Coronavirus : Anpassung von Systemen und Ressourcen ist gefragt

SOLID: Was bedeutet Ihrer Einschätzung als Präsident des Stahlbauverbands nach die Krise für den Stahlbau in Österreich, in Europa und in der Welt? Wie kommen wir raus und was wird sich ändern?

Dr. Thomas Berr: Die Covid-19 Pandemie hat uns mit ihren Folgen auf allen Ebenen unvorbereitet getroffen. Erst in Monaten oder in einem Jahr werden wir sehen, welche langfristigen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft diese Krise zur Folge hat, wie sich unser aller Leben verändert hat und ob es gelungen sein wird, die Folgen gemeinsam zu tragen. Niemand wird das alleine bewältigen, die Solidarität steht auf dem Prüfstand. Auch werden wir uns überlegen müssen, welche Rolle denn in Zukunft der EU zukommen soll.

Dem heimischen Stahlbau bietet die kleinteilige Struktur mit zahlreichen KMU die Chance, flexibel auf die aktuelle Lage zu reagieren. Dank rascher finanzieller und rechtlicher Unterstützung sowie einer bewährten Sozialpartnerschaft und mit Glück werden wir die Situation gemeinsam meistern - gesunde Unternehmen mit Reserven werden sich natürlich leichter tun.

Investitionen im Infrastrukturbereich werden auch in Zukunft erforderlich sein, und im Bereichen Langlebigkeit, Nachhaltigkeit und sparsamer Verwendung von Ressourcen ist der Stahlbau gut aufgestellt. Jedenfalls ist dies eine Chance für die Digitalisierung, die, wo es möglich ist, auch gut genützt wird. Und der Österreichische Stahlbauverband steht für alle Anliegen seiner Mitglieder bereit, um zu helfen.

Wie sieht es mit den Lieferketten aus?

In wie weit es zu Einschränkungen der Lieferketten und der Verfügbarkeit von Material kommen wird, ist noch nicht vorhersehbar. Die Mitgliedstaaten der EU bekämpfen Covid-19 unterschiedlich. Durch Erkrankungen, Verbote und Grenzschließungen werden die Lieferketten beeinträchtigt und Schadenersatzfragen gestellt. Je nach Standort kann man daher nicht produzieren, weil das Vormaterial nicht geliefert wird, oder man hat Pech, nicht produzieren zu können, weil etwa die Mitarbeiter nicht mehr über die Grenze dürfen oder unter Quarantäne stehen. Hierzu muss die EU raschest eine europaweit einheitliche Lösung finden.

Sie haben 10 Jahre ärztlicher Tätigkeit hinter sich. Wie beurteilen Sie als solcher die Lage und die getroffenen Maßnahmen?

Berr: In Krisenfällen sind trotz unvollständiger Lage-Information weitreichende Entscheidungen zu treffen, schnelle und praktikable Lösungen sind gefragt. Regierung und Behörden haben die richtigen Schritte gesetzt und effizient kommuniziert - keine einfache Aufgabe in Anbetracht immer komplexerer Regelwerke und zerstreuter Zuständigkeiten. Eine laufende Evaluierung und Nachjustierung der getroffenen Maßnahmen ist bei unseren sehr unterschiedlichen Lebenswelten in Gesellschaft und Wirtschaft natürlich unumgänglich.

Die Faktoren Zeit und konsequente Durchführung sind entscheidend. Jeder versäumte Tag und jede nicht gesetzte Maßnahme erhöht die negativen Auswirkungen der Infektion, jede früh gesetzte Einschränkung erntet heftige Kritik und jede zu spät gesetzte Maßnahme genauso.

Mit dem Thema Krisenvorsorge für nicht erlebte Fälle war in unserer Freizeit- und Spaßgesellschaft bislang kein Preis zu gewinnen. Beim Hochwasser hingegen haben wir aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt und so Risiken und Schäden vermindern können.

Jetzt besteht daher die Chance, dass die aktuellen Erfahrungen Eingang ins Risikodenken finden, um erforderliche Maßnahmen zur Anpassung der Systeme und Ressourcen für solche Fälle zu schaffen. Improvisation ist hilfreich, aber einfacher ist es allemal, wenn man Systeme und Ressourcen in Hinblick auf die Anforderungen in verschiedenen Krisensituationen vorbereitet. Dies erhöht im Ernstfall die Wahlmöglichkeiten des Handelns und strukturierte klare Aufgaben reduzieren Angst und Panik.