SOLID 07/08 2020 : Die Top 150 Baufirmen Österreichs 2020

Plattitüden würden einem ja jede Menge einfallen: dass nichts so alt ist wie die Zeitung von gestern etwa. Oder dass das mit den Prognosen schwierig ist, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Das mit den Prognosen wird wahlweise einem Kabarettisten (Karl Valentin), einem Schriftsteller (Mark Twain) und einem Naturwissenschaftler (Niels Bohr) zugeschrieben - ein wahrlich breites Anwendungsfeld.

Aber Hand aufs Herz und Ironie oder Zynismus beiseite: Die Situation, in der wir uns jetzt - Anfang Juli 2020 – befinden, ist einzigartig. Und es macht auch nichts, wenn sie das bleibt und nicht mehr wiederkommt.

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Vor drei Monaten noch hätten wir die Top-150-Liste im Wesentlichen mit der Lupe kommentiert. Der Tenor wäre gewesen: langsam läuft die Hochkonjunktur aus, aber für die Bauwirtschaft ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn die Gewässer ruhiger werden und die Aufträge vernünftig abgearbeitet werden können. Ein Ende der Nachfrage nach Bauprojekten war – auch aufgrund der offenbar pragmatisierten Niedrigzinsphase – nicht abzusehen. Wir hätten ein bisschen über die Porr geschrieben und deren Ende 2019 herausgegebene Gewinnwarnung aufgrund von finanziell nicht mehr einfangbaren Altverträgen in Polen und einem groben Schnitzer bei einem Tunnelprojekt in Norwegen (Interview mit Porr-CEO Karl-Heinz Strauss „Leider ist auch ein Patzer passiert“, SOLID 03/2020).

Und wir hätten geschrieben, dass sie das in der Bilanz ordentlich verpackt hat und die Verluste sich genau im angegebenen Rahmen gehalten hätten. Aufstehen, Krone richten, weitergehen.

Bei der Präsentation der Q1-Zahlen Ende Mai hat die Porr selber ihre Situation dann als „solide ins Jahr gestartet“ beschrieben und damit den Nerv der Zeit in der Baubranche getroffen. Der Auftragsbestand sei gut, coronabedingt habe es Leistungs- und damit Ergebniseinbußen gegeben. Es bestünde eine hohe Unsicherheit bezüglich des tatsächlichen Ausmaßes der Coronakrise und der wirtschaftlichen Implikationen aus dem Shutdown in vielen Ländern, mittel- und langfristig würden die Fundamentaltrends in der Baubranche aber stimmen. Bereits bestehende, aber auch neue Konjunkturprogramme für den Infrastrukturausbau in Europa würden voraussichtlich von Bund, Ländern und Gemeinden forciert, war die Erwartung. In vielen Ländern gebe es ja einen massiven Investitionsstau sowie einen dringenden Modernisierungsbedarf in den Bereichen Verkehrs- und Digitalinfrastruktur, Gesundheit, Bildung, Forschung und Klimaschutz.

Die Diagnose stimmt – Fragezeichen gibt es dennoch genug.

Ein zwiespältiges, fast schon schizophrenes Bild der Baubranche zeichnet das Anfang Juni publizierte Frühjahrs-Baubarometer der Info-Techno-Baudatenbank (befragt werden dazu österreichweit über 700 Unternehmen aus dem Bauhaupt- und Baunebengewerbe, Planer und Architekten): Fast 50 Prozent der Betriebe rechnen danach mit Rückgängen, gleichzeitig beurteilen knapp 35 Prozent die Geschäftslage im Vergleich zum Jahresbeginn als unverändert.

Über 70 % der Unternehmen sind mit den Auftragseingängen für das Jahr 2020 durchaus zufrieden, trotzdem zeichnen die Betriebe ein trübes Zukunftsszenario – wie passt das zusammen? Offensichtlich herrscht Verunsicherung hinsichtlich der Folgeaufträge, die im Laufe des Jahres vergeben werden.

Eine Stimme dazu aus der Zuliefer- und Dienstleistungsbranche: Markus Ringer, Geschäftsführer des gleichnamigen Schalungsunternehmens sieht sein eigenes Unternehmen zwar als gut im Laufen, konstatiert aber auch: „Mit Beginn des Lock-Downs waren wir sehr intensiv im Kontakt mit unseren Kunden, um möglichst optimale Lösungen im Interesse unserer gelebten Partnerschaft zu finden. Das hat im Großen und Ganzen auch sehr gut funktioniert. Die Auswirkungen der Verzögerung bei den Genehmigungsverfahren und des damit einhergehenden Verfahrensstaus werden im zweiten Halbjahr aber wahrscheinlich zu spüren sein. Es wäre wünschenswert, dass die Genehmigungsverfahren nun zügig durchgeführt werden, damit geplante Projekte zeitnah vergeben werden können. Zusätzlich besteht die Unsicherheit über die langfristigen Effekte der Corona Krise. Unternehmen werden bei Investitionen eher zurückhaltend sein, die langfristigen Folgen für den Tourismus sind noch schwer abschätzbar und auch die öffentliche Hand wird nicht unbeschränkt Geld ausgeben können.“

Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Einerseits ist es guter und gewohnter Brauch, dass die öffentliche Hand in und nach Krisen in Bau- und Sanierungsvorhaben investiert. Das nennt sich dann Konjunkturpaket und hat als eigentlichen Hauptzweck, Arbeitsplätze zu erhalten oder durch Krisen verloren gegangene wieder anders zu schaffen.

