Virtuelle Besichtigungen & Corona : Was können distanzierte Einblicke?

Mitte März wurde Österreich wegen des grassierenden Corona-Virus auf Notbetrieb heruntergefahren. Die Pandemie hat den Globus fest im Griff. Die aus der Krise resultierenden Veränderungen sind vielfältig und gravierend. Selbstredend betreffen sie auch die heimische Immobilienbranche. So verlagern sich Besichtigungen aufgrund der Einschränkungen des persönlichen Kundenkontakts zunehmend in die virtuelle Welt. Dabei muss eine Hoffnung von Anfang klein gehalten werden. Und zwar, dass ein Wohnobjekt nach einer derartigen Begehung angemietet oder gar gekauft wird. „Don’t!“, sagen dazu Experten wie Wolfgang Spitz, Head of IT bei Re/Max Austria, und erläutert (siehe Interview): „Wir betrachten virtuelle Besichtigungen als ein Qualifizierungstool, das Interessenten bei der Entscheidung, ob sie eine Immobilie auch real sehen wollen oder nicht, unterstützen soll.“

Die einfachste Form für virtuelle Besichtigungen sind laut Spitz 360-Grad-Bilder. Diese lassen sich in einem nächsten Schritt zu einer 360-Grad-Tour verknüpfen. Beides ist sowohl bei realen als auch bei Objekten in der Entwicklungsphase möglich. Darüber hinaus kommen natürlich Videos zum Einsatz – in verschiedenen Ausprägungsformen. So werden Video-Präsentationen der Immobilie, in denen Re/Max-Makler durch das Objekt führen, und Luftaufnahmen durch Drohnen gemacht.

Ein Nein zur Aufbereitung von Abstellräumen

Vor einem Kardinalfehler warnen Experten angesichts der Zunahme von virtuellen Besichtigungen, nämlich die Relevanz des schriftlichen Exposés geringer zu schätzen. Denn keinesfalls dürfen nun die Immobilie beschreibende Texte vernachlässigt werden. Dabei bevorzugen manche Interessenten blumige Schilderungen, andere sachliche Daten. Auch Pläne und Dokumente müssen passen. Die 360-Grad-Tour selbst muss stets mit dem Highlight des Objekts beginnen. Das ist bei einer Dachgeschoßwohnung nicht der Stiegenaufgang, sondern die Terrasse oder der Ausblick. Mangels Mehrwert ist es hingegen sinnbefreit, Abstellräume virtuell aufzubereiten.

Apropos virtuelle Aufbereitung: Dabei geht es oft um vermeintliche Banalitäten, wie dass die Wohnung oder das Haus aufgeräumt ist. Idealerweise sorgen im Gegenteil virtuelle Home-Staging-Maßnahmen in Form dezenter Accessoires für Wohlfühlatmosphäre. Also hier ein elegant drapiertes Sofakissen, dort ein flockiges Blumensträußchen, ein gekonnt platziertes Bild an der Wand und alles gefällig aufeinander abgestimmt. Auch spricht häufig vieles für ein umfangreiches virtuelles Home Staging, das mit der richtigen Technik problemlos machbar ist. Zunächst werden professionelle Fotos vom Inventar geschossen und anschließend am Computer bearbeitet. Die jetzigen Möbel können wie von Zauberhand entfernt und durch neue ausgetauscht werden, Wände und Decken bekommen einen freundlichen Anstrich, der Fußbodenbelag verschönert sich etc. Freilich besteht hier die Gefahr, dass der Interessent das Objekt bei der realen Besichtigung nicht wiedererkennt…

Darüber hinaus gilt es zu vermeiden, ältere Menschen wegen der Technik punkto Affinität zu virtuellen Besichtigungsmöglichkeiten zu unterschätzen. Markus Dejmek, Österreich-Geschäftsführer von ImmobilienScout24, merkt dazu an: „Gerade jetzt greifen viele in der Generation 60 Plus zur Möglichkeit von Facetime & Co, um den regelmäßigen Kontakt mit ihren Lieben aufrechtzuerhalten. Damit wird für sie die Handhabung digitaler Kommunikation alltäglich.“ Sie nehmen auch an Video-Live-Besichtigungen teil. Seit 17. März 2020 kennzeichnet ImmobilienScout24 speziell sämtliche Objekte, die Interessenten auf der Plattform auf diese Art virtuell genauer unter die Lupe nehmen können. Bei der Video-Live-Besichtigung geht der Makler durch die Wohnung und streamt den Rundgang über WhatsApp, Zoom oder ein anderes Videoformat. Die Immobiliensuchenden können Fragen stellen und Details mit dem Makler klären.

