Vergaberecht : Ist das Ganze die Summe seiner Teile?

Vergaberecht Verhandlung 2 Personen

Die SOLID-Rechtsexperten gehen in diesem Bericht der Frage nach, ob eine "Stückelung" von Referenzen im Vergabeverfahren zulässig ist.

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Allgemein: Referenzen als Eignungsnachweis

Gemäß § 85 Bundesvergabegesetz können öffentliche Auftraggeber als Nachweis für die technische Leistungsfähigkeit eines Bieters geeignete Referenzprojekte – in einem definierten Zeitraum (idR nicht länger als fünf Jahre bei Bauaufträgen) – verlangen. Dabei haben die teilnehmenden Unternehmen – kurz gesagt – zu belegen, dass sie ausreichende (Projekt-)Erfahrung aufweisen, um die konkret ausgeschriebene Leistung erbringen zu können. Durch die Referenzen soll die Erfahrung in Hinblick auf die konkrete Leistung bzw vergleichbare Leistungen (nach Art, Menge, Umfang und Komplexität) belegt werden.

Welche Anforderungen die nachzuweisenden Referenzprojekte dabei genau erfüllen müssen (z. B. Leistungsgegenstand, Auftragswert usw), hat der Auftraggeber für alle Bieter gleichermaßen gültig in den Ausschreibungsunterlagen (oder der Bekanntmachung) anzugeben. Dazu wird oft der Nachweis einer bestimmten Zahl von Referenzprojekten gefordert (zB ein Projekt im Hochbau mit einem gewissen Auftragswert, ein Referenzprojekt im laufenden Betrieb eines Objekts usw). Was aber gilt, wenn der Auftraggeber nur den Nachweis verschiedener "Kennzahlen" wie etwa einer bestimmten Laufmeteranzahl fordert, ohne explizit eine Anzahl von Referenzprojekten zu fordern? Mit dieser Frage hat sich das Verwaltungsgericht Wien kürzlich beschäftigt.

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Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien

Der entscheidungsgegenständliche Sachverhalt war der folgende: Die Auftraggeberin führte ein offenes Verfahren zur Vergabe eines Bauauftrags (Neuherstellung eines Kanals) im Unterschwellenbereich durch. Im Rahmen der Bauausführung waren auch Minierungen mit bestimmten Querschnitten leistungsgegenständlich. Zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit forderte die Auftraggeberin aber nicht explizit die Vorlage bestimmter Referenzprojekte, sondern den "Nachweis erbrachter Referenzleistungen".
Dabei musste insbesondere ein "Auftragswert der vergleichbaren Referenzleistungen", Minierungsarbeiten mit bestimmtem Querschnitt und (je nach Querschnitt) mit einer bestimmten Anzahl an Laufmetern sowie eine bestimmte Zahl von "Kurzminierungen" nachgewiesen werden.

Die Auftraggeberin sah die genannten Anforderungen durch die Referenzen der Billigstbieterin erfüllt und nahm diese daher für die Zuschlagserteilung in Aussicht. Ein Mitbewerber (Antragstellerin) sah dies aber anders und erhob einen Nachprüfungsantrag gegen die Zuschlagsentscheidung. Nach Ansicht der Antragstellerin müssten die jeweils geforderten Werte (Auftragswert, Laufmeter der Minierung mit bestimmtem Querschnitt usw) jeweils durch ein einziges Referenzprojekt erfüllt sein, was bei der Billigstbieterin nicht der Fall sei; nur die Antragstellerin selbst verfüge über entsprechende Referenzen. Die Billigstbieterin und die Auftraggeberin hingegen erachteten ein "Aufaddieren" bzw eine "Stückelung" von Referenzen zur Erreichung der geforderten Werte als zulässig (die Erfüllung der Vorgabe Minierung mit 20 Laufmetern dürfe also zB durch das "Stückeln" von drei Referenzprojekten mit Minierungen von 7 lfm, 9 lfm und 5 lfm, in Summe also 21 lfm, nachgewiesen werden).

Was aber sagt das Verwaltungsgericht Wien dazu?

