SOLID 12/2021 : „IFC-Daten werden nicht das Ende sein“

SOLID: Mit der Akquise von DesiteBIM hat thinkproject knapp vor der Coronakrise in der Baubranche einiges an Aufsehen erregt. Was ist seither passiert und was haben Sie weiter vor?

Patrik Heider: BIM ist immer so ein großes Wort. Wenn sie vier Leute über BIM fragen, bekommen sie sechs Definitionen. Ich bin ja mit BIM bei Nemetschek groß geworden und dort war es eher eine Philosophie über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Aus dem früheren Building Information Modeling ist so Building Information Management geworden. Und BIM heißt für mich im Endeffekt: Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette in Anlehnung an die Autoindustrie, um endlich zu erreichen, dass wir die Produkte, die wir an unsere Kunden ausliefern, innerhalb der vereinbarten Zeit, innerhalb der vereinbarten Qualität und zum vereinbarten Preis übergeben.

Stimmt der Vergleich mit der Autoindustrie tatsächlich? Mir kommt vor, dass es da doch in vielerlei Hinsicht große Unterschiede gibt, nicht nur bei der berühmtem Losgröße 1, über die man ja diskutieren kann.

Heider: Der Vergleich hinkt natürlich, je genauer man hinschaut. Selbst wenn sie das Gebäude, in dem wir hier sitzen, morgen 500 Meter weiter noch einmal bauen, ist das ein komplett neues und anderes Projekt. Aber es geht darum, durch Digitalisierung Nutzen zu generieren – und da sind die Ziele dieselben wie in anderen Industrien. Da ist die Bauindustrie noch am Anfang der Entwicklung.

Thinkproject gibt es ja schon seit 20 Jahren – da war von BIM noch kaum oder gar nicht die Rede. Was ist ihre DNA und wie können sie das jetzt aktuell in Kundennutzen verwandeln?

Heider: Wir haben ja in Deutschland seit 2017 die staatliche Direktive, dass gewisse Projekte in BIM-Standard ablaufen müssen – teilweise entstanden durch völlig aus dem Ruder gelaufene Projekte wie den Berliner Flughafen. Andererseits gab es schon in den 1990er Jahren gute Projekte und von daher haben wir schon in den 1990ern BIM gedacht – nur war die Awareness noch nicht dahinter, welche Möglichkeiten es noch geben wird. Auch die Entwicklung von 2D- zu 3D-Modellen, also zu CAD, hat Mitte des vergangenen Jahrzehnts richtig Schwung aufgenommen.

Thinkproject-Gründer Tom Bachmayer hat 2015 gesagt, er will und muss jetzt im Konzert der Großen mitspielen, weil er sonst Marktanteile verliert. Das hieß aber: er brauchte Kapital für Akquisitionen, denn man kann nicht die gesamte Technologie selbst entwickeln. Beginnend mit dem Einstieg von TA Associates ging es dann richtig nach oben und wir sind mit etwa 100 Millionen Euro Endverbraucherumsatz jetzt schon ein signifikanter Player. Und von dort wollen wir jetzt weitermarschieren.

Der Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark ist eines der Renommierprojekte von thinkproject.

- © Femern A/S

Es gibt ja mehrere Softwarefirmen, aber auch große Baukonzerne, die versuchen, ein durchgängiges Konzept für ein Bauprojekt zu entwickeln und das dann auch so zu verkaufen. Das ist aber in der Realität eher schwer durchzuhalten und die Tendenz geht meiner Beobachtung nach zu Baukastensystemen. Wie sehen Sie denn das Thema der Interoperabilität von Software und Plattformen?

Heider: Sehr dynamisch. Wir kategorisieren den Markt in drei Bereiche. Zuerst haben sie das Design-Segment mit den Kundengruppen Architekten und Ingenieure. Dann kommt das Build-Segment mit den Assetholdern, Generalbauunternehmern und Contractors. Und das dritte Segment ist das Manage-Segment mit Maintenance und Operating. Wir sind sehr stark im Bereich „Build“ – 70 Prozent unserer Kunden sind dabei Assetholder, 30 Prozent Generalunternehmer, wobei der Anteil der Generalunternehmer wächst. Unsere Stärke ist dabei nicht nur im Bereich Gebäude, sondern auch in der Infrastruktur und im Anlagenbau.

Und innerhalb dieser horizontalen Wertschöpfungskette gibt es wieder drei Stränge: die Modellwelt, die mitzuführenden Dokumente und das, was wir Common Data Environment nennen und wo zusammen mit zusätzlichen Daten alles hineinmündet. Das CDE wird letztlich die Endstufe der Digitalisierung in der Baubranche sein. Thinkproject hat dabei das Glück, dass wir dort gestartet sind und dadurch groß geworden sind.

Die von ihnen angesprochene Interoperabilität ist dabei das Um und Auf – und unser CDE kann mit Modelldaten aller Softwarehersteller arbeiten.

Wie weit sind Sie bei dem Thema?

Heider: Wenn Sie mich fragen, wie weit wir im Verhältnis zum finalen Status sind, würde ich sagen: bei 40 bis 50 Prozent.

Was fehlt noch?

