SOLID BLOG : Wie die Bauwirtschaft Corona nutzen sollte

Christoph Weber
© Thomas Topf

Mit vollen Auftragsbüchern ging die europäische Bauindustrie ins Jahr 2020. Während der erste Lockdown im Frühjahr noch gut bewältigt wurde, könnte der Jahresausklang mager ausfallen. Wirtschaft und Kommunen stehen bereits auf der Ausgabenbremse, auch die Investitionen der Privathaushalte lassen nach. Erfolgreiches Krisenmanagement ist jetzt gefragt.

Während so manche europäische Länder im Frühjahr ihre (unkritischen) Großbaustellen schlossen, liefen andere, wie in Deutschland oder Österreich, auch während des ersten Lockdowns weiter. Mit gezielten Maßnahmen zur Mitarbeitergesundheit und -sicherheit sowie der Sicherung von Liquidität und Lieferfähigkeit konnte die Handlungsfähigkeit der Unternehmen weitgehend sichergestellt werden. Doch jetzt, in der zweiten Fieberkurve, müssen sich die Bauunternehmen auch auf ihre eigene Gesundheit konzentrieren.

Volatile Auftragslage

Auch wenn die öffentliche Hand derzeit – unter „Corona-Vorbehalt“ – weiter fleißig Ausschreibungen rausjagt und die Bauunternehmen mit großzügigen Angebots- und Ausführungsfristen sowie Fristverlängerungen entlastet, sollte man sich nicht täuschen lassen. Mittel- und langfristig sind Bauinvestitionen und Volumina an die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gekoppelt, und das wird aufgrund der enormen Auswirkungen der Corona-Krise in nächster Zeit wohl eher schrumpfen.

Private Auftraggeber können diesen erwarteten Einbruch kaum abfedern. Marktforscher rechnen aktuell damit, dass die Investitionslust bei Büro- und Gewerbebauten deutlich abkühlen und wegen der massiven Kursverluste an den Börsen ein Rückgang an Liquidität durch inländische und ausländische Investoren am Immobilienmarkt wahrscheinlich wird. Da wird es nicht helfen, dass Immobilien gerade in Zeiten heftiger Finanzmarktturbulenzen als sichere Investition für Privatanleger gelten.

Sinkende Lieferfähigkeit

Ein ganz anderes Problem droht auf der Personalebene und Lieferantenseite. Infizierte Mitarbeiter, behördliche Quarantäneauflagen und Personalmangel aufgrund von Grenzschließungen, Quarantäne und verschärften Sicherheitsvorkehrungen können kurzfristig ganze Baukolonnen arbeitsunfähig machen. Durch fehlende Mitarbeiter aus dem Ausland kam es bereits im Sommer und Herbst zu großen Verzögerungen.

Bauzulieferer und Baumaschinenhersteller haben ihre Lagerkapazitäten in den letzten Monaten zwar erhöht, dennoch kommt es hier zu Engpässen, da zahlreiche Firmen temporär ihre Produktion einstellen mussten. In einigen Bereichen ist die Knappheit bereits evident, etwa bei Rohstoffen aus China, Werkzeugen aus Low-End-Segmenten aus Asien oder Arbeitsmasken für den Bau. Hinzu kommen Probleme für die Speditionen durch Grenzkontrollen, Transitverbote, Spezialregelungen für den Transit und strenge Vorschriften zur Hygienebekleidung am Zielort.

Fehlende Liquidität

Bauunternehmen wie Zulieferer können ihre Liquidität jedenfalls nur sichern, wenn öffentliche wie private Auftraggeber weiter investieren und zügig zahlen. Daran hapert es aber gerade in letzter Zeit. Denn nicht selten kämpfen Privatinvestoren selbst mit Liquiditätsengpässen. Ganz besonders bitter ist es, wenn Kommunen Rechnungen für bereits geleistete Aufträge nicht begleichen wollen und dies sogar schriftlich mit Hinweis auf Unterstützungsprogramme für die Wirtschaft begründen. Welche mittel- und langfristigen Szenarien gibt es also für die Bauindustrie?

Coronakrise managen

Frühere Krisen zeigen, dass die meisten Unternehmen drei Reaktionsphasen durchlaufen. Für jede Phase sind klare Prioritäten zu setzen. Zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit etwa muss auf die Gesundheit und Fähigkeit der Mitarbeiter zur Fortführung des Betriebes geachtet und die Liquidität gewahrt werden. Das Geschäft zu stabilisieren bedeutet weiterführen, Ergebnisse sichern, Lieferketten stärken und neue Arbeitsweisen etablieren. Fit für die Zukunft werden Bauunternehmen dann, wenn sie ihr Geschäftsmodell überprüfen, neu ausrichten und ggf. digitale Potzenziale nutzen.

Für die gegenwärtige Situation gibt es keine Blaupause. Wirtschaftliche Abschwünge haben aber immer zu neuen und flexibleren Denk- und Arbeitsweisen geführt. Wenn also unter den geänderten Rahmenbedingungen neue Ziele definiert sind und effizient verwirklicht werden sollen, müssen die Maßnahmen richtig umgesetzt werden. Die Stichworte dazu lauten 1. Schnell Handeln 2. Fokussiert auf geschäftskritische Prozesse 3. Kollaborativ funktionsübergreifend und dezentral in den Entscheidungen 4. Transparent und nachvollziehbar in der Umsetzung 5. Nachhaltig vorausdenkend.

Gunst der Stunde nutzen

Sobald in den oben genannten Dimensionen ausreichend stabil, ist es für jedes zukunftsorientierte Bauunternehmen unerlässlich, den Blick für die Entwicklung eines neuen strategischen Weges zu erweitern. Die Bauwirtschaft wird durch Corona viel rascher als gedacht mit strukturellen Veränderungen konfrontiert sein, die eine strategische Neuorientierung erforderlich machen. Corona wird als Katalysator für den Wandel von Denkweisen und Prozessen dienen. Unternehmer und Führungskräfte in der Bauwirtschaft sollten diesen Schwung nutzen und auf diesen Erfahrungen aufbauen, um den langfristigen Wandel erfolgreich zu meistern.

Christoph Weber ist Head of Organization & Operations bei Horváth & Partners Österreich. Er berät große Unternehmen in der Fertigungs- und Bauindustrie.

E-Mail: cweber@horvath-partners.com