SOLID 11/2016 : Strauss: "Gesetzgeber will gar keine Marktbereinigung am Bau"

Strauss Porr 2016
© Porr AG

SOLID: Sowohl aus Porr als auch UBM kommen in den letzten Monaten nur Jubelmeldungen über Ergebnisse, Einstufungen am Aktienmarkt etc. Auf welche sind Sie am meisten stolz?

Karl-Heinz Strauss: Auf alle. Beide Firmen haben eine klare Strategie und die heißt: Fokus auf das, was man kann. Bei der Porr haben wir vor Jahren die Strategie des intelligenten Wachstums eingeschlagen und die verfolgen wir konsequent. Wir wachsen in den fünf Heimmärkten Österreich, Schweiz, Deutschland, Polen und Tschechien. Dort gibt es auch allgemeines Wachstum im Bau. Und dann setzen wir auf sogenannte Projektmärkte, wo wir mit unserer Infrastrukturkompetenz - Tunnelbau, große Verkehrsbauwerke, Bahnbau - in attraktiven Märkten tätig sind.

Welche sind das?

Strauss: Das ist nach wie vor Katar, wo wir sehr erfolgreich sind und auch das Geld im Voraus bezahlt bekommen. Wir bauen dort das Al-Wakrah-Stadion, statten aber auch bei der U-Bahn alle Linien mit unserem System Feste Fahrbahn aus - nicht nur die Green Line, die wir komplett selber bauen. Sonst haben wir alle Aktivitäten auf der arabischen Halbinsel gestoppt - schon vor eineinhalb Jahren, nicht erst jetzt, wo es jeder tut. Außerdem sind wir in Norwegen, der Slowakei, Rumänien, Bulgarien und neuerdings auch im britischen Markt, den wir vorher eine Zeit studiert und dann mit Skanska UK einen der leistungsfähigsten und renommiertesten Partner gefunden haben.

England wundert uns jetzt ein bisschen, da man dort ja nach dem Brexit-Votum nicht so genau weiß, wie es weiter geht?

Strauss: Das stimmt schon. Aber wir haben einen sehr lukrativen Auftrag von National Gas und der Brexit kitzelt uns derzeit überhaupt nicht. Wir kaufen mehr als 95 Prozent des Materials dort ein und haben sogar eine Währungssicherung im Vertrag. Wir sind dort sehr gut aufgestellt, entspannt und interessiert.

Wie sehr hat die Porr von der Ende 2014 gelaunchten Zwei-Marken-Strategie mit der UBM profitiert?

Strauss: Die Porr ist ja das älteste Unternehmen an der Wiener Börse (die Porr AG wurde 1869 als Allgemeine österreichische Baugesellschaft gegründet, Anm.d.Red.). 2011 stand nach dem Ankauf der Anteile der Unicredit Bank Austria zur Diskussion, die Porr von der Börse zu nehmen. Die Gelegenheit wäre sehr gut gewesen. Aber wir haben gesagt: Für die Zukunft und auch ein bisschen als Zeichen der Unabhängigkeit von Banken und ähnlichen Systemen gibt es ein klares Bekenntnis zur Börse. Das bedeutet Transparenz nach außen und dass wir uns den Regeln des Kapitalmarkts unterwerfen - aber nur den Regeln und nicht den ungeschriebenen Gesetzen und Drängereien nach mehr Ergebnis und kurzfristigeren Betrachtungsweisen. Die Porr ist und bleibt unternehmergeführt, mit Konsequenz und Hartnäckigkeit. So waren wir auch in der Lage, uns komplett zu entschulden.

Gab es einen Punkt, an dem auch alles schieflaufen hätte können? Und gab es einen Plan B oder C?

Strauss: Natürlich hat es immer wieder Kreuzungen gegeben, wo man heute sagt: Da haben wir zum Glück das Richtige getan, vielleicht manchmal auch gar nicht so wissentlich. Aber wir haben nie danach entschieden, was das Beste für Karl-Heinz Strauss ist, sondern danach, was das Beste für das Unternehmen, Mitarbeiter und auch Kleinaktionäre ist – kurz: für alle Stakeholder.

Welche Rolle haben sie persönlich im Juni 2016 bei der Ablöse von Karl Bier und Heribert Smole und der Installation von Thomas Winkler als UBM-Chef gespielt?

Strauss: Das war meine Entscheidung. Es war vom Alter der anderen Akteure und für die Neuaufstellung der UBM der richtige Zeitpunkt. Mit Thomas Winkler kann die UBM sich meiner Meinung nach neu ausrichten und ihre Marktposition wieder verbessern - aber immer vorsichtig. Wir wollen ja nie die Größten sein, auch nicht in der Porr, sondern wir wollen zu den Besten gehören.

Wie wichtig ist in dem gesamten Konzept die oft proklamierte Netto-Schuldenfreiheit der Porr? Oder ist etwas anderes wichtiger?