Aber die Corona-Krise ist da noch einmal eine andere Nummer; anders als normale, fast zyklische (die halbwegs berechenbaren Zyklen sind auch ein wenig abgeschafft worden, wenn man ehrlich ist) Krisen sowieso, aber selbst als die Finanz- und Wirtschaftskrise vor einem guten Jahrzehnt. Zieht man dafür etwa die Kurzarbeit als Indikator heran, liefert die Agenda Austria dazu folgende Zahlen: Hatten in der Rezession 2009 508 Betriebe Kurzarbeit beantragt, waren es Mitte April 2020 fast 43.000. Und waren es in der Rezession nach der Finanzkrise noch insgesamt 113,5 Millionen Euro an Förderungen, wurden per 13. April 2020 bereits drei Milliarden Euro genehmigt. Weitere Anträge im Ausmaß von 1,8 Milliarden Euro wurden zu diesem Zeitpunkt noch bearbeitet.

Man muss und soll da jetzt nicht schwarzmalen, aber hinsichtlich des Füllhorns Öffentliche Hand ist (und das ist nicht die Erfindung des Autors, sondern die Unterströmung etlicher Gespräche der letzten Wochen) möglicherweise doch ein wenig Vorsicht angebracht - und zwar umso mehr, je tiefer die Ebene wird. Denn der Bund hat zwar ein eine Milliarde Euro schweres kommunales Investitionsprogramm auf die Reise geschickt – allerdings mit der Bedingung, dass die Gemeinden 50 Prozent der jeweiligen Projektkosten selber tragen. Diese schwimmen allerdings in allem möglichen, nur nicht in Geld: „Die Einnahmenlücke, die 2020 ein enormer Krater sein wird, reicht von fehlenden Elternbeiträgen bei der Kinderbetreuung über geringere Gebühreneinnahmen und einen deutlichen Dämpfer der eigenen Wirtschaftstätigkeit bis hin zu wahrscheinlich zumindest zweistelligen prozentuellen Rückgängen bei der Kommunalsteuer und den Ertragsanteilen“, meint Konrad Gschwandtner vom Österreichischen Gemeindebund.

Auch das in einer kürzlich veröffentlichten von Wienerberger beauftragten Marketagent.com-Umfrage ermittelte zunehmende Interesse der Österreicher an einem eigenen Haus mit Garten stößt an materielle Grenzen: man wolle zwar gerne durchschnittlich 380.000 Euro für Haus und Grund investieren, aufgrund der unsicheren Situation am Arbeitsmarkt in Folge der Corona-Krise würde jedoch knapp die Hälfte der Befragten von einer Investition derzeit absehen.

Für die Unternehmen der Baubranche (nicht nur die Bauausführenden) bedeutet das vor allem eines: Unsicherheit. Aber gerade die Baubranche hat es über die Jahre und Jahrzehnte gelernt, mit Unsicherheiten umzugehen und mit knappen Margen zu leben.

Für diejenigen, die mit Altlasten zu kämpfen haben, könnte es allerdings eng werden. Was man sich vor fünf Jahren von der damals als unmittelbar bevorstehend betrachteten Zinswende erwartet hatte, könnte nun Corona besorgen: die Marktbereinigung, die nach der Alpine-Pleite 2013 aufgrund der damaligen Nationalratswahl und damit verbundener Auffanglösungen nicht stattgefunden hat.

Der neue Leiter der Insolvenzabteilung des KSV1870 Karl-Heinz Götze rät auf jeden Fall, bei massiven Schieflagen Insolvenzen nicht länger hinauszuzögern als nötig: „Gerade im Bereich der Bauwirtschaft hat die Insolvenzantragstellung durch die Finanzbehörden und Gesundheitskasse eine wichtige Funktion. Zum einen werden dadurch weitere Schäden, die in massive Schieflage geratene Unternehmen im Regelfall verursachen, verhindert. Außerdem ist dieses Zeigen der Gelb-Roten Karte Voraussetzung für einen fairen und marktwirtschaftlich orientierten Wettbewerb. Bestehen Sanierungschancen, so kann nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zügig eine Sanierung über einen Sanierungsplan angegangen werden. Bestehen keine Sanierungschancen, so entsteht nach dem Ausscheiden über einen Konkurs Platz für neue innovative Marktteilnehmer.“

Die derzeitigen Zahlen deuten allerdings nicht auf einen unmittelbar bevorstehenden großen Insolvenzschub in der Bauwirtschaft hin, die Überschuldungssummen sind jedoch im Steigen: im 1. Halbjahr 2019 wurden rund 300 Insolvenzen in der Bauwirtschaft eröffnet, im Jahr 2020 werden es hochgerechnet rund 210 sein - ein Minus von rund 30 Prozent. Die Passiva andererseits beliefen sich 2019 auf 101 Millionen Euro, während man 2020 mit rund 120 Millionen rechnet - also einem Plus von rund 20 Prozent.

