Österreich : Staatsziel Wirtschaft in Verfassung vorerst abgesagt

Mit der Verankerung des Staatsziels Wirtschaft in der Verfassung wird es vorerst nichts, auch wenn die Regierung an ihrem politisch hochumstrittenen Plan festhalten will. Nach dem Rückzug ihrer vorübergehend geplanten Zustimmung sind die NEOS dabeigeblieben und trugen den Plan im Verfassungsausschuss heute nicht mit. Die Materie braucht eine Zweidrittelmehrheit, die derzeit fehlt.

Die Beratungen über einen entsprechenden Gesetzesvorschlag sind heute vom Verfassungsausschuss des Nationalrats auf Antrag der NEOS vertagt worden, berichtete die Parlamentskorrespondenz Mittwochabend. Für ihren Plan brauchen ÖVP und FPÖ wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit einen Partner. Im Nationalrat reichen dafür die NEOS. Im Bundesrat braucht man die SPÖ, sollte es noch zu einer Einigung mit den NEOS kommen. Von den Sozialdemokraten wurde heute im Ausschuss aber eine Zustimmung im Bundesrat dezidiert ausgeschlossen.

Dafür hatten sie die NEOS schon an Bord. Aber die Oppositionspartei stört sich massiv an einer von ÖVP und FPÖ geplanten UVP-Novelle, die NGO schikaniere. "Wir sind zwar überzeugt, dass das Staatsziel Wirtschaft Sinn macht und wir haben auch die Nachhaltigkeit hineinverhandelt. Aber dass im gleichen Atemzug versucht wird, Umweltorganisationen aus UVP-Verfahren auszusperren, das geht einfach nicht zusammen", sagte NEOS-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak nach dem Absprung zur APA.

Scherak pochte heute laut Parlamentskorrespondenz weiter auf eine Lösung im Streit um die neuen Regeln für UVP-Verfahren, rund um die Umweltministerin Elisabeth Köstinger in der Kritik der Opposition und von NGO steht. SPÖ und Liste Pilz sind generell skeptisch, was neue Staatsziele betrifft. Die SPÖ forderte gestern, dass zuerst soziale Grundrechte in die Verfassung gehörten, dann könne man über das Wirtschaftsziel sprechen. Die Grünen, die seit der letzten Wahl nicht im Nationalrat sind, sprachen sich in den Personen ihrer Umweltlandesräte gegen die Implementierung des Staatsziels Wirtschaft aus und verfassten einen Brief an die Mitglieder des Verfassungsausschusses mit einem dahingehenden Appell.

"Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu einem nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort als Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung", heißt es im Wortlaut der von der Regierung vorgelegten Initiative. Gleichzeitig soll das entsprechende Bundesverfassungsgesetz in "Bundesverfassungsgesetz über Staatsziele" umbenannt werden.

Begründet wird der Gesetzentwurf von der Regierung damit, dass der Wohlstand Österreichs und seiner Bürger erhalten und ausgebaut werden müsse und es eine wettbewerbsfähige Standortpolitik brauche, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Durch die neue Staatszielbestimmung würden die Vollzugsorgane verpflichtet, in jedem Einzelfall auch das öffentliche Interesse an einem wettbewerbsfähigen Standort - und damit auch an der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen - zu berücksichtigen und mit den anderen Staatszielen zu vereinbaren, wird in den Erläuterungen festgehalten. Ursprünglicher Anlass für die Initiative war ein umstrittenes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Bau der dritten Piste am Flughafen Wien, das in Folge jedoch vom Verfassungsgerichtshof gekippt wurde.

Selbst wenn sich die Koalitionsparteien und die NEOS doch noch einigen sollten, droht das Vorhaben aber zu scheitern. Gemäß den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ist für die neue Staatszielbestimmung nämlich nicht nur eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, sondern auch im Bundesrat erforderlich. Eine solche ist nur mit der SPÖ erzielbar. Selma Yildirim (SPÖ) schloss im Ausschuss eine Zustimmung ihrer Fraktion allerdings kategorisch aus. Es wäre demokratiepolitisch bedenklich, würde man aufgrund eines einzelnen Anlassfalles eine neue Staatszielbestimmung kreieren, sagte sie. Yildirim sieht außerdem nicht ein, warum das Staatsziel Wirtschaftsstandort wichtiger sein soll als soziale Grundrechte.

Gar von einem "Nonsens" sprach SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann. Ungeachtet einer ähnlichen Initiative in der vergangenen Legislaturperiode warnte er davor, widersprüchliche Staatsziele zu formulieren. Das führe dazu, dass das Parlament seine Entscheidungsbefugnisse an den Verfassungsgerichtshof abgibt.

Auch Alfred Noll (Liste Pilz) und Hannes Jarolim (SPÖ) wandten sich gegen die Verankerung neuer Staatsziele. Staatsziele seien grundsätzlich "ein grenzenloser Schmarrn", sagte Noll, damit wolle man ohnehin nur "politische Fähnchen schwingen". Juristisch gesehen seien sie "Mist". Der Staat solle sich nicht zu etwas bekennen, sondern geltendes Recht einhalten. Allerdings könne es passieren, dass Richter, wie bei der Flughafen-Entscheidung, derartige politische Bekenntnisse als Rechtsvorschrift ernst nehmen, warnte er. In diesem Sinn hätte Noll auch nichts dagegen, sämtliche schon geltenden Staatszielbestimmungen aus der Verfassung zu streichen.

Es sei notwendig, das derzeit bestehende Ungleichgewicht bei den Staatszielen auszutarieren, zeigte sich ÖVP-Politiker Wolfgang Gerstl mit seinem Fraktionskollegen Klaus Fürlinger und FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan einig. In diesem Sinn hofft er auch, bis zur nächsten Sitzung des Verfassungsausschusses doch noch eine Einigung zu erzielen. Eine Junktimierung des Vorhabens mit dem UVP-Gesetz lehnt Gerstl ab, die beiden Punkte hätten nichts miteinander zu tun.

Aus der Bundesregierung hatten heute Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) und Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ) nach dem Ministerrat gesagt, man halte am Staatsziel Wirtschaft fest. (APA)