Bundesländer-Vergleich : Standortdebatte: Wie gut ist Österreich?

Mit 3183 Euro steht jeder Kärntner – zusätzlich zu seinem Anteil an den Bundesschulden – in der Kreide. Das ist mehr als doppelt soviel wie der Bundesschnitt und rund 15 Mal so viel wie das Schuldenpackerl, das Oberösterreicher oder Vorarlberger zu tragen haben. Auch auf den niederösterreichischen Schultern lastet einiges: Mit 2484 Euro pro Kopf liegt die Verschuldung des Bundeslandes am unrühmlichen Rang zwei. Schlimmer noch: Neben dem hohen Schuldenstand von Kärnten, Niederösterreich aber auch Wien explodiert auch die Neuverschuldung – um über 50 Prozent in Kärnten und fast 24 Prozent in Niederösterreich. Kein gutes Zeichen an die ohnehin nervösen Finanzmärkte, die letztlich die Neuschuldenaufnahme der Gebietskörperschaften finanzieren. Am oberen Ende der Neuschuldenliste ereilte Oberösterreich 2011 die Tücke der Statistik: Das Land, das im Jahr 2010 jeden Einwohner mit fast lächerlichen 65,2 Euro Schulden belastete, langte 2011 kräftig zu: Der Schuldenstand hat sich fast verdreifacht – allerdings auf fast noch immer moderate 256 Euro. Trotzdem: Das Triple A-Rating von Österreichs Power-Industrieland bei Standard & Poor’s ist demnächst Geschichte. Schuld ist der Bund: Kein Bundesland kann nach den internen Regeln der Analysten kreditwürdiger sein als der Staat, zu dem es gehört. Industrie auf Berg- und Talfahrt.So unterschiedlich wie die Verschuldung entwickelte sich auch die Industriekonjunktur in den österreichischen Regionen. Traditionelle Kraftpakete spielten 2011 bis zum Sommer ihre Stärken voll aus: „Die Industrie-Bundesländer Oberösterreich, Steiermark, Niederösterreich und Vorarlberg profitierten am stärksten von der anziehenden Exportnachfrage“, sagt Jürgen Bierbaumer-Polly, Mitautor des Wifo-Berichts „Wirtschaft in den Bundesländern“. Sie spürten allerdings – wie schon in der Krise 2009 – in der zweiten Jahreshälfte auch als Erste die Konjunkturabkühlung. Die stärker binnenorientierten Bundesländer im Osten und das tourismuslastige Salzburg glänzten mit weniger dynamischen Wachstumsraten – dafür wird auch ihre Delle weniger tief ausfallen.

