U-Bahnbau : Verlängerung der U1: Takt und Rhythmus beim Großprojekt

Die U1 ist die älteste U-Bahn in Wien – bald wird sie auch die längste sein. Nächstes Jahr kommen im Gemeindebezirk Favoriten nach Süden hin weitere fünf Stationen und 4,6 Kilometer Länge hinzu. Die rote Line, schon seit den 1970er Jahren in Betrieb, fährt dann auf einer Gesamtlänge von über 19 Kilometern. Dann werden Fahrgäste, genau wie heute auch, auf ruhig und stabil rollenden Rolltreppen nach unten fahren, an lautlos sich öffnenden Aufzugtüren vorbei gehen, der freundlich zurückhaltenden Durchsage lauschen und schließlich in eine Garnitur steigen, die mit einem Surren unter ihren Füßen losfährt. Und währenddessen wird sich so gut wie niemand Gedanken darüber machen, wie viel Hightech in diesem U-Bahnnetz und in jeder einzelnen Station steckt. Wie komplex die Systeme sind, die für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Und wie viel Arbeit am Bau schließlich nötig war, um die Räume für all das zu schaffen.

Doch gerade in diesen Tagen wird ein Teil dieser Arbeiten sichtbar - direkt auf der Verlängerungsbaustelle der U1. Diese Verlängerung ist ein echtes Großprojekt nicht nur für die Wiener Linen, sondern auch für die Baufirmen, die mit der Umsetzung betraut sind. Denn auch für große Konzerne ist dieses Vorhaben alles andere als alltäglich.

Tunnel und Gleise 25 Meter unter Geländeniveau

Das war bereits beim ersten Baulos gut sichtbar. Südlich vom Reumannplatz, der heutigen Endstation, waren Tunnel und Gleise in einer Tiefe von 25 Metern unter Geländeniveau zu errichten. Die Fundamente darunter reichen bis zu 40 Meter unter Geländeniveau. Und das direkt unter dem dicht besiedelten Gebiet der Großstadt, gebaut mit schweren Maschinen, die dazu erst in diese Tiefe gebracht werden mussten. Aufträge auf dieser Strecke übernahmen die Arge aus Swietelsky und Max Bögl Austria sowie die Strabag. Heute ist der Fertigstellungsgrad auf der gesamten Verlängerung sehr hoch – die Baufirmen liegen großteils im Zeitplan, die Rohbauarbeiten sind weitestgehend abgeschlossen. Im September 2017 soll die gesamte Verlängerung fertig sein.

Weiter südlich taucht die U1 auf Geländeniveau auf und fährt zur künftigen Endstation Oberlaa neben der Therme Wien. Die letzten drei Baulose konnte ein direkter Nachbar für sich entscheiden: Die Baufirma Porr, die ihren Konzernsitz bekanntlich ebenfalls in Favoriten hat.

Vorab einige Besonderheiten dieser 2400 Meter langen Strecke: Spezialtiefbau und ein Stahlbetonbau gemäß der ÖBV-Richtlinie "Weiße Wanne". Das hydraulische Einschieben des Rahmens von zwei Unterführungen direkt unter die Donauländebahn. Das Einheben eines Stahl-Glas-Stegs mit dem größten Autokran Österreichs. Bei allen Projekten: Eine extreme Termintreue wegen der wiederholt notwendigen Gleissperren. Und: Die Vergabe vom Baulos U1/13 als Teil- Generalunternehmung, eine Seltenheit im Bahnbau.

Eine Seltenheit: Die Vergabe als Teil-GU

Denn die Porr, die eine Bauleistung von 3,5 Milliarden Euro im Jahr erwirtschaftet, gerade eine U-Bahn in Katar errichtet und maßgeblich am Europas größter Baustelle Stuttgart21 beteiligt ist, punktet auch beim Großauftrag im eigenen Gemeindebezirk mit unterschiedlichen Leistungen aus einer Hand. Das war wohl auch der Grund, warum die Wiener Linien das Baulos U1/13 als Teil-GU vergeben haben. Dazu sagt Konzernchef Karl-Heinz Strauss: "Der Auftrag ist innerhalb der Wiener Linien ein Pilotprojekt – üblicherweise werden die unterschiedlichen Gewerke getrennt voneinander vergeben." Auch bei den Abschnitten 14 und 15 übernehme die Porr Leistungen vom Straßenbau, Grundbau und den Abdichtungsarbeiten bis zum Gleisbau.

Im Herbst 2013 kam der Zuschlag, im Jänner 2014 ging auf U1/13 die Arbeit los. Die wichtigste Aufgabe hier: Die Errichtung der riesigen "Weichenanlage Favoritenstraße" inklusive der Stellwerksgebäude. Denn mit der jetzigen Verlängerung wird es voraussichtlich nicht getan sein: Eines nicht allzu fernen Tages soll eine weitere Abzweigung der U1 nach Rothneusiedl auf Stelzen gebaut werden. Die U-Bahn soll dann abwechselnd nach Oberlaa und in die künftigen Stadterweiterungsgebiete in Rothneusiedl am südlichsten Rand von Wien fahren können. Die Weichenanlage ist die zentrale Voraussetzung dafür, mit den dazu gehörigen Pfeilerfundamenten und Bewehrungsanschlüssen im Untergrund.