Lernen aus der Krise

In jeder Krise, so lautet eine weitere Plattitüde, steckt auch eine Chance. So sind in den vergangenen Wochen einige Studien erschienen, die der Baubranche Möglichkeiten und Richtungen zeigen wollen, wie sie das Beste aus Corona machen kann.

So publizierte etwa McKinsey & Company eine Studie mit dem Titel „The next normal in construction – how disruption is reshaping the world’s largest ecosystem“. Die Corona-Pandemie werde demzufolge weltweit einen dramatischen Umbruch in der Bauwirtschaft beschleunigen: „Die Digitalisierung, neue Fertigungsverfahren und Materialien sowie vermehrte Zusammenschlüsse von Unternehmen werden die Baubranche grundlegend verändern. Im Ökosystem Bauen, das neben den Bau-Unternehmen auch Bauherren, Projektentwickler, Materialanbieter und Verleiher von Baumaschinen umfasst, werden aktuell weltweit 11 Billionen US-Dollar Wertschöpfung generiert, bei einem Gesamtgewinn von rund 1,5 Billionen Dollar. In den kommenden 15 Jahren sind zusätzliche Gewinne von jährlich bis zu 265 Mrd. Dollar möglich. In den am stärksten umgewälzten Segmenten wie dem Wohnungs- oder Hotelbau werden bis zu 45% der Bruttowertschöpfung neu verteilt werden,“ heißt es bei McKinsey.

Das Berliner Ausschreibungs- und Nachunternehmer-StartUp Cosuno Ventures wiederum gibt „Fünf Tipps, wie Bauunternehmen gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen“: Gemeint sind damit der Einsatz von neuen Technologien, verstärkte Schulung von Personal, Optimierung der Lieferketten, Offsite Construction und Nachhaltigkeit.

Das alles hinterlässt ein bisschen den Eindruck der großen Metaebene, auf der sich trefflich reden, aber nur schwer konkret handeln lässt – und es lässt die Unternehmen jedes für sich im Kampf ums (Über-)Leben oder ums weitere Verbessern an sich gesunder Marktpositionen.

Spannender – und nicht zuletzt für heimische Unternehmen naheliegender – könnte da ein neuer Ansatz aus Österreich sein. Die Initiative #lernenausderkrise versucht sich an einem branchenübergreifenden 360°-Blick auf Unternehmen in Österreich und deren gemeinsames Potenzial, Menschen in Organisationen und Unternehmen für die kommenden Herausforderungen besser gerüstet zu machen. Impulsgeber und Initiatoren dieser „Corona Deep Dive Learning“-Initiative sind der langjährige Stahlbauverantwortliche von Alu König Stahl, Thomas Dorner, und die Marketingprofis Katharina Sigl und Margit Berner.

„Es geht darum, heute gemeinsam zu lernen, was Unternehmen morgen stark macht,“ erklärt Dorner und: „Wichtig ist dazu, dass wir gut verstehen, welche gesetzten Maßnahmen effektiv und welche ineffektiv waren und dabei ebenso hinterfragen, was gefehlt und möglicherweise sehr hilfreich gewesen wäre,“ so Dorner.

14 Fachexpertinnen und -experten gehen dafür branchenübergreifend mit Führungspersonen ins Gespräch und erheben deren aktuelle Erfahrungen und Erkenntnisse im Umgang mit der Krise. „Wir reden dabei mit Verantwortlichen in Finanz, HR, Produktion, Einkauf, Vertrieb, Marketing, Customer Service, IT, Geschäftsführung bis zu Innovation und Digitalisierung,“ so Dorner.

Die Erkenntnisse sollen allen Interessierten zugänglich sein und dienen somit unmittelbar der Stärkung der Innovationskraft eines jeden Unternehmens bei.

Mit an Bord ist auch die Industriellenvereinigung Österreich, deren Generalsekretär Christoph Neumayer meint: „Wir begrüßen ausdrücklich das Ziel des Projekts, die Auswirkungen der Corona-Krise branchenübergreifend zu untersuchen und daraus die entsprechenden Learnings zu ziehen. So kann es gelingen, die Resilienz zu steigern und Unternehmen fit für künftige Herausforderungen zu machen.“

„An Corona ist gar nichts gut“ – so fasste es der Grüne Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch kurz, knapp und treffend Ende April im Radio zusammen. Aussuchen hat es sich aber auch die Baubranche nicht können. Wir müssen und dürfen gespannt sein auf die Ergebnisse der Bauunternehmen aus dem laufenden Jahr, die wir Ihnen Mitte 2021 präsentieren werden können.

Der Vergleich zu den Zahlen, die Sie in der aktuellen Tabelle aus diesem Jahr sehen können, wird auf jeden Fall spannend.

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