Heider: Wir sind zum Beispiel momentan noch sehr stark in den Büroräumen der Kunden unterwegs – aber noch viel zu wenig im Bauen auf der tatsächlichen Baustelle. Da geht es um Dokumentation und Zertifizierung von Baufortschritten, da können sie nicht im Büro mit ihrer Software am Schreibtisch sitzen, sondern sie brauchen Field Tools für alle möglichen Dinge wie Zeiterfassung etc. Da sind wir sehr stark dran, diese Themen mit M&A und Eigenentwicklungen voranzutreiben. Damit ist man dann bei 60 bis 80 Prozent und hat alle Daten, um tatsächliches Baumanagement zu betreiben. Und das ist unsere Welt.

Setzen Sie auf IFC?

Heider: Wir importieren IFC-Daten – aber ich sage Ihnen offen und ehrlich: IFC-Daten werden nicht das Ende sein. Denn damit müssen wir das Modell als Modell in unsere Plattform importieren. Wir würden es stattdessen gern erreichen, das Modell komplett in einzelnen Daten zu extrahieren – und da gibt es auch schon Bewegungen. Damit ließe sich das Modell viel einfacher immer aktuell halten.

Auch beim Bau des „Village im Dritten“ ist man wesentlich beteiligt. Hier entsteht ein ganzes Viertel unter ökologischen Aspekten. „Village im Dritten“ wird entwickelt von ARE Austrian Real Estate in Zusammenarbeit mit der Stadt Wien, dem Wohnfonds Wien und UBM Development. Das Copyright der Bilder liegt bei „Superblock ZT GmbH“.

- © Superblock ZT GmbH

Wie hält das alles dem Reality-Check stand? Meiner Beobachtung nach ist selbst 3D nicht so weit, wie es sein sollte.

Heider: Ja, leider arbeiten in Deutschland immer noch fast 60 Prozent aller Architekten und Ingenieure am Zeichenbrett und in 2D. In UK, Skandinavien und USA ist man bei 3D klar über 55 Prozent und wir müssen aufpassen, dass der Zug nicht abfährt. Man wollte in der deutschen Buildingsmart die Standards von UK einfach übernehmen, aber so einfach ist das nicht. Dazu kommt: in Deutschland gibt es die HOAI, die noch immer nicht ganz gefallen ist und die Architekten sind noch immer die Könige. Und wäre ich Architekt, würde ich das auch so halten wollen.

Und das heißt für Sie?

Heider: Dass wir sehr neidisch, aber auch hoffnungsvoll nach UK und in die USA schauen und auch dorthin expandieren wollen – derzeit machen wir ja 60 Prozent im DACH-Raum.

Es gibt derzeit ein gewisses Bestreben der Bauausführenden oder auch Zulieferer und Dienstleister, immer früher in die Planungsphasen von Projekten einbezogen zu werden – Stichworte: Early Contractor Involvement und Preconstruction Phase. Wie adressieren Sie dieses Thema?

Heider: Wir sind über das anfangs angesprochene DesiteBIM in dieser Phase schon dabei. Je besser sie in der Planung drinnen sind, desto besser wird die Ausführung. Aber generell ist das Thema noch ein bisschen schwierig, weil es da nur wenige, dafür sehr große Player gibt. Aber wir werden die Plattform, die wir bauen, um immer mehr Funktionalitäten erweitern. Je mehr wir selber anbieten können, desto früher kommen wir in diese Prozesse hinein, aber wir müssen auch zu Firmen wie Nemetschek oder Autodesk hin offen bleiben. Und dazu kommt: Konzerne wie die Strabag oder Hochtief haben ja noch immer viele selbst gestrickte Tools in Verwendung, weil die benötigten Lösungen von den Softwareproduzenten noch nicht geliefert werden konnten. Sie sind aber Bauunternehmen und nicht Softwareentwickler – daher wird der Trend dahin gehen, Standardtools vom Markt zu verwenden. Und da müssen wir zusehen, dass sie das von uns bekommen. Dort liegt extrem viel Potenzial – auch für kleinere und mittlere Firmen.

Über die ganze Branche hinweg werden laut einer McKinsey-Studie in den nächsten Jahren die IT-Ausgaben um 17 bis 19 Prozent wachsen – übrigens auch durch die Learnings von COVID. Bei diesen Wachstumsraten müssen wir mitkommen.

Zur Person

Patrik Heider ist Chief Executive Officer (CEO) von Thinkproject. Er bringt umfangreiche operative und strategische Erfahrungen aus global expansiven Unternehmen mit mit dem Ziel, Thinkproject als Marktführer im Bereich Construction Intelligence zu etablieren. Vor seinem Eintritt bei Thinkproject war er CEO von riskmethods. Davor war er als Vorstandssprecher als auch CFO und COO bei der Nemetschek Group und über 10 Jahre Teil der Hoffmann Group, zuletzt als CFO tätig.

Thinkproject mit Sitz in München ist ein weltweit agierender Anbieter von Construction Intelligence-Lösungen. Thinkproject ist der führende europäische SaaS-Anbieter für Bau- und Ingenieurprojekte mit mehr als 2.500 Kunden und rund 450 MitarbeiterInnen.

Patrik Heider ist Chief Executive Officer (CEO) von Thinkproject. Vor seinem Eintritt bei Thinkproject war er CEO von riskmethods. Davor war er als Vorstandssprecher als auch CFO und COO bei der Nemetschek Group und über 10 Jahre Teil der Hoffmann Group, zuletzt als CFO tätig. Thinkproject mit Sitz in München ist ein weltweit agierender Anbieter von Construction Intelligence-Lösungen.

- © thinkproject