Baurecht : Selbstreinigung im Vergaberecht: die höhere Kunst

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Tipps beim Vergaberecht von den SOLID-Rechtsexperten

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Kooperationspflicht von Bietern

Neben der Verpflichtung zur Setzung von wirksamen (technischen, organisatorischen und personellen) Maßnahmen zur Verhinderung von weiteren Verfehlungen, trifft Bieter im Rahmen der Selbstreinigung eine Kooperations- und Schadensausgleichspflicht. Letztere Verpflichtungen sind regelmäßig von gegensätzlichen Interessenlagen gezeichnet: Auftraggeber streben danach, möglichst weitgehende Zusicherungen und Informationen von Bietern zu erlangen. Im Gegensatz dazu wollen oder können Bieter derart weitreichende Zusicherungen und Informationen oftmals nicht erteilen (beispielsweise, weil Sachverhalte noch nicht final aufgearbeitet sind und daher Informationen überhaupt noch nicht vorliegen, Informationen kartellrechtlich geschützt sind und noch gar nicht offengelegt werden dürfen oder Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen betroffen sind). Selbstverständlich ist dies immer abhängig vom jeweiligen Einzelfall und Art des Vergehens.

In Hinblick auf die Kooperationspflicht hat der Europäische Gerichtshof EuGH bereits ausgesprochen, dass Bieter bei der Ermittlung der Tatsachen und Umstände einer Straftat bzw. des Fehlverhaltens nicht nur mit den Ermittlungsbehörden, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber aktiv zusammenarbeiten müssen. Konkret hat der Bieter dabei den Nachweis zu erbringen, dass er die Tatsachen und Umstände des Fehlverhaltens umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit, mit der für entsprechende Sachverhalte zuständigen Ermittlungsbehörde bzw. dem Aufraggeber geklärt hat. Darüber hinaus kann der öffentliche Auftraggeber vom Bieter Nachweise und Tatsachenmaterial einfordern, das belegen kann, dass die Maßnahmen, auf die sich der Wirtschaftsteilnehmer beruft, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, unter denen die festgestellten Verstöße begangen wurden, tatsächlich geeignet sind, weiteres Verhalten der beanstandeten Art zu verhindern.

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Was ist „unbedingt erforderlich“?

Lt. EuGH beschränkt sich der Umfang der Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber dabei aber auf die für die Prüfung der Wiederherstellung der Zuverlässigkeit "unbedingt erforderlichen" Maßnahmen.

Bislang nicht beantwortet hat der EuGH die Frage, welche Informationen zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Unternehmens durch den öffentlichen Auftraggeber „unbedingt erforderlich“ sind und daher im Rahmen der Selbstreinigung vom Auftraggeber verlangt werden können und vom Bieter vorzulegen sind. Ebenfalls nicht beantwortet hat der EuGH die Frage, welches "Tatsachenmaterial" der Auftraggeber einfordern kann.

In Deutschland wurde das "Wettbewerbsregister" implementiert; dieses soll öffentlichen Auftraggebern Informationen für Vergabeverfahren zur Verfügung stellen, die den Auftraggebern eine Prüfung ermöglicht, ob ein Unternehmen wegen bestimmter Wirtschaftsdelikte von einem Vergabeverfahren auszuschließen ist. Dazu wurden vom deutschen Bundeskartellamt Leitlinien zur vorzeitigen Löschung einer Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung ("Leitlinien") und praktische Hinweise für einen Antrag auf vorzeitige Löschung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung ("Praktische Hinweise") veröffentlicht (Siehe https://www.bundeskartellamt.d...).

Nun gibt es in Österreich selbstverständlich kein Wettbewerbsregister und ist die Rechtslage auch nicht ident, dennoch können Parallelen zur Selbstreinigung in Österreich gezogen werden und finden sich hilfreiche Ansätze in den beiden deutschen Publikationen.

Viele Darlegungspflichten

In Hinblick auf die Schadensausgleichspflicht sehen die Leitlinien vor, dass ein Unternehmen bei dessen ernsthaften Zweifeln an Grund oder Höhe des Schadens ein begründetes Vorbringen erstatten muss, wonach es seiner Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Schadens und seiner etwaigen Ausgleichspflicht nachgekommen ist. Dabei muss das Unternehmen darlegen, welche Schäden durch das Fehlverhalten entstanden sind oder entstanden sein könnten. Dazu muss das Unternehmen Angaben über Geschädigte, die Art des Schadens und die Schadenshöhe machen. Dies setzt aber wiederum voraus, dass diese Angaben bekannt sind. Können diese Angaben nicht erstattet werden (Geschädigte sind nicht bekannt, Schadenshöhe im Einzelnen kann nicht beziffert werden oder das Unternehmen geht von aus, dass es keine Geschädigten gibt), ist dies zu begründen.