Fortsetzung auf Seite 2: Der Westen - Vorarlberg, Tirol, Salzburg

Vorarlberg: Arbeitsmarkt-Meister.Am Bodensee wird die gute Regionalkonjunktur einmal mehr von der Industrie getragen, die ihren Produktionswert im 2. Quartal 2011 gegenüber dem Vorjahr um 14,3 Prozent hinaufschraubte. Wifo-Forscher Bierbaumer-Polly führt das auf einen geglückten Mix aus Lage (gleich neben den deutschen Boom-Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern) und branchenmäßig breiter Streuung des Produktionssektors zurück – und eine Portion Traditions-Alemannentum: „Die Vorarlberger Mittelständler haben ihre Hausaufgaben beim Strukturwandel erledigt und sind jetzt bei Innovationskraft und Produktivität sehr gut aufgestellt.“ Geglänzt hat auch der Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosigkeit ging im zweiten Quartal 2011 um ein Fünftel zurück – mehr schaffte kein anderes Bundesland. Mittelprächtig lief es im Fremdenverkehr, der im der Sommersaison mit einem mäßigen Ein-Prozent-Plus vor sich hindümpelte – und das, obwohl die Schweizer überaus gern im benachbarten Billig-Euro-Ländle Urlaub machen. Auch der Handel profitierte weniger als erwartet von den Einkaufstouristen aus dem Westen. Tirol: Stimmungstief im Westen.Das Wachstum im Westen schwächelte schon im ersten Halbjahr 2011 merkbar – die Tiroler kamen mit 3,9 Prozent nur auf ein unterdurchschnittliches Plus bei der Bruttowertschöpfung (Bundesschnitt + 4,3 Prozent). Die Alpen-Industrie reagierte auf die Konjunkturabkühlung schon im Sommer mit Personalabbau. Mit einem Überhang der negativen Erwartungen über die positiven von fast 15 Prozentpunkten schieben die Tiroler Industriellen auch die mit Abstand heftigste Depression in Österreich. Ins Jahr 2012 gehen die Unternehmer auch mit schwerer Katerstimmung: Nach einer Umfrage der Wirtschaftskammer überlegen 40 Prozent der Betriebe Kündigungen, fast ein Drittel wird 2012 die Investitionen kürzen. Salzburg: Erholung reicht nur für Teilzeitjobs.Die Bruttowertschöpfung an der Salzach legte im ersten Halbjahr um 3,7 Prozent zu – damit sind die Salzburger nicht die Besten im Westen. Die Industrieproduktion wuchs langsamer als in den Spitzen-Bundesländern, dafür sind die Betriebe wegen der Konjunkturabschwächung auch weniger pessimistisch. Die Sommer-Touristen bescherten der Hotellerie mit einem Nächtigungsplus von 2,8 Prozent ein überdurchschnittliches Wachstum. Die an der deutschen Grenze angesiedelten Logistik- und Großhandelszentren (von Porsche bis Hofer) sorgten ebenfalls für Belebung der regionalen Wirtschaft. Mit einem Beschäftigtenstand von 240.278 im Sommer 2011 waren die Krisen-Kündigungen wettgemacht. Allerdings nur rein rechnerisch, wie der Salzburger Arbeiterkammer-Präsident Siegfried Pichler relativiert: „Jubel ist nicht angebracht. Das Beschäftigtenwachstum ist fast ausschließlich auf Teilzeitjobs zurückzuführen.“

