SOLID 12/2020 : KI am Bau - was daran Mythos ist und wie sie zum Fliegen kommt

AI (= artificial intelligence), KI (künstliche Intelligenz), ML (machine learning), NLP (natural language processing und viele mehr – ohne diese Modeworte/Mode-Abkürzungen kommt man kaum noch an einer Startup Präsentation oder Produktvorstellung vorbei. Doch was steckt hinter diesen Trendabkürzungen und was betrifft das eigentlich unsere Baubranche? Oder kommt nach der Dotcom-Blase die AI-Blase?

Das wird sich herausstellen – glaubt man jedoch Investoren (und Regierungen – siehe etwa der neue aws KI-Marktplatz in Österreich) weltweit, so sieht es doch nach etwas mehr als nur einem Modewort aus: Im Jahr 2019 wurden nämlich rund 40 Milliarden Euro in privat gehaltene AI-Firmen investiert - die gesamte österreichische Baubranche zum Vergleich hat im Jahr 2019 54 Milliarden Euro umgesetzt. Das meiste Geld fließt da in Sektoren, die Plattformen für Werbung und Konsum darstellen (das kennen wir von personalisierter Werbung auf Social Media Plattformen), aber auch in das Militär (AI getriebene Algorithmen, die strategische Entscheidungen treffen können und spielerisch lernen – allen voran das das Beispiel des Google DeepMind AlphaGo Algorithmus, der den besten Go-Spieler der Welt geschlagen hat; Anm.: Go ist eine Art chinesisches Schach), sowie natürlich in die Medizin (von COVID-Cluster Algorithmen bis Tumor-Erkennende Software) – aber in die Baubranche? Da hören wir (und sehen wir) abseits von einigen wenigen Unternehmen und vor allem deren Marketingmaterial (noch) nichts. Und trotzdem schreiben von Forbes bis Roland Berger viele aktuell von den disruptiven Kräften, die AI in der Baubranche haben wird.

„Haben wird“? Oder bereits hat? Wie weit ist AI in der Baubranche wirklich und wo geht die Reise hin?

Aus Gulaschzutaten wird niemals ein Apfelstrudel

Warum sind also andere Branchen weiter was künstliche Intelligenz betrifft? Weil eben aus Gulasch niemals ein Apfelstrudel wird. Wenn wir aktuell (zumindest in der Baubranche) von künstlicher Intelligenz sprechen, sprechen wir fast ausschließlich von ML (= machine learning) oder auch von „supervised learning“ (= überwachtes, antrainiertes Lernen). Das heißt, wir sprechen von Software und Algorithmen, die menschlich/halbautomatisch/oder teilweise auch automatisch antrainiert werden (YouTube hat 10.000 Angestellte in Off-Shore Ländern die zu zensierende Videos herausfiltern und dabei den Algorithmus trainieren). Ein bisschen so wie ein Kind sprechen lernt: durch ständiges Vorsprechen, unzählige Wiederholungen und „trial and error“. Das ist nicht zwingend von geringerer Qualität als andere AI-Methoden, aber es zeigt etwas ganz deutlich: machine learning ist nur so gut, wie gut es trainiert wurde. Wer mit seinen Kindern drei Sprachen spricht, wird dreisprachige Kinder bekommen. Kein Kind lernt eine Sprache von selbst – und so auch kein machine learning. Somit ist die große Frage, welchen (Daten-)Input ein ML Modell bekommt.

Sind Daten die Währung von morgen?

Und dann stellt sich die Frage für die (österreichische) Baubranche: haben wir die notwendigen Daten? Oder können wir Daten aus anderen Branchen verwenden? Die Antwort ist: Jein und Jein.

Ja, es gibt viele Daten in der Baubranche, aber zumeist sehr unstrukturiert und daher für viele AI Bereiche (noch) unqualifiziert – aber das wird sich ändern. Zum einen, weil die Algorithmen immer besser werden und dadurch mehr und mehr mit großen, unstrukturierten Daten umgehen lernen/können, andererseits weil wir mehr und mehr digitalisierte Prozesse in unseren (Baustellen-) Alltag integrieren, und dadurch mehr strukturierte Daten sammeln.