Im Fall von streitigen Forderungen sehen die Leitlinien vor, dass das Unternehmen den Sach- und Streitstand darlegt. Dabei hat das Unternehmen anzugeben, ob Geschädigte die Herausgabe von Informationen und Unterlagen begehrt haben, die das Unternehmen nicht gewährt hat. Weiters hat das Unternehmen darzulegen, wie es bislang an der Aufklärung des Schadens mitgewirkt hat und wie es zukünftig seiner Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Schadens und seiner etwaigen Ausgleichspflicht nachkommen wird.

Die praktischen Hinweise halten zur Schadensausgleichverpflichtung ua fest, dass die Fallgruppe der Kartellordnungswidrigkeiten dafür bekannt ist, dass die Aufklärung des tatsächlich entstandenen Schadens erhebliche Probleme bereitet und die für das Wettbewerbsregister zuständige Behörde jeweils diese

Mag. Ingrid Makarius

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Mag. Manfred Essletzbichler

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Was bedeutet „nicht umfassend“?

Die aktive Zusammenarbeit erfordert laut Leitlinien ein Verhalten, das in der Gesamtschau Ausdruck des Bemühens ist, die Sachverhaltsaufklärung voranzutreiben. Wie auch in Bezug auf den Schadensausgleich sehen die Leitlinien vor, dass sich der Umfang der seitens des Unternehmens vorzunehmenden Aufklärungsmaßnahmen nach den Umständen des Einzelfalls zu richten hat. Dabei müssen der Aufwand und die Prüfungsdichte in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Delikts und zur Komplexität des zugrunde liegenden Sachverhalts stehen.

Laut den "Praktischen Hinweisen" liegen Anhaltspunkte für eine nicht umfassende Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden beispielsweise dann vor, wenn Unterlagen auf Aufforderung nicht, nicht fristgerecht oder nicht vollständig herausgegeben wurden, Erklärungen nicht, nicht fristgerecht oder nicht vollständig abgegeben wurden, über die Herausgabe/Beschlagnahme von Beweismitteln Uneinigkeiten bestehen.

Das Vorliegen solcher Anhaltspunkte schließt aber laut den "Praktischen Hinweisen" die aktive Zusammenarbeit nicht per se aus – vielmehr muss im Einzelfall das Spannungsverhältnis zwischen der Wahrnehmung von Verfahrens- und Verteidigungsrechten und der Pflicht zur aktiven Zusammenarbeit in einer Gesamtschau bewertet werden.

Noch hervorzuheben ist weiters, dass die "Praktischen Hinweise" auch festhalten, dass die Selbstreinigung nicht im „Abhaken” eines möglichst breiten Katalogs von Maßnahmen besteht, sondern schlicht darzulegen ist, welche Maßnahmen konkret getroffen wurden und warum diese aus Sicht des Unternehmens angemessen und ausreichend sind, um weitere Verfehlungen zu verhindern.

Noch existiert in Österreich zu dem Thema der Kooperationsverpflichtung keine aufschlussreiche Judikatur. Die Entscheidungspraxis wird zeigen, in welchem Ausmaß und zu welchen Zeitpunkten Auftraggeber sensible Informationen (etwa zur Schadenshöhe) fordern dürfen bzw. Bieter diese liefern müssen.

Praxistipps

Für Bieter:

Möglichst proaktiv mit dem Auftraggeber zusammenarbeiten und bereits vorhandene Untersuchungsergebnisse (beispielsweise aus einer internen Untersuchung (gegebenenfalls mit erforderlichen Schwärzungen) zur Verfügung stellen. Dabei sollten Erklärungen fristgerecht und vollständig abgegeben werden sowie Unterlagen fristgerecht und vollständig eingereicht werden.

Eine Auskunft nur dort verweigern, wo es tatsächlich erforderlich ist und Informationen an den Auftraggeber nicht bereitgestellt werden können (zB wegen gesetzlichen Geheimnisschutzes oder aus faktischen Gründen, da Sachverhaltselemente überhaupt noch nicht bekannt, weil diese beispielsweise noch nicht untersucht sind). Eine Auskunftsverweigerung sollte genauestens geprüft und jeweils ausreichend begründet sein. Dabei sollte dargelegt werden, wie bisher kooperiert oder an der Aufklärung des Schadens mitgewirkt wurde und wie zukünftig der Kooperations- oder Schadenausgleichspflicht nachgekommen wird.

Selbstreinigungsmaßnahmen müssen immer in Bezug auf die konkrete Verfehlung getroffen werden. Sie müssen angemessen und ausreichend sein, um weitere Verfehlungen zu verhindern. Gegebenenfalls ist genauestens zu prüfen, weshalb allenfalls vorhandene Compliance-Mechanismen versagt haben.


Für Auftraggeber:

Hinterfragen, welche Informationen tatsächlich für eine Beurteilung der Zuverlässigkeit im Sinn der Prognoseentscheidung ausschlaggebend sind und welche Informationen für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Bieters nicht zwingend erforderlich sind.