Das Verwaltungsgericht Wien hat sich der Sicht der Auftraggeberin und der Billigstbietern angeschlossen: In den bestandfesten Ausschreibungsunterlagen sei nirgends gefordert, dass die genannten Werte durch eine einzige Referenz nachzuweisen wären. Aufgrund der Formulierungen (zB Referenzleistungen in der Mehrzahl) sei der Nachweis auch durch "Stückelung" von Referenzen zulässig; insbesondere habe die Auftraggeberin auch keine Erbringung der Referenzleistungen "am Stück", "durchgehend" oder "in einem Referenzprojekt" gefordert. Die gegenteilige Sichtweise würde – wie auch die Auftraggeberin argumentierte – im Übrigen zu einer überschießenden Referenzanforderung führen, weil die Referenzanforderungen den tatsächlich auszuführenden Leistungen angemessen bzw vergleichbar sein müssen: Im gegenständlichen Fall wurde für den Referenznachweis eine Minierung mit einer Länge von 50 Laufmetern gefordert, obwohl im Projekt tatsächlich nur 28 Laufmeter Minierung auszuführen waren; eine Referenzanforderung, die beinahe doppelt so hoch wie die tatsächlich auszuführende Leistung ist, wäre vergaberechtlich unzulässig – auch das Gebot der gesetzeskonformen Interpretation spricht daher für die Zulässigkeit der "Stückelung" von Referenzen. Auch ansonsten sei die "Stückelung" von Referenzen nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien mit "Gegenstand und Zielen" der Ausschreibung vereinbar (hier bezieht sich das Verwaltungsgericht Wien auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache "Esaprojekt", der unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls eine Zusammenrechnung von Referenzen erlaubt hat).

Im konkreten Fall war es daher zulässig, die festgelegten Referenzanforderungen (Referenz-Kennwerte) durch "Stücklung" bzw Zusammenrechnung von mehreren verschiedenen Referenzprojekten zu erfüllen. Die Billigstbieterin wurde daher zu Recht für die Zuschlagserteilung in Aussicht genommen.

Zusammenfassung

Sofern der Auftraggeber die "Stückelung" oder Zusammenrechnung von Referenzleistungen in den Ausschreibungsunterlagen nicht verbietet (oder eine Zusammenrechnung mit Gegenstand und Ziel der Ausschreibung nicht vereinbar wäre), dürfen Bieter Referenzanforderungen auch durch Zusammenrechnung mehrerer Referenzprojekte/-leistungen nachweisen. Bieter sollten hier aber Vorsicht walten lassen und die Festlegungen der Ausschreibung kritisch prüfen: ob eine Stückelung von Referenzen zulässig ist, ergibt sich oft nur in Zusammenschau verschiedener Festlegungen zu den Referenzen (wenn zB eine Erbringung in einem "Referenzprojekt", eine Erbringung von Leistungen "in einem Bauvorhaben", "am Stück" oÄ gefordert wird, dann wird eine Stückelung in der Regel nicht zulässig sein).

Im Zweifelsfall kann natürlich eine Bieterfrage an den Auftraggeber gerichtet werden; die Beantwortung dieser Bieterfrage kann für den Bieter aber durchaus auch "nach hinten" losgehen (wenn der Auftraggeber auf die Nachfrage hin eine Stückelung explizit ausschließt oder aber der Mitbewerb aufgrund der Fragenbeantwortung selbst auf die Idee der "Stückelung" von Referenzen kommt und damit ebenfalls seine Eignung nachweisen kann). Der Teufel steckt also wie so oft im Detail (in der konkreten Festlegung im Einzelfall).

Tipps für die Vergabepraxis

* Sofern eine Zusammenrechnung von Referenzprojekten (zur Erfüllung der Referenzanforderungen) in den Ausschreibungsunterlagen nicht ausgeschlossen wurde, können Unternehmen die Erfüllung der Referenzanforderungen durch Zusammenrechnung bzw "Stückelung" mehrerer Referenzleistungen nachweisen.

* Bewerber/Bieter sollten bei einer Teilnahme am Vergabeverfahren die geforderten Kriterien an die technische Leistungsfähigkeit (Referenzen) aber sorgfältig prüfen – dabei sollten die Referenz-Anforderungen stets in Zusammenschau aller diesbezüglichen Festlegungen geprüft werden.

* Bei Unklarheiten kann jedenfalls eine Bieterfrage an den Auftraggeber gestellt werden, um das Risiko eines ausschreibungswidrigen Teilnahmeantrags/Angebots zu minimieren (auch wenn Nachfragen das Risiko abschlägiger Antworten bergen).