Strauss: Das Wichtigste ist eine klare Strategie mit einer eindeutigen Struktur, geringen Hierarchien und klaren Berichtswegen. Wir sind leistungsorientiert, "but we care for you". Und man muss den Mitarbeitern im Management auch die Dinge ganz klar vorleben.

Zum Beispiel?

Strauss: Wenn wir eine neue Arbeitswelt haben, dann gilt sie für alle. Mein Büro war das erste, das umgebaut worden mit Glas, keinen Kästen mehr und generelle Transparenz und Offenheit. Diese Regeln betreffen immer alle. Und ich bin stolz auf unsere Mitarbeiter, die uns auch in der schwierigen Zeit geholfen haben, in die richtige Richtung zu schauen. Auf diese treuen Porrianerinnen und Porrianer bin ich wahnsinnig stolz. Wir haben richtig was weiter gebracht.

Wie sieht das "we care for you" konkret aus?

Strauss: Es zählt letztendlich das Ergebnis - aber es muss jemandem Spaß und Freude machen, bei der Porr zu arbeiten, dann gibt man auch die beste Leistung. Dazu muss aber meiner Meinung nach auch gesichert sein, dass man sich über das normale tägliche Büro hinaus von der Firma mehr erwarten kann. Wir kümmern uns um Diversity-Themen, Women@Porr, Sabbaticals, all diese Themen. Wir arbeiten daran, eine Kindertagesstätte einzurichten, versuchen Frauen in technische Berufe zu bringen. Wir planen auch hier im Haus ein Büro, in das man Kinder mitbringen kann, wenn einmal die Betreuung ausfällt. Wer eine flache Hierarchie hat, braucht eine starke Kultur.

Sie sind ein bekennender Verfechter des digitalen Wandels und die Porr gilt als Vorreiter bei der digitalen Baustelle in Österreich. Was kommt auf die Bau-Arbeitswelt zu?

Strauss: Ich verwehre mich gegen den Begriff Industrie 4.0. Das ist eine Alibibezeichnung. Vor jeder Digitalisierung steht Harmonisierung und Standardisierung der Systeme. Dann erst kann ich digitalisieren. Ich muss aber die richtigen Systeme dafür auswählen, sonst habe ich einen Blödsinn digitalisiert. EIN Tool davon - aber nur eines - ist das Konzept BIM. Im Endeffekt werden wir immer mehr in hochenergetischen Netzwerken, Real Time und überall arbeiten. Schon heute können Teams virtuell in gemeinsamen Kalkulationsräumen arbeiten, planen etc., egal wo jemand sitzt. Und diese Art des Arbeitens bedarf natürlich Spielregeln.

Welche Spielregeln sind das?

Strauss: Das Einreißen physischer und psychischer Wände um einzelne Personen. Die neue Welt des Arbeitens ist viel mobiler und jede und jeder muss sich projektbezogen in den Prozess einbringen. Bauen ist ja eine Aneinanderreihung von Prozessen. Wenn diese Prozesskette gestört wird, haben wir ein Problem. - Wir haben aber auch ein Problem, wenn am Anfang nicht die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Wir müssen die Anstrengungen in die Planung und in die Bauvorbereitung stecken.

Rundum klagen die Baufirmen allerdings über immer kürzer werdende Vorbereitungs- und Planungszeiten.

Strauss: Genau. Da muss man das Herz haben, dem Bauherrn zu sagen: Wir fangen erst in drei Monaten an, wenn wir fertig geplant haben und machen eine klare Aussage, ob wir den gewünschten Bauendzeitpunkt halten oder nicht halten können. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Vorplanungsleistung für die Baugenehmigung selten den Level hat, den sie haben sollte. - Es gibt ja zwei große Philosophien diesbezüglich: Die eine ist die anglikanische Ansicht, dass erst dann zu bauen begonnen wird, wenn die letzte Türschnalle definiert ist. Das europäische System ist wahrscheinlich eine Spur intelligenter, hat aber auch die Probleme, die man dann als Bauherr auch verstehen muss.

Wie sehen sie generell die Qualität in der Bauabwicklung?

Strauss: Zum einen wird immer nur über die drei bis vier Prozent Projekte gesprochen, die schiefgehen und nicht über die 96 Prozent, die reibungslos und in der Zeit funktionieren. Aber generell geht die Bauqualität meiner Meinung nach nach unten. Warum? Weil immer weniger kundige Mitarbeiter am Markt verfügbar sind und weil zum weit überwiegenden Teil nur der Preis entscheidend ist. Wir selber versuchen möglichst viel selber zu machen und möglichst wenig von Subunternehmern abhängig zu sein.

Vor zwei Jahren haben sie im SOLID-Interview für 2015/16 eine größere Flurbereinigung in der Bauwirtschaft angekündigt. Die hat nicht stattgefunden. Warum?

Strauss: Ich glaube, dass durch die Niedrigzinspolitik und genügend Liquidität im Markt auch nicht-rentable Modelle verlängert worden sind. Am Ende des Tages wird es aber zu einer Bereinigung bzw. einer Marktkonsolidierung kommen müssen. In Österreich tut allerdings der Gesetzgeber sein Möglichstes dazu, dass es nicht zu der Bereinigung kommt. Es wird eher gefördert, dass es viele Anbieter gibt - meiner Meinung nach zu viele.