Stadt vor Land

Wie schon erwähnt, fallen ältere Menschen auf jeden Fall in die Zielgruppe virtueller Touren. Was das Geschlecht betrifft, tun es primär Frauen. Das liegt daran, dass in Beziehungen sie und nicht die Männer es sind, die die Immobiliensuche vorantreiben. Städter bilden eine weitere Zielgruppe. Da Interessenten, wenn sie mieten wollen, mehr – jedoch oberflächlicher – Objekte als bei einem Kauf prüfen, kommen virtuelle Besichtigungen eher in den Ballungsräumen als auf dem Land zum Einsatz. Denn in den Städten gibt es bekanntlich mehr Mietwohnungen als auf dem Land. Auf ihre Bedürfnisse muss bei der Gestaltung von virtuellen Besichtigungen besonders eingegangen werden; während und auch nach Corona.

Luxusimmobilien besonders geeignet

Aber auch und gerade bei Zwei-Zimmer-Mietwohnungen machen virtuelle Besichtigungen Sinn, weiß Wolfgang Spitz, Head of IT bei Re/Max Austria.

SOLID: Wie anspruchsvoll ist es, eine virtuelle Besichtigung für eine Wohnimmobilie zu gestalten?

SPITZ: 360-Grad-Bilder online zu stellen, ist in wenigen Augenblicken geschehen. Aus diesen Bildern einen Rundgang anzufertigen und somit diese Bilder zu einer Tour zu verknüpfen, nimmt eine Viertelstunde in Anspruch. Die Dauer steigt freilich mit der Größe der Wohnimmobilie und den Details, die man vermitteln möchte. Seit 2016 merken wir, dass die breite Öffentlichkeit auf virtuelle Besichtigungen anspricht und seither forcieren wir den Einsatz dementsprechend. Alle Standorte verfügen zum einen über die notwendige Ausrüstung und zum anderen haben wir qualifizierte Kooperationspartner – Dienstleister, die uns und unsere Makler unterstützen.

SOLID: Wie erfolgt der Zugriff auf die virtuellen Besichtigungen?

SPITZ: Nahezu alle virtuellen Besichtigungen von Re/Max findet man auf unserer Website. Sie sind somit frei zugänglich. Bei einigen, etwa wenn es um den Schutz des Abgebers geht, ermöglichen wir den detaillierten Zugriff erst auf Anfrage. Generell betrachten wir virtuelle Besichtigungen als ein Qualifizierungstool, dass Interessenten bei der Entscheidung, ob sie eine Immobilie auch real sehen wollen oder nicht, unterstützen soll.

SOLID: Machen virtuelle Besichtigung sowohl bei Kauf- als auch bei Mietobjekten Sinn?

SPITZ: Auf jeden Fall. Die Entscheidung für oder gegen eine virtuelle Besichtigung hängt nicht mit der Unterscheidung von Kauf- oder Mietobjekten zusammen. Gerade wenn ich als Interessent zum Beispiel auf der Suche nach einer Zwei-Zimmer-Wohnung bin, ist es toll, die Möglichkeit zu nutzen, von zu Hause aus, viele passende Objekte in kurzer Zeit virtuell zu besichtigen und dann eine nähere Auswahl für jene Wohnungen zu treffen, die für eine reale Besichtigung in Frage kommen. Egal, ob die Wohnung jetzt zu kaufen oder zu mieten ist.

SOLID: Welche Personengruppen sprechen auf virtuelle Besichtigungen an, welche nicht?

SPITZ: Wenig überraschend sprechen Digital Natives sehr gut an. Sie zeigen keinerlei Berührungsängste. Bei älteren Menschen bedarf es gelegentlich einiger Erklärungen, damit sie dieses Besichtigungsformat annehmen – und dann davon begeistert sind. Mit der Technik haben sie in der Regel keine Probleme, da diese auch mittlerweile soweit fortgeschritten ist und bei jedem Endgerät auch einwandfrei funktioniert.

SOLID: Welche Objekte eignen sich für virtuelle Besichtigungen, welche nicht?

SPITZ: Es eignen sich beinahe alle Immobilien-Typen. Die Art der Immobilie entscheidet hier oftmals über die Details einer virtuellen Besichtigung. Beginnend bei kleinen Wohnungen bis hin zu größeren Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern. Man kann sich mit Sicherheit gut vorstellen, dass, je großzügiger Immobilien an sich sind, desto beeindruckender können virtuelle Besichtigungen gestaltet werden. Das gipfelt natürlich im Luxussegment – und ja auch hier oder gerade hier besichtigen viele Interessenten mittlerweile virtuell.

Es gilt, 360-Grad-Touren nicht als Ersatz für reale Besichtigungen zu betrachten. Vielmehr dienen sie Interessenten als Qualifizierungstool, ob sich eine reale Besichtigung lohnt oder nicht.

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