Kommen wir zum zweiten „Jein“ (können wir Daten aus anderen Branchen verwenden?): in manchen Bereichen (vor allem Bild- und Videoerkennung) sehen wir in letzter Zeit mehr und mehr Startups in der Baubranche, weil sich Bild und Videomaterial zwar trotzdem von dem von anderen Branchen unterscheidet, aber erstens da bereits seit Jahren digitales Material auf Baustellen gesammelt wird, und zweitens die Algorithmen leicht von anderen Branchen adaptiert und übernommen werden können. Wenn es um andere Datensätze geht, ist dies wesentlich schwieriger (und erklärt auch, warum es noch sehr wenige Firmen in diesem Bereich gibt).

Wie gesagt: aus Gulaschzutaten wird kein Apfelstrudel – wie kommen wir also zu den richtigen Zutaten?

Währung ist nichts wert, wenn sie keiner tauschen will

Daten sind die Währung von morgen – das liest und hört man immer wieder. Doch welchen Wert hat eine Währung, die nicht getauscht/gehandelt wird und die keiner annimmt? Die oft sehr österreichische Einstellung, Daten um alles in der Welt im Haus zu behalten und ja nicht zu teilen, könnte uns früher oder später schwer auf den Kopf fallen. Wenn es um AI & Co geht, geht es vor allem darum, sogenannter „first mover“ zu sein – einerseits um die enormen Wettbewerbsvorteile nutzen zu können, die daraus entstehen, andererseits aber auch, um nicht AI & Co später teuer einkaufen zu müssen. Wenn im globalen Wettkampf um AI sogar „verfeindete“ Großmächte wie die US und China zusammen arbeiten (ja, Sie lesen richtig), open source Software und Forschung teilen, warum glauben dann einzelne Unternehmen, ihre speziellen AI Lösungen finden und davon profitieren zu wollen? Das hat dann zwar mit AI am Rande zu tun, verfehlt aber die Gesamtidee und kann auf Grund des fehlenden Netzwerkeffekts und zu weniger Daten langfristig nicht mit den Entwicklungen am Markt mithalten. Ohne dass irgendjemand Daten teilt und mit AI-Unternehmen kooperiert, wird es so schnell keine AI in der Baubranche geben – oder zumindest nicht in Europa.

Abseits all dieser Grundlagenarbeit gilt dann doch noch die Frage zu klären, was wir denn mit AI am Bau dann tatsächlich anfangen können. AI (oder zumindest die, von der wir hier in den nächsten Jahren sprechen) lernt Muster aus Daten – und wo gibt es aktuell am meisten Daten? in der Planung und im Facility Management. Aber auch in der Kundenakquisition, im Finanzbereich, im Bereich der Bilderkennung, in der Logistik und generell in der Kommunikation. Das sind auch genau die Bereiche, in denen Roland Berger kurzfristig die größten Potenziale für AI in der Baubranche sieht. Von AI in der Planung (Berechnung von optimaler Grundstücksnutzung, automatischer Model-Check, automatische Bauzeitplanung), zur Baustelle (Risserkennung, automatische Fortschrittserkennung, Roboter), zum Projektmanagement (Projektergebnis-Vorhersage, automatische Rechnungsverarbeitung), zur Immobilienbetreuung (Mieter-Fluktuations-Prognosen, Optimierung der Energienutzung) bis hin zu ersten Anwendungen von AI im juristischen Bereich und in Chatbots mit den Kunden ist schon vieles möglich – aber das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.

Das Geld unterm Kopfpolster vermehrt sich nicht

Um das Potenzial auszuschöpfen, müssen wir beginnen, unsere Daten zu teilen – mit AI-Startups und Forschungseinrichtungen, aber auch untereinander. Die Daten sind (großteils) bereits vorhanden, aber werden kaum/nicht verwendet. Wer AI & Co will, muss sich von dem Gedanken lösen, dass seine/ihre Daten Gold sind. Wer AI & Co nicht will, der wird wohl in einigen Jahren realisieren, dass er/sie nicht mehr wettbewerbsfähig ist – und wenn er/sie dann Siri oder Alexa fragt, warum das so gekommen ist, wird ihm/ihr vielleicht dieser Artikel vorgeschlagen.