstruktionen pro Quadratmeter da noch relativ leicht sind.“

Was würde daran der Einsatz noch leichterer Baustoffe ändern, fragen wir? Könnte man dann noch höher bauen und effizient bleiben? „Durchaus. Aber wenn wir generell leichtere Baustoffe verwenden, verschiebt sich die ganze Rechnung einfach und das Ergebnis ist wieder das Gleiche.“ Was in ihrer vorliegenden Arbeit allerdings aufgrund der noch geringen Marktdurchdringung noch keinen Eingang gefunden habe, sei Holz. „Das könnte das Ergebnis noch einmal ein bisschen durcheinanderbringen.“ Bei einer bestimmten Betrachtungsweise sei überdies das Hochhaus klarer Sieger. „Wenn die bebaubare Fläche die entscheidende Variable ist, ist das Hochhaus einfach unschlagbar und fast ohne realistische Alternative. Daher sollten wir hier an neuen und leichteren Varianten weiterforschen.“

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