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Ab dem Frühjahr 2014 legte die Mannschaft der Porr mit dem Spezialtiefbau los. Christoph Brenner, Bauleiter auf der U1/13, erzählt: "Die Strecke hier ist eine Linienbaustelle. Die einzelnen Schritte passieren im Abstand von zwei bis vier Wochen hintereinander, in einer Kette. Takt und Rhythmus sind die wichtigsten Kennzeichnen einer Linienbaustelle. In die genaue Taktung muss man am Anfang viel investieren, aber dann läuft es."

Die einzelnen Schritte hier: Das Baufeld frei machen, Kampfmittelsondierung und dann die Erstellung von rund 900 Bohrpfählen mit 120 Zentimentern Durchmesser und mit insgesamt 14.000 Meter in der Vertikalen. Die Zwischenräume der aufgelösten Bohrpfahlwände sicherte die Mannschaft mit einer Spritzbetonausfachung. Auf die Wände kam ein wuchtiger Stahlbetondeckel. Und erst danach folgte der Aushub des Tunnels in geschlossener Bauweise mit einem Aushubvolumen von 80.000 Kubikmetern.

Bemerkenswert beim Stahlbetonbau ist die Ausführung gemäß der ÖBV-Richtlinie "Weiße Wanne". Der Grund: Ein U-Bahn-Bauwerk muss extrem strenge Vorschriften an die Wasserdichtigkeit erfüllen, was beim Betonieren bedeutet, dass die Wand Risse von maximal 0,20 Millimeter aufweisen darf – also praktisch wasserdicht sein muss.

Das erreicht man mit möglichst niedriger Abbindetemperatur. Denn je höher die Abbindetemperatur, desto höher die Gefahr von Rissen. Dazu hat der Betonlieferant Perlmoser den Zement für das Projekt bereits in seinem Mischwerk am Alberner Hafen teilweise bis zu Minusgraden mit flüssigem Stickstoff gekühlt. Um die Abbindewärme zusätzlich zu senken, wurde im Beton Flugasche verarbeitet, ein Filterprodukt aus Wärmekraftwerken. Fugenlose Schalungen und SynergieeffekteSchließlich kam beim Betonieren neben einer Stützbockschalung auch ein von der Firma Peri eigens entworfener, 20 Meter langer Schalwagen zum Einsatz, mit dem die Wände und die Decke monolithisch betoniert wurden – also in einem Guß und ganz ohne Fugen. Mitte Dezember 2015 feierte schließlich die Mannschaft von Christoph Brenner im Bereich der Weichenanlage Favoritenstraße den Lückenschluss mit dem Betonieren der letzten Bodenplatte – jetzt bleibt nur mehr der "Feinschliff". An der Grenze zum Baulos U1/14 werden sehr anschaulich die Synergieeffekte zwischen den einzelnen Mannschaften der Porr sichtbar: Durch eine Lücke in der Wand konnten Lkw das Baulos 13 beliefern – wäre dies das Gelände eines Konkurrenten, wären viele Abstimmungen mit diesem und mit dem Bauherrn nötig, erklären die Porr-Baumanager bei einem Rundgang.

Die Leitung der anderen beiden Baulose, 14 und 15, hat Herbert Beran übernommen. Die U-Bahn steigt hier in einem Wannenbauwerk aus der Tieflage in Niveaulage auf und erreicht kurz danach die Station Neulaa. Eine Trassenführung in Niveaulage ist bei einer Wiener U-Bahn ebenfalls eine Seltenheit. Das erschien jedoch hier, wo die Bebauung weitaus weniger dicht ist als in den innerstädtischen Bereichen, als die sinnvollste Lösung. Auch wird das Areal bereits von der bestehenden Donauländebahn zerschnitten, so dass sich eine Trassenführung als "Hochbahn" erübrigt. Zugang zum Bahnsteig hydraulisch eingepresstDie Aufgaben auf dem Baulos U1/14: Vor allem die Station Neulaa, die Strecke in Niveaulage mit umfangreichen Erd- und Gleisbauarbeiten, aber dazu auch die Errichtung eines eingeschütteten Betriebsgebäudes, zweier Abstellhallen und einer Dachrevisionshalle, in der die Gleise auf Stelzen unterhalb von hoch eingebauten Stegen verlaufen, damit man die Garnituren von unten und von oben warten kann.Bautechnisch besonders interessant ist die Errichtung von zwei Zugängen zur U-Bahn direkt unter der Donauländebahn, die die Per-Albin-Hansson-Siedlung und die Gebiete südlich der Bahn erschließen.