Fortsetzung auf Seite 3: Der Süden - Kärnten, Steiermark

Kärnten: Zurück ans Tabellenende.Kärnten teilte sich 2011 mit Wien den letzten Tabellenplatz - mit dem schwächsten Wertschöpfungszuwachs aller Bundesländer (+3,6 Prozent im ersten Halbjahr). Sogar diese schwache Performance lag noch über dem langjährigen Schnitt, hatte doch die Krise den Süden am härtesten getroffen. Das Zugpferd Elektronikindustrie wechselte vom Galopp in den Trab. Als Rettungsanker erwies sich einmal mehr der Tourismus (+7,7 Prozent in der Sommersaison). Für einen nennenswerten Abbau der Arbeitslosigkeit reichte es allerdings nicht. Dafür liegt das südlichste Bundesland voll im Einzugsbereich des Italien-Tiefs. Was die lokalen Betriebsansiedler schmerzhaft zu spüren bekommen, sagt Sabrina Schütz-Oberländer, Geschäftsführerin der landeseigenen Entwicklungsagentur Kärnten: „Viele italienische Interessenten haben größere Investitionsentscheidungen verschoben.“ Und die Italiener sind die mit Abstand wichtigsten Auslandsinvestoren in Kärnten. „ Investitionsentscheidungen von ausländischen Firmen erfolgen in kleinen Schritten: Erstansiedlungen werden mit einer geringen Zahl neu geschaffener Arbeitsplätzen umgesetzt, um den Markt zu testen.“ Um die grassierende Investitionsunlust zu mildern, werfen die spendablen Politiker des pro Kopf am höchsten verschuldeten Bundeslandes (3.183 Euro pro Kärntner) mit der Wurst nach der Speckseite: Bis April fließen fünf Millionen Euro zusätzliche Wirtschaftsförderung in Klein- und Mittelbetriebe. Steiermark: Aufstieg mit Rückschlagspotenzial.Die Steirer haben ihre Industrie stramm auf Export getrimmt: Von 2000 bis 2008 verdoppelten sich die Ausfuhren, während diese österreichweit nur um zwei Drittel zulegten. 2011 profitierte die Grüne Mark von ihrer Auto-Lastigkeit: Der Produktionswert der Sachgütererzeugung legte mit 14,6 Prozent im zweiten Quartal 2011 deutlich stärker zu als im österreichischen Durchschnitt. Besser als in anderen Bundesländern ging es auch der Bauwirtschaft (+9,5 Prozent). Die Arbeitslosigkeit sank um mehr als 11 Prozent. Nun steht zu befürchten, dass sich die Entwicklung wieder umkehrt. Für den Standort schwer zu verkraften ist auch der Abschied eines Know-how-intensiven Leitbetriebs zu verkraften Der Pharma-Konzerns Roche verlagert seine Diagnostics-Sparte von Graz in die Konzernzentrale in der Schweiz. Die bittere Pille wird allerdings überzuckert: Zumindest Roche-Aufträge für steirische Zulieferer bleiben im Land - 16 Millionen Euro waren es 2011. Nach der endgültigen Schließung 2014 sollen es 12 Millionen Euro pro Jahr werden, klopft sich Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann selbst auf die Schulter: „Damit können wir Wertschöpfung und wichtige Arbeitsplätze nicht nur halten, sondern ausbauen.“

