SOLID 07+08/2020 : Das Virus und der Verzug

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Fast alle Bauverträge sehen eine Pönale (Vertragsstrafe) für den Fall vor, dass der Auftragnehmer (AN) die zugesagte Leistung nicht zeitgerecht erbringt. Bekanntlich kam es durch den COVID-19 bedingten Lockdown und die damit verbundene vorübergehende Einstellung oder Behinderung von zahlreichen Baustellen nun vermehrt zu Verzögerungen bei der Leistungserbringung. In vielen Fällen führten diese zur Überschreitung von Zwischen- und/oder Fertigstellungsterminen.

Solche Verzögerungen können auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein, deren gemeinsamer Nenner COVID-19 ist: Der AN kann beispielsweise nicht plangemäß arbeiten (gänzlicher Stillstand, stockende Leistungserbringung, etc) sei es wegen Quarantänemaßnahmen am Ort der Baustelle, wegen Einschränkungen durch Verordnung oder behördliche Anordnung, wegen faktischer Beeinträchtigung ("social distancing") oder wegen COVID-19 bedingter Behinderungen des Güter- oder Personenverkehrs.

Ist ein Verschulden des AN Voraussetzung für das Anfallen der Vertragsstrafe – wie das grundsätzlich sowohl das Gesetz als auch die häufig vereinbarte ÖNORM B 2110 und B 2118 vorsehen – stellt dies im Allgemeinen kein großes Problem dar. Musste oder durfte der AN den Baustellenbetrieb wegen COVID-19 einstellen und überschreitet deshalb einen Pönaltermin, so muss er die Pönale dennoch nicht bezahlen, weil ihn kein Verschulden an der COVID-19 bedingten Verzögerung trifft.

Anders sieht dies bei der ebenfalls nicht selten vorkommenden verschuldensunabhängigen Pönale aus. Normalerweise würde sie auch bei einer Verzögerung, für die den AN kein Verschulden trifft, anfallen. Zwar gibt es gute Argumente, warum die verschuldensunabhängige Pönale bei COVID-19 bedingten bei Verzögerungen dennoch nicht oder nur reduziert anfallen könnte (aufgrund der höheren Gewalt liegt gar kein Verzug vor, Sittenwidrigkeit der Pönale oder richterliche Mäßigung), doch hat sich der Gesetzgeber – anlassbezogen infolge von COVID-19 – entschieden diesen speziellen Fall ausdrücklich im Gesetz zu regeln.

In Zusammenhang mit Vertragsstrafen sieht § 4 des 2. COVID-19 Justiz-Begleitgesetz (2. COVID-19-JuBG) daher unter bestimmten Voraussetzungen vor, dass der AN – auch im Fall von verschuldensunabhängigen Vertragsstrafen – von der Entrichtung der vereinbarten Vertragsstrafe befreit ist, wenn und soweit:

der Vertrag, der die Vertragsstrafe vorsieht, vor dem 01.04.2020 abgeschlossen wurde ("Altverträge");

der AN in Verzug gerät;

der Verzug eine Folge der COVID-19-Pandemie ist, weil

entweder die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist;

oder die Leistung wegen der Beschränkungen des Erwerbslebens nicht erbracht werden kann.

Weil die Folgen einer pandemiebedingten Verzögerung auch erst mit Verzögerung auftreten könnten, gilt diese Regelung mit der der AN (teilweise) von der Pönale befreit wird bis zum 30.06.2022. Das bedeutet für die Praxis, dass die Befreiung auch greifen kann, wenn beispielsweise der Fertigstellungstermin mit Ende November 2020 pönalisiert wurde und nicht eingehalten werden kann, auch wenn sich die pandemiebedingte Behinderung im Frühjahr 2020 abgespielt hat. Die pandemiebedingte Behinderung könnte sich aber auch später als in der Lockdown-Phase im Frühjahr 2020 abspielen, so etwa wenn der AN pandemiebedingt statt im August 2020 erst im Oktober 2020 notwendige Materiallieferungen erhält und daher einen Fertigstellungstermin Ende November 2020 nicht einhalten kann.