Bauleiter Herbert Beran erklärt die einzelnen Schritte: Zunächst haben die ÖBB an einem Wochenende die Gleise oberhalb der künftigen Unterführung durchgeschnitten und in die Lücke eine Hilfsbrücke mit bereits darauf installierten Schienen geschoben. Nach dem Ausheben der Grube unter der Hilfsbrücke erstellte die Mannschaft von Beran nebenan mit Stahlbeton den Rahmen für die Unterführung. Danach wurde dieser Rahmen mit hydraulischen Pressen in seine Zielposition gedrückt und der Hohlraum zwischen dem Rahmen und dem Grund verfüllt.

In einem letzten Schritt wurden die Gleise oberhalb wieder dauerhaft wiederhergestellt. Eine ganz normale Unterführung, denkt sich wahrscheinlich später ein Passant – doch zwischen dem Einbau und dem Abbau der Hilfsbrücke war Arbeit von knapp vier Monaten nötig.

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Ein weiteres Kennzeichen beim Bau der Zugänge: Die notwendigen Gleissperren. Das erfordert eine enorm genaue Planung, weil die ÖBB jede Gleissperre sehr lange im Voraus festlegen und zeitliche Überschreitungen empfindlich pönalisieren. Gleissperren waren auch ein zentraler Faktor bei einem großen Projekt auf dem Baulos U1/15: Heute führt bei der Endstation Oberlaa auf acht Metern Höhe ein lang gestreckter Steg aus Stahl und Glas sowie ein zweiter Steg aus Beton und Glas direkt von Süden auf den Bahnsteig und dann zur Therme Wien. Die Herstellung übernahm im Auftrag der Porr die Firma Metallglas.at.

Doch weil der 60 Meter lange und etwa 120 Tonnen schwere Steg über die Donauländebahn geht und Arbeiten oberhalb von Bahnstrecken im Betrieb streng verboten sind, musste diese wichtige ÖBB-Verbindung komplett gesperrt werden. "Wann genau diese Sperre ist, stand bereits bei der Ausschreibung des Auftrags im Sommer 2013 fest: Im April 2015 für insgesamt 32 Stunden", erklärt Herbert Beran. Punktgenaues Bauen bei einem Großprojekt war also gefragt, und das viele Monate im Voraus. Zum Einsatz kam schließlich der größte in Österreich verfügbare Autokran, ein 100-Tonnen-Gerät von Prangl. Der Aufbau und der Abbau des Krans dauerte jeweils eine Woche. Der Standort des Krans musste so gewählt werden, dass man während der Gleissperre gleich beide Teile des Stegs einheben konnte, und die dazu gehörenden, tonnenschweren Glaselemente ebenfalls. Doch genau nach der festgesetzten Frist konnten die ÖBB die Donauländebahn unter dem Steg wieder befahren. Und es sieht alles so aus, dass auch die Wiener Linien in genau der festgesetzten Frist die Verlängerung der U1 in Betrieb nehmen werden. ////

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Großprojekt Verlängerung U1Verlängerung gesamt: 4600 Meter Auftraggeber: Wiener LinienFünf Stationen ab Reumannplatz: Troststraße, Altes Landgut, Alaudagasse, Neulaa, Oberlaa (Therme Wien)Kosten gesamt: rund 600 Millionen Finanzierung: Stadt Wien und Bund je HälfteVorarbeiten: Ab Herbst 2010Baubeginn: Ab Frühjahr 2012Eröffnung geplant: September 2017Baulos U1/8 Alaudagasse: Auftragnehmer: Arge aus Swietelsky und Max Bögl Austria Auftragswert: 31,6 Millionen EuroBauleistungen: Tunnelbau, Rohbau, Baumeisterarbeiten, Spezialtiefbau.

Baulose U1/9 "Altes Landgut", U1/10 "Troststraße"Auftragnehmer: StrabagAuftragswert: 90 Millionen EuroBauleistungen: Tunnelbau, Ingenieurbau, Spezialtiefbau.

Die drei Baulose der PorrFinanzvolumen gesamt: 68 Millionen EuroLänge gesamt: 2400 Meter

Baulos U1/13: "Weichenanlage Favoritenstraße"Baukosten: 20,53 Millionen EuroUmfasst u.a.: Weichenanlage Favoritenstraße; bauliche Maßnahmen für spätere Verlängerung der U1 nach Rothneusiedl; Rampen- und Wannenbauwerke; konstruktiver Stahlbetonbau laut ÖBV-Richtlinie "Weiße Wanne".

Baulos U1/14: "Neulaa"Baukosten: 32,40 Millionen EuroUmfasst u.a.: Station Neulaa; Zugänge unter der Donauländebahn; Betriebsgebäude, Abstellhallen, Dachrevisionshalle.

Baulos U1/15: "Oberlaa" Baukosten: 15,35 Millionen EuroUmfasst u.a.: Endstation Oberlaa, Stahl-Glas-Steg und Beton-Glas-Steg; Unterführung; Abbruch und Neubau einer Brücke; Wendeanlage samt Halle und Betriebsgebäude.

[Solidbau.at - SOLID 07 / 2016]