Fortsetzung auf Seite 4: Oberösterreich und der Osten

Oberösterreich: Katzenjammer auf hohem Niveau.

Oberösterreich bleibt die Industriehochburg Österreichs. Das ist Stärke und zugleich Achillesferse der regionalen Wirtschaft: Die Region ob der Enns bestritt 2011 mit 30 Milliarden Euro fast ein Drittel der österreichischen Ausfuhren und ist mit ihrer Exportquote von 60 Prozent extrem von der internationalen Konjunktur abhängig. Mittlerweile hängt jeder zweite oberösterreichische Arbeitsplatz am Export. Allerdings kühlt die oberösterreichische Konjunktur auf komfortabel hohem Niveau ab: Im zweiten Quartal 2011 kamen die Betriebe kaum noch mit dem Produzieren nach und lieferten um 15 Prozent mehr als im Erholungsjahr 2010. Bei der zum Jahreswechsel noch paradiesisch niedrigen Arbeitslosenquote von 4 Prozent wird es nicht bleiben. Niederösterreich: Förderturbo an.An die Spitze katapultierte sich Niederösterreich im 2. Quartal 2011 mit einem gewaltigen Industriewachstum: Der Wert der abgesetzten Sachgüter stieg gegenüber 2010 um 15,5 Prozent. Wifo-Experte Bierbaumer-Polly sieht das Wiener Umland in einer paradoxen Situation. „Die niederösterreichischen Betriebe sind relativ stark auf den österreichischen Markt fokussiert und profitieren deshalb nicht so stark von dynamischer Exportnachfrage. Aber etliche Zulieferer haben in der internationalen Lieferkette wichtige Funktionen als Systemlieferanten übernommen und sind nicht so leicht zu ersetzen – das stabilisiert die Konjunktur.“ Die aggressive, mit reichlich Förderungen unterfütterte Ansiedlungspolitik will Wirtschaftslandesrätin Petra Bohuslav weiterführen: „Mit 90 realisierten Projekten haben wir den Höchststand aus dem Jahr 2008 eingestellt.“ Trotz der bundesweit zweihöchsten Pro-Kopf-Verschuldung geizt Niederösterreich nicht mit Subventionen. Sparpaket hin oder her – der Landtag winkte jüngst einen Beschluss durch, wonach von 2014 bis 2020 jedes Jahr allein in die Regionalförderung mehr als 29 Millionen Euro fließen sollen. Wien: Industrie verschwindet.Der Dienstleistungssektor regiert Wien – weswegen sich auch in eine dynamische Industrieentwicklung kaum niederschlägt. Nur etwas mehr als 7 Prozent der Wiener Beschäftigtenproduzieren Güter, der Anteil an der Wertschöpfung liegt halb so hoch wie im Österreichschnitt. Dafür ist das Restchen Industrie, das der Hauptstadt noch bleibt, umso produktiver. Die Rumpfproduktion konzentriert sich auf alles, was teuer und wertschöpfungsintensiv ist. Für eine urbane Wirtschaft verkraftbar findet das Wirtschaftsforscher Bierbaumer-Polly, „Die Wiener Wirtschaftsstruktur verlagert sich zunehmend auf die Bereitstellung von wissensintensiven Dienstleistungen, außerdem verhinderten überdurchschnittliche Produktivitätssteigerungen einen Rückgang der Wertschöpfung.“ Auch sonst tanzt die Hauptstadt aus der Reihe – so stieg hier die Arbeitslosigkeit schon in der ersten Jahreshälfte 2011 deutlich an, weil das Arbeitskräfteangebot deutlich rascher wuchs als die Zahl neuer Jobs. Als Konjunktur-Lokomotiven wirkten Bau (+ 11 Prozent im zweiten Quartal) und Fremdenverkehr. Die Hotels verbuchten im Sommer um 4,2 Prozent mehr Nächtigungen als ein Jahr zuvor. Allerdings drehen auch die Wien-Touristen jeden Euro zwei Mal um: Budget-Betriebe profitierten nach Jahren des Darbens deutlich stärker als die Vier- und Fünf-Sterne-Kategorie. Burgenland: Notorisch optimistisch.Im äußersten Osten ist die Zuversicht zu Hause. Als im Herbst 2011 schon die meisten anderen Industriellen kalte Füße bekamen, tummelten sich an den burgenländischen Fertigungsstraßen noch mehr Optimisten als Pessimisten. Sie haben auch Grund dazu – die pannonische Wirtschaft ist im Österreich-Vergleich so wenig exportorientiert, dass selbst die Krise in benachbarten Ungarn keine allzu großen Wellen im Neusiedlersee schlagen dürfte. 2011 gingen die Uhren im Burgenland etwas langsamer als im Rest des Landes: Die Sachgüterproduktion legte im 2. Quartal nur einstellig zu (Produktionswert +9,7 Prozent). Auch Bau und Dienstleister wuchsen unterdurchschnittlich. „Das Burgenland profitiert – wie Niederösterreich auch - stark von der robusten Stadtkonjunktur in Wien, weil viele Betriebe im Umland einen Großteil ihrer Wertschöpfung durch Austausch mit der Hauptstadt erwirtschaften“, nennt Wifo-Forscher Bierbaumer-Polly eine weitere Ursache für eine voraussichtlich weiche Landung der Regionalkonjunkur. Prognose: Wolkig.Wirtschaftsforscher teilen die Zuversicht nur bedingt, die an den west-östlichen Landesrändern gepflegt wird. Optimist ist schon, wer glaubt, dass es zumindest nicht schlimmer wird. Wenigstens der Triple A-Verlust Österreichs sollte vorerst nur bei Politikern für heilsame Verstörung sorgen. Die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Unternehmen hemmt er nicht. Bank Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer beruhigt: „Panik ist mit Sicherheit nicht angebracht. Zu viel darf man aber nicht erwarten, denn der Druck zur Verringerung der öffentlichen Schulden wird die Binnenkonjunktur anhaltend bremsen.“ Er sagt für heuer ein hauchzartes Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent voraus. Das würde angesichts der jüngst auf Rezession geschraubten Prognose der Weltbank für die ganze Euro-Zone (-0,3 Prozent) und einer nicht weniger pessimistischen der deutschen Bundesregierung (+ 0,7 Prozent) schon wieder für einen Stockerl-Platz reichen. Wenn alles gut geht.

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