Zu beachten ist, dass die Regelung zur Befreiung der der Vertragsstrafe nicht schlechthin für alle Vertragsstrafen gilt, sondern nur soweit der AN aufgrund der im Gesetz genannten Folgen der Pandemie in Verzug gerät. Das bedeutet auch, dass der AN den Beweis erbringen muss, dass die Verzögerung aufgrund der Folgen der Pandemie eingetreten ist, wenn er sich auf § 4 2. COVID-19-JuBG beruft.

Auch eine nur anteilige Befreiung von der Vertragsstrafe ist denkbar, wenn es gemischte Ursachen für den Verzug gibt, die teils auf COVID-19 und teils auf andere Umstände zurückzuführen sind. Dies wird nicht selten der Fall sein.

Diese Einschränkungen bieten sowohl für AN, als auch für Auftraggeber (AG) Unsicherheiten. Erfolgte beispielsweise die Einstellung des Baustellenbetriebs zu lange, kann die Pönale dennoch teilweise anfallen. Was "zu lange" ist, wird letztendlich durch Sachverständige geklärt werden. Die Gerichte werden vermutlich klären müssen, wie sich § 4 2. COVID-19-JuBG, nach dem die Konventionalstrafe nicht zu bezahlen ist, zur von der Judikatur anerkannten Verschiebung von Pönalterminen bei kurzfristigen Verzögerungen verhält. Auch das Thema des "über den Haufen geworfenen Bauzeitplans" wird hier reinspielen – wurde durch die COVID-19 bedingte Verzögerung überhaupt der Bauzeitplan über den Haufen geworfen, könnten sämtliche Pönaltermine ohnehin ihre Wirksamkeit verlieren. Ob § 4 2. COVID-19-JuBG daher tatsächlich die Rechtssicherheit für AN und AG erhöht, ist daher fraglich.

Niedrigerer Verzugszinssatz

Während das Aussetzen der Pönalstrafe den AN begünstigt, hat der Gesetzgeber auch eine Erleichterung für den AG vorgesehen. Gemäß § 3 2. COVID-19-JuBG beträgt der Zinssatz bei Zahlungsverzug (etwa mit der Werklohnforderung) maximal 4% und müssen die Kosten der außergerichtlichen Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen nicht ersetzt werden, wenn und soweit

der Vertrag vor dem 01.04.2020 abgeschlossen wurde ("Altverträge");

die Zahlung im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 fällig wird

der AG mit der Zahlung in Verzug gerät;

der Verzug eine Folge der COVID-19-Pandemie ist, weil dadurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des AG erheblich beeinträchtigt ist.

Der AG muss den Beweis erbringen, dass diese Voraussetzungen vorliegen, wenn er sich auf § 3 2. COVID-19-JuBG beruft.

Auch nach den Regelungen der ÖNORMEN und des UGB muss der AG aber nur 4% Zinsen (und nicht 9,2 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) bezahlen, wenn er für die Verzögerung nicht verantwortlich ist, was eben bei COVID-19 bedingten Verzögerungen der Fall ist. § 3 2. COVID-19-JuBG wurde daher eigentlich nur für den Fall geschaffen, dass vertraglich ein höherer Verzugszinssatz als nach UGB oder ÖNORM B 2110, B 2118 vereinbart wurde.

Drei Praxistipps:

Auch wenn eine verschuldensunabhängige Pönale vereinbart ist, muss der AN trotz Verzugs die Pönale nicht bezahlen.

Der AN sollte genau dokumentieren, wodurch genau seine Leistungserbringung verzögert wurde. Eine pauschale Berufung auf COVID-19 reicht nicht aus!

Umgekehrt kann auch der AG von der Zahlung von vertraglich vereinbarten höheren Verzugszinsen als dem gesetzlichen Zinssatz befreit werden. Hier ist nun auch der AG berufen eine genaue Dokumentation anzufertigen, warum genau er wegen COVID-19 in Zahlungsverzug geraten ist.