Bauschäden : Zehn-Punkte-Plan für Sachverständige

Peter Spreitzer

SOLID-Gastautor Peter Spreitzer

- © zVg

Üblicherweise werden Sachverständige mit Gerichten und Streitfällen in Verbindung gebracht. Das technische Gutachten eines oder einer Sachverständigen soll für eine juristische Entscheidung als Grundlage dienen. Doch so wie bei den Juristen, die zu - scheinbar eindeutigen - Gesetzen unterschiedlicher Meinung sind, wird auf der technischen Ebene sehr oft versucht, Gutachten mit Gegengutachten zu bekämpfen. Und jeder Gutachter fühlt sich im Recht. Bei den Juristen werden Gesetze unterschiedlich interpretiert, bei den Technikern sind es eben die Normen.

Jeder Mensch der behauptet, dass die eine Sache, die eine Lösung die einzig richtige ist, hat dieses Thema vermutlich noch nicht von allen Seiten betrachtet. Was vom einen Standpunkt aus betrachtet richtig ist, ist vom anderen Standpunkt gesehen falsch. Vom Mond aus betrachtet spielt das zumeist alles keine Rolle. Aber wer war schon am Mond?

Wissen & Service

Lesen Sie hier unsere Expertenartikel über Bau-, Vergabe- und Steuerrecht & mehr

Die neue Rolle des Sachverständigen

Zurück zur Erde mit einem Beispiel: Bauherr A beauftragt Planer B. Dieser hat kaum Zeit fürs Planen, steht unter Kostendruck und erstellt die Planung und Ausschreibung, Baufirma C bekommt den Zuschlag und hat ebenso wenig Zeit fürs Bauen und Kostendruck.
Nun tritt ein Schaden auf. Baufirma C ist schuld - oder doch nicht? Planer B ist schuld - oder doch nicht? Oder Bauherr A - oder doch nicht? Es gibt drei durchargumentierte Gutachten und keine Einigung, eine Never Ending Story samt Gericht.

Neu gedacht bleiben bei diesem Beispiel der erste und der zweite Teil gleich. Beim Auftreten des Schadens allerdings einigen sich Bauherr A, Planer B und Baufirma C auf einen gemeinsamen Gutachter (Sachverständigen = SV) und einen 10-Punkte-Plan.

Der 10-Punkte-Plan

1. Sachverständiger macht eine Befundaufnahme
- Sichtet Unterlagen
- Führt Einzelgespräche mit jeder Partei
- Erfasst und beschreibt das Problem

2. Abstimmungstermin mit allen Parteien
- SV berichtet über die gewonnenen Erkenntnisse (unabhängig – er berichtet „vom Mond aus betrachtet“)
- Einwände werden gehört und nicht beurteilt
- SV schafft gemeinsames Verständnis
- Weitere Schritte werden festgelegt (z.B.: SV beauftragt und koordiniert etwaige fachspezifische Gutachter etc.)

3. Sachverständiger erstellt Rohfassung des Gutachtens

4. Abstimmungstermin mit allen Parteien
- SV berichtet über die gewonnenen Erkenntnisse und seine Conclusio (unabhängig
– er berichtet vom Mond aus betrachtet)
- Einwände werden gehört und nicht beurteilt
- Sachverständiger schafft gemeinsames Verständnis von allen Parteien

5. Einholen der grundsätzlichen OK’s

6. Fertigstellung und Übermittlung des Gutachtens

7. Überprüfung und interne Abstimmung innerhalb jeder Partei

8. Freigabeprozess mit juristischer Prüfung

9. Abschlussmeeting im analogen Setting

10. Juristische Einigung/Vereinbarung/Lösung

Das Beispiel in der Praxis

Fantasie? Nein. Denn zum gegenständlichen „Beispiel neu gedacht“ können wir bereits auf sehr gute selbst gemachte Erfahrungen als Sachverständiger/ Gutachter zurückgreifen. Das Einsparungspotenzial mit der beschriebenen Vorgehensweise ist enorm. Neben Kosten werden Zeit, Ärger und Frustration gespart. Die Rolle des Sachverständigen / Gutachters definiert sich allerdings völlig neu.

Folgende Eigenschaften sind damit verbunden:


- Fachlich kompetent
- Nicht allwissend (nicht besser wissend)
- Unabhängig
- Mediativ
- Verständnisvoll
- Ausgleichend
- Mutig
- Geduldig

Es wird in der Baubranche weiterhin einige Mängel und Schäden geben. Sie werden erst abnehmen, wenn sich die Branche in ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem wandelt. Nachhaltig im Sinne von sozial – ökologisch – ökonomisch. Solange wir die Art, in Projekten zu arbeiten, nicht verändern, ist der gegenständliche Weg zumindest eine Möglichkeit, ein bestmögliches Ende mit Schrecken zu bekommen – und das ist jedenfalls für alle besser als ein Schrecken ohne Ende.