SOLID 06/2019 : „Spielen sie doch dieses Ass aus!“

STAHLBAU Aktuell: Im allgemein kennt man Sie in Österreich vom Thema Ultraleichtbetone und von anderen kreativen Baumaterialien wie etwa einem, bei dem Pilze zum Einsatz kommen, deren Wachstum dann gestoppt wird – wie kommt hier der Stahlbau ins Spiel?

Werner Sobek: Schon bei meinem ersten Gebäude war Stahl von essentieller Bedeutung. Ich baue gerne und viel mit Stahl, insbesondere im Kontext gewichtsminimierter Fassaden und Sonderkonstruktionen. Stahl spielt natürlich auch dann eine besondere Rolle, wenn es um weitspannenden Strukturleichtbau geht. Als Beispiel sei hier der internationale Flughafen in Bangkok genannt, den ich zusammen mit meinem Freund Helmut Jahn geplant habe. Das Dach spannt 140 Meter weit und hat Kragarme von 45 Metern – alles in Stahl.

Bekommt man diese Spannweiten nur mit Stahl zusammen?

Sobek: Letztlich hat Stahl bei großen Spannweiten einen Vorteil wegen seiner Zugfestigkeit. Ultrahochfeste Betone weisen in vielem mit Stahl vergleichbare Qualitäten auf. Ihre Druckfestigkeit ist hervorragend - Zugfestigkeit ist aber nicht gegeben. Insbesondere bei sehr weit spannenden Konstruktionen macht daher eine Kombination beider Werkstoffe Sinn.

Was ist das Spezifische an Stahl im Leichtbau?

Sobek: Entscheidend ist die Notwendigkeit von Leichtbau als Lösung für die riesige Zukunftsproblematik der Baustoffe und der Emissionen und dafür gibt es im Stahlbau einige sehr gute Beispiele, wie man durch optimierte Bauhöhenverläufe zu Gewichtseinsparungen kommt. Das ist beim Stahl ein absolutes Muss, um seine Durchsetzung noch viel weiter zu verbreiten: dass wir gewichtsarm bauen und dass wir die leidige Brandschutzfrage in den Griff bekommen, die ja häufig zu einem Verkleiden der sehr schönen Konstruktionen führt, was wir natürlich alle nicht wollen.

Beim Stahl ist also Leichtbau schon da, beim Beton muss man ihn erst erzeugen. Was fehlt ihm also zum kompletten Durchbruch?

Sobek: Als ich studiert habe, habe ich als Student die Stahlbau-Vorlesung nach einer Stunde verlassen. Der Professor sagte: machen sie nichts Neues, da machen sie nichts falsch – und dann hat er uns ein paar Bilder mit ganz schrecklich anzusehenden Bauwerken gezeigt, auf die er aber offensichtlich ziemlich stolz war. Mit dieser Ouverture zu seinen Vorlesungen hat er praktisch alle kreativen Studierenden verjagt.

Was wir im Stahlbau über lange Jahre nicht gehabt haben, waren aus Ingenieurssicht lösungsorientierte Zugänge etwa mit Materialmix, Stahlguss oder ähnlichem. Stahlbau war lange Zeit viel zu geradlinig und langweilig, der Rest zu teuer und zu schwierig.

Demgegenüber hat der Holzbau, was die Klaviatur der Geometrien und Fügetechniken betrifft, den Stahlbau fast abgehängt. CNC-Fertigungen sind ein Punkt, wo sich der Stahlbau gut und gern am Holzbau orientieren könnte und sollte. Damit bekommen sie im Stahlbau auch eine andere ästhetische Qualität. Aber das ist Sache der Ingenieursausbildung.

Muss sich der Stahlbau neu erfinden?

Sobek: Das muss er. Und eigentlich sind die Wurzeln dafür ja im Boden – man muss sie nur identifizieren und nicht immer nur von Kosten reden. Wenn man gut und klug und fantasievoll konstruiert, hat man nämlich sogar einen Kostenvorteil, weil man einen Gewichts- und damit einen Montagevorteil hat und und und.

Wie sieht es bezüglich Recycling und Lebensdauer aus?

Sobek: Ja. Da kann man dem Stahlbau nur raten: spielen sie doch dieses Ass aus! Das passiert viel zu wenig.

Wir werden mit dramatisch weniger Baustoffen für dramatisch mehr Menschen bauen müssen, sonst haben wir eine globale Erwärmung nicht von 2, sondern von 6 bis 8 Grad. Der Stahlbau hat am Ende des Lebenszyklus den Vorteil der sortenreinen Verschmelzung.