Man sieht das auch daran, dass es im Vergabegesetz heute selbst beim Bestbieterprinzip keine Eignungskriterien gibt hinsichtlich der Größe eines Unternehmens pro Auftrag oder auch der Eigenkapitalsituation eines Unternehmens pro Auftrag. Würde man das einführen - was ja ein Wunsch der Bauindustrie war und ist -, würde man sehr schnell herausfinden, dass das Sinn hat. Denn alles, was wir heute bauen, bauen wir zwar heute, haben aber Gewährleistungen auf sechs, sieben, acht Jahre und mehr. Wenn aber alle drei Jahre die Unternehmen wegkippen, zahlt am Ende der Steuerzahler.

Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum da der Gesetzgeber und insbesondere auch die Wirtschaftskammer eine ganz eigenartige Politik fahren. (Anm.d.Red.: Wenige Tage nach dem Interview wurde bekannt, dass die Initiative Faire Vergaben für den nächsten Schritt des Vergaberechts an genau diesen Eignungskriterien arbeitet.)

Was raten sie dann den vielen kleinen und mittleren Unternehmen? Zusammenschließen? Den Schutz eines Großen suchen?

Strauss: Ganz im Gegenteil. Es geht nicht um Größe, sondern um Geschwindigkeit. Kleine und mittlere leistungsfähige Unternehmen zeigen uns tagtäglich, was sie können und welche große Existenzberechtigung sie haben und wie sie zum Image der österreichischen Bauwirtschaft weltweit beitragen.

Gerade eben sagten sie aber, eine bestimmte Größe muss sein?

Strauss: Es gibt Aufträge, bei denen das notwendig ist.

Also eine Welt der Großbaustellen für die einen und eine der Kleinen für die anderen?

Strauss: Nein. Die kleineren und mittleren Firmen können durch projektbezogene Zusammenschlüsse und Arbeitsgemeinschaften diese Eignungskriterien locker schaffen.

Sie kommen ja ursprünglich aus dem Bankensektor. Wie kann es sein, dass die so groß angekündigte und bedrohlich über allem schwebende Zinswende innerhalb weniger Tage vom Tisch war?

Strauss: Ich glaube, dass das Thema Zinsen und Wirtschaft heute von niemand mehr vorhergesehen werden kann. Es gibt einfach Wege der EZB, die heutige Situation zu managen. Wir sind nach wie vor von Staaten umgeben und gehören ja selber dazu, die seit 2005 ihre Schulden mehr oder weniger verdoppelt haben. Unser Umfeld ist brandgefährlich, es wird nur nicht darüber gesprochen - trotz niedriger Zinsen. Ich glaube, dass die Politik so agiert, dass sich zumindest die europäische Welt eine Zinswende gar nicht leisten kann. Deswegen werden Schulden in der EZB institutionalisiert und man versucht sie über das Generieren von Inflation in den Griff zu bekommen. Die Alternative ist eine Währungsreform. Aber ob die wirklich so gewünscht ist, ist ein anderes Thema.

Es wird ja auch wieder ein bisschen in Richtung Vollgeld diskutiert, die Schweiz stimmt zumindest demnächst darüber ab, man spricht von 2017 oder 2018.*)

Strauss: Es gibt viele Ideen. Aber der politische Reflex der Klientenbedienung bei gleichzeitiger Minderung des Anreizes zu arbeiten ist entsetzlich, extrem kurzsichtig und brandgefährlich. Wir haben verlernt, über Sachthemen ordentlich zu diskutieren und dann die beste Lösung für die Sache zu nehmen. Die ewigen Parteienkompromisse sind nur der kleinste gemeinsame Nenner, aber der Beginn des großen Übels.

Eines dieser Themen ist ja die Bildungspolitik. Da haben sie ebenfalls vor zwei Jahren mehr Technik in den Schulen gefordert. Was wurde aus dieser Forderung?

Strauss: Noch viel zu wenig. Man müsste hier viel mehr tun, mehr Freude an Mathematik, Physik und Chemie wecken. Alles was heute im Alltag passiert, setzt immer mehr Technik voraus. Europa hat da einen unheimlichen Nachholbedarf. Der Autonomiegedanke für die Schulen ist schon der richtige Weg. Aber wir müssen schon im Kindergarten und im Volksschulalter die richtigen Sehnsüchte wecken. Darauf kann dann die Ausbildung aufsetzen, vom Spielerischen ins Lernerische.

*) Vollgeld bedeutet im Gegensatz zur heutigen Praxis der Erschaffung von virtuellem Geld durch Kreditvergabe der einzelnen Banken, dass Kreditvergabe durch die Banken nur durch eigenes existierendes oder von der Zentralbank ausgeliehenes Geld möglich wäre.

Das Gespräch führte Thomas Pöll