EU-Entsenderichtlinie : Wirtschaftskammer kritisiert "Scheindebatte"

"Sehr skeptisch" sieht die Wirtschaftskammer (WKÖ) die aktuelle Reform der EU-Entsendrichtlinie. Aus österreichischer Sicht sei das eine "eine wirkliche Scheindebatte", so Markus Stock, Leiter des EU-Büros der WKÖ am Dienstag in Brüssel. Es müssten die "echten Probleme" wie Scheinselbstständigkeit und Sanktionen bei Verstößen im Mittelpunkt der Debatte stehen und nicht die Dauer der Entsendung.

Die aktuelle Reform der Entsenderichtlinie, deren Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" innerhalb der EU ist, sieht vor allem eine Änderung der Dauer der Entsendung vor. Die EU-Staaten wollen ein Jahr, die EU-Kommission schlug 24 Monate vor, ein Beschluss des EU-Parlaments steht noch aus.

Stock geht diese Debatte am Thema vorbei. Zwar sei seit einem Jahr eine Richtlinie zur Durchsetzung der Entsenderichtlinie in Kraft, in der Praxis sehe das allerdings anders aus, kritisierte Stock. Würden österreichische Behörden etwa Mitgliedstaaten über Verstöße informieren, mit der Bitte diese zu sanktionieren, käme aus manchen Staaten "nichts retour". Auch, so der WKÖ-Leiter in Brüssel, würde die Dauer der Entsendung niemanden von "Scheinselbstständigkeit" abhalten.

Positiv sieht die Wirtschaftskammer, dass in dem vorläufigen Beschluss der EU-Sozialminister der Transportsektor ausgenommen wird. Änderungen in diesem Bereich könnten unter anderem zu "Rechtsunsicherheiten" bei den Unternehmen führen, warnte WKÖ-Vertreter Franz Brudel.

Im Verkehrssektor liegen auch weitere Vorschläge auf dem Tisch, die von der WKÖ kritisiert werden. So will die EU-Kommission ein europäisches, kilometerabhängiges Lkw-Mautsystem schaffen. Bis 2027 soll das auch für Pkw gelten, kritisiert Brudel. Hier könnten "erheblichen Mehrkosten" sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer entstehen.

Kritisch sieht die Wirtschaftskammer auch den jüngsten Vorschlag der EU-Kommission für ein Mehrwertsteuersystem. Um gegen Betrug bzw. sogenannte Karussellgeschäfte anzukämpfen, sollen spätestens ab 2022 grenzübergreifende Mehrwertsteuerumsätze eingehoben werden. Herangezogen wird der Betrag des Landes, in dem der Endverbraucher sitzt. Derzeit muss ein Unternehmen, das ins EU-Ausland exportiert, keine Umsatzsteuer abliefern.

Die WKÖ-Vertreterin Sophie Windisch warnt hier vor "Rechtsunsicherheiten bei Unternehmen", denn diese müssten dann schließlich auch die Rechte der "Bestimmungsländer" kennen. Neben dem bürokratischen Mehraufwand sieht Windisch auch sprachliche Barrieren sowie Sicherheitsbedenken. "Die Mitgliedstaaten müssen einander vertrauen", dass die richtigen Steuersätze abgeführt werden, so die WKÖ-Vertreterin und fügt hinzu: "Derzeit herrscht noch Misstrauen." Auch das Binnenmarktinformationsinstrument der EU-Kommission lässt laut WKÖ einige Fragen offen.

Was den mehrjährigen EU-Finanzrahmen ab 2021 betrifft, sieht die Wirtschaftskammer ungeachtet des Brexit die Herausforderung auf der "Ausgabenseite weniger auf Eingangseite". Hier werden unter anderem mehr Investitionen in EU-Forschungs- und Innovationsrahmenprogramm post-2020, in das COSME-Programm für Wettbewerbsfähigkeit oder auch in Initiative Connecting Europe gefordert. Auch müsste der Fokus des Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) weiter auf der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Regionen liegen. (APA)

© Michael Hetzmannseder