SOLID 10/2020 : „Bekommen die CO2-Ziele technisch in den Griff“

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass mit Berthold Kren erstmals ein studierter Umwelttechniker an der Spitze des Mitteleuropa-Ablegers (außer Österreich gehören Ungarn, Slowenien, Kroatien und Tschechien dazu) des den Weltmarkt nach der Anzahl der Länder beherrschenden Zementkonzerns LafargeHolcim steht. Und es ist möglicherweise auch kein Zufall, dass mit Berthold Kren ein ehemaliger Spitzensportler bei den Weichenstellungen für eine nachhaltigere und umweltfreundlichere Zementzukunft im Stellwerk steht. Denn die Herausforderungen sind selbst für den ehemaligen Volleyball-Teamkapitän und Champions-League-Finalteilnehmer einigermaßen sportlich.

„Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir unsere Klima-Aufgaben technisch in den Griff bekommen“, sagt Kren bei seiner Antrittsrede im Architektur Zentrum Wien. „Ich bin ein Kind der 1970er Jahre und erinnere mich noch gut, dass wir zum Beispiel den sauren Regen durch konsequente Maßnahmen der Industrie lösten. Unsere Herausforderungen an Klima-Fitness sind heute mannigfach höher, dennoch werden unsere Werke bis 2040 weltweit CO2-neutral sein.“

Hohe Ziele und teure Wege

Die Situation, in der sich Österreich (bei einem Lafarge-Marktanteil von 30 %) befindet, ist dabei im Vergleich schon ziemlich gut (siehe auch unser Interview mit VÖZ-Geschäftsführer Sebastian Spaun „Über bereits weit gedrehte Schrauben hinaus“ in SOLID 05/2020). Österreich hat, so Kren, in der Zementproduktion den weltweit niedrigsten ökologischen Fußabdruck und hätte damit 50 % des Ziels schon fast erreicht, aber „als Nummer Eins müssen wir besser sein als der von außen vorgegebene Zielwert.“

Der Anteil alternativer Brennstoffe in der Zementindustrie lag österreichweit 2019 bei 82 Prozent, damit ist die österreichische Zementindustrie weltweit mit großem Abstand führend. Der hohe Substitutionsgrad fossiler Brennstoffe in Kombination mit dem niedrigen Klinkeranteil ist die Ursache für die hohe CO2-Effizienz von knapp unter 70 Prozent. Die spezifischen CO2-Emissionen betrugen 521 Kilogramm pro Tonne Zement, 0,8 Prozent weniger als im Vorjahr.

Einiges an Arbeit wurde und wird da auch abseits von Lafarge geleistet. So wurden etwa im Zementwerk Wopfing (Schmid Industrie Holding/BauMit) ein hochmoderner Klinkerkühler und im Salzburger Zementwerk Leube eine DeCONOx Anlage erfolgreich in Betrieb genommen.

In den Lafarge-Werken Mannersdorf und Retznei sind seit Sommer 2019 hochmoderne Calzinatoren im Einsatz, für die Klinkerproduktion (bei der es prozessbedingt zu hohen Emmissionen kommt) werden bereits über 85 Prozent Ersatzbrennstoffe verwendet, bis 2030 sollen es 96 bis 97 Prozent sein.

Der Klinkeranteil im Zement soll mittelfristig durch eine neues Produkt, in das ca. 20 Millionen Euro investiert werden, von derzeit 66 auf 60 Prozent sinken. Dabei kommt, so Kren, erschwerend hinzu, dass derzeit verwendete (und teils für die vergleichsweise gute Lage in Österreich verantwortliche) Ersatzstoffe aus kalorischen Kraftwerken oder von der Vöest wie Hüttensand oder Flugasche immer weniger verfügbar sind.

Doch bei Lafarge ist man optimistisch, mit neuen Produkten wie „einem echten Ökobeton, nicht nur einem grün angestrichenen“ (Lafarge-Marketingchef Gernot Tritthart) und Spezialprodukten wie ultrahochfesten Betonen, der Dämmmasse Aerium oder Drainbeton gegen die Versiegelung der Landschaft (die allerdings derzeit alle noch keine große wirtschaftliche Rolle spielen) umweltmäßig punkten zu können. „Jeder Baustoff ist so intelligent, wie er eingesetzt wird“, sagt Tritthart und verweist auch auf das Forschungsprojekt Eco Roads, in dem man mit Walzbeton gegen den Asphalt ankämpfen will – unter anderem mit dem Argument, dass die Oberfläche nach Messungen bis zu sechs Prozent Sprit einsparen helfen soll.

Königsweg Kreislaufwirtschaft

Richtig zu glänzen beginnen Berthold Krens Augen aber, wenn er vom Gemeinschaftsprojekt C2PAT zu sprechen beginnt. Die Industrieunternehmen Lafarge, OMV, Verbund und Borealis haben sich ja im Juni des Jahres auf eine branchenübergreifende Zusammenarbeit im Projekt „Carbon2ProductAustria“geeinigt. Ziel des Projektes ist die Schaffung einer sektorübergreifenden Wertschöpfungskette sowie die Errichtung einer Anlage im industriellen Maßstab, die nicht nur eine Abscheidung von nahezu 100% des jährlichen Ausstoßes im Zementwerk Mannersdorf (NÖ) von 700.000 Tonnen CO2 ermöglichen, sondern das abgeschiedene CO2 (zwei Drittel davon kommen aus der Entsäuerung, ein Drittel aus der Verbrennung) als Ressource weiterverwenden würde.

2023 soll eine Pilotanlage stehen, 2030 das Projekt im Vollausbau sein.

„CO2 ist chemisch gesehen ein toter Hund“, erklärt Kren, „es reagiert kaum mit etwas – außer mit Wasserstoff.“ Die Erzeugung dieses Wasserstoffs übernimmt im Projekt der Verbund mit alternativen Energien wie Photovoltaik oder Wind. Mithilfe des Wasserstoffs würde das CO2 in ein sogenanntes Syngas umgewandelt, dieses wiederum in den Raffinerien der OMV zu Methanol (in Richtung Treibstoff) synthetisiert bzw. in der chemischen Industrie bei Borealis in Produkte wie neue Kunststoffe umgewandelt werden. Kren: „Wir haben dann einen Kreislauf, der das Öl ersetzt – und zwar auch das Öl in der Plastikproduktion!“

Im ersten Schritt sind dazu ca. 60 Millionen Euro an Investitionen notwendig – und damit wird auch klar, warum Kren explizit davon spricht, dass die Sache technisch in den Griff zu bekommen wäre. Denn es geht um viel Geld und es wird bei derartigen Projekten in der Regel sehr zurückhaltend kommuniziert, geht es doch um viele Beteiligte und politisches Wohlwollen (ein vergleichbares, allerdings nicht so weitreichendes ist unter dem Namen Westküste100 nahe Hamburg im Entstehen, auch darüber berichteten wir im Nachhaltigkeitsschwerpunkt in SOLID 05/2020).

Die erste Hürde für C2PAT ist dementsprechend der Innovationsfonds, von dem sich Kren finanziellen Rückenwind erhofft. Nachsatz: „Wenn ein neuer CO2-Preis entsteht, wird sich die Ausgangsposition für das Projekt aber so und so verbessern.“